Forschungsschwerpunkte für ein nachhaltiges Ernährungssystem
ETH Zürich
ETH-News: Das World Food System Center der ETH Zürich befasste sich im Auftrag des Bundes mit dem Forschungsbedarf für ein nachhaltiges Schweizer Ernährungssystem. Was genau versteht man unter einem Ernährungssystem?
Nina Buchmann: Ein Ernährungssystem umfasst alle im Land produzierten, aber auch konsumierten Lebensmittel – sowie Futtermittel –, alle nationalen Akteure und die nationalen Rahmenbedingungen. Das heisst, es ist ein System, das von der Produktion von Lebensmitteln bis hin zum Konsum und der Gesundheit reicht, alle Ressourcen, aber auch Abfälle und Verluste berücksichtigt, und obendrein noch von verschiedenen Rahmenbedingungen beeinflusst ist, sei es von der Ökonomie, der Politik, der Gesellschaft oder der Umwelt.
Und wie wird sich das Schweizer Ernährungssystem in den nächsten 20 bis 30 Jahren verändern?
Wir können die Zukunft natürlich nicht im Detail voraussagen. Doch wir können uns die aktuellen Forschungsfragen weltweit ansehen sowie die grossen globalen Entwicklungstrends wie Bevölkerungswachstum, Ressourcenknappheit, Klimawandel oder das sich verändernde Konsumverhalten. Daraus können wir Schlüsse ziehen für die Schweiz und die wichtigen Forschungsfragen definieren, welche wir hierzulande angehen müssen, damit unser Ernährungssystem in den kommenden Jahrzehnten nachhaltig bleibt. Dies war das Hauptziel der Studie – auch im Hinblick darauf, dass diese Fragen in das Forschungskonzept 2017-2020 des Bundesamtes für Landwirtschaft einfliessen werden.
Welches sind denn die vordringlichsten Forschungsfragen für die nächsten Jahre?
Im Rahmen der Studie haben wir basierend auf Interviews und einer online Umfrage vier grosse Themenbereiche identifiziert, die für ein nachhaltiges Schweizer Ernährungssystem entscheidend sind. Dazu gehört Forschung, die sich mit einer effizienten Nutzung und somit einem sparsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen wie Boden, Wasser, Nährstoffen oder Energie im gesamten Ernährungssystem befasst. Ebenfalls wichtig sind Forschungsfragen zu einer gesunden und sicheren Ernährung. Als dritten Themenbereich haben wir die Politikforschung identifiziert. Hier geht es unter anderem darum, wie man die zum Teil gegenläufigen Ziele in der Agrar-, Umwelt- und Handelspolitik unter einen Hut bringen kann. Und schliesslich gibt es noch den vierten Bereich, nämlich systemorientierte Forschung, die zum Beispiel Fragen entlang oder zwischen Wertschöpfungsketten bearbeitet.
Wo liegen die Vorteile solch systemorientierter Forschung?
Sprechen beispielsweise Agrarwissenschaftler und Ingenieurinnen bereits im Vorfeld oder im Frühstadium ihrer Forschung mit Bauern, Vertreterinnen von Grossverteilern, Sozialwissenschaftlern oder Konsumentinnen, entstehen bereits die Forschungsansätze gemeinsam mit den Stakeholdern. So können echte Probleme angegangen werden und es entstehen Ergebnisse, die man eher umsetzen kann. Es ist in unserer Umfrage auch klar geworden, dass die Wettbewerbsfähigkeit als eine der grössten Herausforderungen der Branche und des Ernährungssystems angesehen wird. Schwierig ist nur, dass «Wettbewerbsfähigkeit» ein sehr schwammiger Begriff ist.
Inwiefern?
Der Handlungs- und Forschungsbedarf hängt sehr stark davon ab, über welchen Zeitraum hinweg man die Wettbewerbsfähigkeit betrachtet. Möchte man sie kurzfristig erhöhen, wird man wohl eher in Forschung zur Ressourcen- und Energieeffizienz investieren, weil damit die Wirtschaftlichkeit zunimmt. Hat man hingegen die Wettbewerbsfähigkeit in 20 oder 30 Jahren im Auge, stehen ganz andere Forschungsfragen im Zentrum: Pflanzenzüchtung oder Konsumforschung, beispielsweise welche Produkte in Zukunft nachgefragt oder wie sie eingekauft werden.
Wo gibt es Handlungsbedarf bei diesem Systemansatz?
An den Hochschulen müssen wir dieses Systemverständnis noch stärker in die Ausbildung hineinbringen. In den Agrarwissenschaften an der ETH machen wir das bereits seit langem. Auch in der Forschung des World Food System Center pflegen wir diesen systemorientierten Ansatz. Doch wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass systemorientierte, transdisziplinäre Forschung viel mehr Zeit braucht als üblich, zum Beispiel um eine gemeinsame Sprache zu finden oder überhaupt erst Vertrauen aufzubauen. Dafür braucht es längerfristige Instrumente der Forschungsfinanzierung. Die heutige, oft projektbezogene Finanzierung über drei oder vier Jahre ist dafür meist zu kurz. Interessanterweise wurde der Systemansatz auch auf Verwaltungsebene als notwendig erachtet und Handlungsbedarf identifiziert. Unsere Interviews haben gezeigt, dass sich in der Schweiz zwar mehrere Bundesämter mit Teilaspekten des Ernährungssystems befassen, es derzeit jedoch keine umfassende nationale Strategie gibt.
Und welches persönliche Fazit ziehen Sie aus der Studie?
Ergebnisse aus unserer Studie fliessen direkt in das Forschungskonzept des Bundsamtes für Landwirtschaft ein, das gerade entwickelt wird. So unmittelbaren Einfluss hatte meine Tätigkeit in der Agrar- und Umweltforschung bisher wohl noch nie. Und ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass sich das World Food System Center bereits drei Jahre nach der Gründung ein Renommee als Institution aufgebaut hat, welche den Überblick über solch ein weites Forschungsfeld hat. Immerhin bringt uns das Bundesamt für Landwirtschaft das Vertrauen entgegen, uns mit einer solch umfassenden Studie zu beauftragen.