Kieler Agraökonomen kritisieren geplante Änderungen der Milchlieferverträge
Staatlicher Eingriff könnte zu unerwünschten Nebenwirkungen führen
Die Lage für Milcherzeuger*innen ist seit Jahren angespannt. Sie sind sowohl mit steigenden Kosten als auch mit unsicheren und oft unzureichenden Preisen konfrontiert. Mit einem Vier-Punkte-Plan möchte das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) die Situation der Milchbauern in Deutschland verbessern. Neben der Förderung nachhaltiger Praktiken und der Unterstützung regionaler Wertschöpfungsketten soll vor allem die Marktposition der Milcherzeuger*innen gestärkt werden. Geplant ist, dass in Zukunft Molkereien Rohmilchlieferant*innen ein schriftliches Vertragsangebot für 80 Prozent ihrer künftigen Lieferung machen. Laut der Studie von der Fachhochschule Kiel und dem ife Institut könnte der staatliche Eingriff jedoch zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.
Preisschwankungen haben zugenommen
Die Studie bestätigt die hohe Volatilität auf dem Milchmarkt: Zwischen 2017 und 2024 schwankten die Milchpreise um 29 Cent pro Kilogramm – ein deutlicher Anstieg gegenüber den Schwankungen von 8,6 Cent in den Jahren 2001 bis 2006. Mehr Risikomanagement sei zwar erforderlich, die vorgeschlagene Vertragsgestaltung eigne sich aber nicht dafür, erklärt Prof. Dr. Torben Tiedemann von der FH Kiel. „Wir haben die wissenschaftlichen Studien zu Lieferbeziehungen im Milchmarkt analysiert und den beträchtlichen Einfluss der internationalen Preise auf die deutschen Milchpreise berücksichtigt. Tatsächlich gibt es keine ausreichenden Gründe, die den staatlichen Eingriff in die Vertragsbeziehungen rechtfertigen“, so der Professor für Agrarökonomie.
Festpreise führen zu sinkenden Erzeugerpreisen
Die Kieler Forscher*innen analysieren in ihrer Studie zwei mögliche Festpreismodelle: Festpreise ohne und mit Termingeschäften. Prognosebasierte Festpreise ohne Absicherung, so die Fachleute, würden zwangsläufig einen Preisabschlag erfordern. Die Simulationsrechnungen zeigen, dass für das Jahr 2024 ein Milchpreis von 42 Cent/kg erwartet werden kann. Aufgrund der Unsicherheit der Prognose müssten Molkereien aber einen Risikoabschlag von 7 Cent berücksichtigen, die Milcherzeuger würden also nur 35 Cent pro Kilogramm erhalten. Betrüge der Milchpreis später tatsächlich 42 Cent, bekämen die Milcherzeuger*innen den Differenzbetrag nach Ablauf der Preisbindung erstattet. „Laut unserer Analyse könnten diese Nachzahlungen in Deutschland insgesamt etwa 881 Millionen Euro betragen“, erklärt Prof. Tiedemann. „Zudem könnten auf die Milcherzeuger*innen durch den Preisabschlag zusätzliche Zinskosten von rund 24 Millionen Euro zukommen. Der effektive Milchpreis würde also weiter sinken.“
Milcherzeuger*innen profitieren nicht von geplanter Neuregelung
Wären also Festpreisangebote, die allein auf Terminmarktgeschäften basieren, eine Lösung? Nein, sagen die Autor*innen. Denn die Analyse zeigt, dass deren Folgekosten oft unterschätzt würden. Würden Festpreise für 80 Prozent der gelieferten Milch angeboten, könnten Absicherungskosten zwischen 63 und 151 Millionen Euro entstehen. Im Durchschnitt könnten also etwa 100 Millionen Euro zusätzliche Kosten auf die Branche zukommen. In ihrer Analyse gehen die Studienautor*innen davon aus, dass diese nicht an die Konsument*innen weitergegeben werden. „Die Konsument*innen sind sehr preissensibel und akzeptieren Preisaufschläge nur in geringem Maß, selbst bei mehr Tierwohl“, erklärt Prof. Dr. Holger Thiele von der FH Kiel. „Wir müssen also davon ausgehen, dass die höheren Kosten zu niedrigeren Grundpreisen für die Rohmilch führen, die Milcherzeuger*innen also weniger Geld für ihre Milch erhalten.“
Mögliche Auswirkungen auf Molkereien und den Strukturwandel
Insgesamt zeigt die Analyse, dass eine Festlegung von Preisen zu erheblichen Abschlägen führen würde, entweder durch Risikopreise oder durch die Kosten für die Absicherung an den Märkten. Anstelle einer Stärkung der Milcherzeuger*innen könnten die Pläne des BMEL in ihrer jetzigen Form also zu einer Verschlechterung der Situation der Erzeuger*innen führen. Neben den finanziellen Belastungen könnte die Neuregelung einen Strukturwandel bei den Molkereien verstärken. Besonders kleinere und abgelegene Betriebe, die auf solidarische Genossenschaftsmodelle angewiesen sind, könnten durch individuelle Festpreise benachteiligt werden. „Auf Basis unserer bisherigen Ergebnisse plädieren wir dafür, von umfangreichen Verpflichtungen zu Festpreisverträgen mit festen Liefermengen Abstand zu nehmen und stattdessen marktorientierte Eigenlösungen im Risikomanagement zu fördern“, so Prof. Thiele.
Stärkung der Eigenverantwortung anstelle staatlicher Eingriffe
Anstelle staatlicher Eingriffe empfehlen die Kieler Milchmarktexpert*innen eine Stärkung der Eigenverantwortung der Milcherzeuger*innen. „Die Politik könnte auf bereits bewährte Preissicherungssysteme zurückgreifen und diese finanziell unterstützen“, erklärt Agrarökonom Thiele. „In den USA sind sogenannte Optionsprämien Teil des Risikomanagements. Milcherzeuger*innen können sich gegen Preisschwankungen absichern, indem sie das Recht erwerben, Milch zu einem bestimmten Preis zu verkaufen oder zu kaufen. Außerdem brauchen wir in Deutschland Finanzinstitute, die Terminmarktkonten für Milcherzeuger bereitstellen. Dies könnte die Anpassungsfähigkeit an Marktrisiken erheblich verbessern.“ Daneben könnten bereits bestehende, freiwillige Festpreissysteme gestärkt werden. Schon jetzt bieten Molkereien börsenbasierte Festpreissysteme an, die Landwirt*innen helfen, einen stabilen Preis für ihre Milch zu erhalten. Die Finanzierung der Sicherheitsleistungen könnte staatlicherseits unterstützt werden. Denkbar, so die Kieler Agrarökonomen, wäre in diesem Zusammenhang auch die Vergabe von Bürgschaften.