Schutz für Saatgut wie beim Pfirsich

23.05.2016 - Schweiz

ETH-Chemiker entwickeln eine neue Beiz-Methode, um Saatgut vor gefrässigen Insekten zu schützen. Dazu kopierten sie das Abwehrsystem von Pfirsich und Co.

ETH Zürich

Mehrere Schichten Polylactat umgeben ein Weizenkorn. In der innersten Schicht ist ein Enzym eingebettet. Die mittleren Schichten enthalten Amygdalin. Setzt ein fressendes Insekt die Substanzen frei, baut das Enzym Amygdalin zu Blausäure ab. Diese schwächt oder tötet die Insektenlarven.

Den Kern nicht essen, der ist giftig: Das sagen Eltern ihren Kindern, ehe diese ihren ersten Pfirsich essen. Tatsächlich enthalten Pfirsichkerne, die sich in der nussartigen Schale verstecken, Amygdalin, eine Substanz, die im Magen in giftige Blausäure zerfällt.

Doch Pfirsiche, Aprikosen oder Mandeln haben dieses Abwehrsystem nicht dafür entwickelt, um Kindern den Früchtekonsum zu vergällen. Die Natur hat es hervorgebracht, um die Pflanzensamen vor gefrässigen Insekten zu schützen.

Chemiker aus der Forschungsgruppe von Wendelin Stark an der ETH Zürich haben sich nun davon inspirieren lassen und das Abwehrsystem von Bittermandeln und Konsorten im Labor kopiert. Sie entwickelten für Saatgut eine Beizung, die genauso wirksam ist und ähnlich funktioniert wie das natürliche Vorbild, die Keimung der Samen jedoch nicht beeinträchtigt. Darüber hinaus ist die Beizung biologisch abbaubar. Die entsprechende wissenschaftliche Publikation erschien soeben in der Fachzeitschrift «Journal of Agricultural and Food Chemistry».

Beim Knabbern entsteht Blausäure

Um die wirksamste Beize zu bestimmen, testeten die Forscher verschiedene Schichtfolgen. Am Ende entpuppte sich folgende Abfolge als die wirksamste: Sie besteht aus mehreren Schichten Polymilchsäure (Polylactat, PLA), eine für Mensch und Umwelt harmlose Substanz. Die innerste Schicht enthält ein Enzym. Darüber liegt eine Schicht aus reiner Polymilchsäure, darüber zwei Schichten, in denen die Blausäure-Vorläufersubstanz Amygdalin eingebettet ist – die gleiche Substanz, die auch in der Schale von Bittermandel-Samen steckt. Den Abschluss macht eine weitere Schicht reiner PLA.

Frisst sich nun eine Insektenlarve durch diese Schichten hindurch, setzt sie erst das Amygdalin frei, dann das Enzym. Die beiden Substanzen vermischen sich, das Enzym baut Amygdalin zu Blausäure (Cyanid) ab. Diese verdirbt der Insektenlarve den Appetit – oder tötet sie.

Test an Schadinsekten erfolgreich

Die Forschenden haben in Zusammenarbeit mit dem Julius Kühn Institut in Berlin die Wirkung ihrer Beizung an mehreren Getreideschädlingen getestet. Gegen Larven des Mehlkäfers (Tenebrio molitor), der Dörrobstmotte (Plodia interpunctella) und des Getreidekapuziners (Rhizopertha dominica) wirkte das Bittermandel-Abwehrsystem sehr gut. Der Getreidekapuziner ist ein Käfer, der weltweit in Weizenspeichern grosse Schäden anrichtet.

Auf gebeiztem Saatgut schlüpften deutlich weniger erwachsene Käfer und Motten als auf unbehandeltem. Sie vermehrten sich weniger stark, auch wuchsen die Larven langsamer, weil sie weniger frassen.

Die Beschichtung hielt jedoch nicht alle Schadinsekten davon ab, an den Weizenkörnern zu knabbern: Gegen den Getreiderüssler (Sitophilus granarius) wirkte diese Beizung nicht. Diese Art von Käfer legt seine Eier nicht auf die Körner, sondern bohrt sie in diese hinein und verschliesst das Bohrloch. Die Larven fressen das Weizenkorn dann von innen her auf. Dadurch kommen sie nicht mit der Beizung in Kontakt.

Die Forscher konnten überdies mit Labor- und Feldversuchen zeigen, dass die Beize die Keimung der Weizenkörner nicht störte. Im Labor keimten 98 Prozent der behandelten Körner. Auf dem Acker keimten diese zwar etwas später als unbehandelte, und die Keimlinge entwickelten sich zu Beginn des Wachstums langsamer. Dieses anfängliche Defizit konnten die Weizenpflänzchen später jedoch aufholen.

Möglicher Ersatz für Pestizide

«Wir haben aufgezeigt, dass diese neuartige Beizmethode funktioniert: Sie schützt die Körner vor Insektenfrass, und die Körner sind auf dem Acker brauchbar», sagen die Autoren  der Studie, Carlos Mora und Jonas Halter. Die Beizung mit dieser Methode sei vom Verfahren her so einfach wie die mit Spritzmitteln. Auch überstiegen die Kosten der neuen Methode die von Insektiziden nicht wesentlich.

Die ETH-Forscher sind davon überzeugt, dass diese Art des Beizens auf das Saatgut anderer Nutzpflanzen übertragen werden kann. «Die Methode hat das Potenzial dazu, gewisse synthetische Pestizide zu ersetzen», meint Carlos Mora. «Die Beize ist nicht nur komplett biologisch abbaubar, sie sichert auch die Qualität des Saatguts bei der Lagerung.»

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