Trotz Mindestlohns tobt der Streit um die Schlachthof-Arbeit

21.10.2016 - Deutschland

Einen ganzen Tag lang Schweine, Geflügel und Rinder zerteilen - so sieht der Arbeitsalltag für Tausende Arbeiter in deutschen Schlachthöfen aus. Die Bedingungen rufen seit Jahren Kritik von Gewerkschaftern und Sozialpolitikern hervor. Viele Arbeiter gehören nicht zur Stammbelegschaft, sondern sind Werkvertragsbeschäftigte - oft sind das Menschen aus Osteuropa.

Auf einer internationalen Tagung beschäftigte sich die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) am Mittwoch im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück mit den Zuständen auf den Schlachthöfen.

Wo liegt das Problem?

In der Fleischindustrie wie auch in anderen Branchen setzen Arbeitgeber immer mehr auf Subunternehmer, die Werkvertragsarbeiter einsetzen. Die Industrie argumentiert, so besser auf Produktionsschwankungen reagieren zu können. Kritiker verweisen auf die schlechteren Arbeits- und Lebensbedingungen der oft aus Rumänien und Bulgarien kommenden Menschen. So prangert der katholische Prälat Peter Kossen aus dem niedersächsischen Vechta seit Jahren die Zustände in der Branche an. Er sagt, dass es nach wie vor überhöhte Mieten und Tricksereien bei der Arbeitszeit gebe oder dass die Arbeiter unerlaubterweise für ihr Arbeitsgerät zahlen müssten. Diese Kritik wird auch von der Gewerkschaft NGG geteilt.

Über wie viele Beschäftigte redet man?

Der Verband der Ernährungswirtschaft geht davon aus, dass deutlich mehr als 100 000 Arbeitnehmer in der industriellen Fleischwirtschaft arbeiten. Laut dem Referatsleiter Fleischwirtschaft bei der NGG, Bernd Maiweg, beträgt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt rund 41 000. In der gesamten Fleischbranche seien rund 170 000 Menschen beschäftigt.

Was sagen die Arbeitgeber?

Die Situation der bei Subunternehmern beschäftigten Werkarbeiter habe sich in den vergangenen zwei Jahren spürbar verbessert, sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Ernährungswirtschaft, E.

Michael Andritzky. So werde ein 2014 eingeführter Mindestlohn von heute 8,60 Euro überall gezahlt. Es gebe auch einen Verhaltenskodex, mit dem unter anderem die Wohnsituation der Werkarbeiter verbessert werden solle. Seitdem habe "sich sehr viel getan", sagte er. Nicht zuletzt habe sich die Branche auch eine Selbstverpflichtung auferlegt, wonach die Arbeitsverhältnisse der Werkarbeiter auf deutsches Arbeitsrecht umgestellt worden seien.

Was sagt die Gewerkschaft?

Immer noch arbeite rund die Hälfte der Beschäftigten der Schlacht- und Zerlegebetriebe als Werkarbeiter. Bis auf wenige Ausnahmen habe sich in der Branche in dieser Hinsicht nichts getan, sagt NGG-Sprecherin Karin Vladimirov. "Wir kritisieren, dass nach wie vor in den Kernprozessen der Produktion seit Jahrzehnten mit Werkverträgen und Leiharbeitern gearbeitet wird, und dass sie nicht nur Produktionsspitzen abfangen." Laut Gewerkschaft sind auch die Betriebsräte oft nicht für Werkarbeiter zuständig, ihnen fehlt also Unterstützung. Versuche von Werkvertragsarbeitern, bei ihren Firmen Betriebsräte zu installieren, würden von den Unternehmern unterbunden. "Da kenne ich einige Beispiele", sagt Maiweg.

Haben sich denn die Arbeits- und Lebensbedingungen der Betroffenen verbessert?

Arbeitgeber-Vertreter Andritzky sagt: Ja. "Es lässt sich keineswegs feststellen, dass systematisch Missbrauch stattfindet."

Der größte deutsche Geflügelfleischproduzent Wiesenhof lässt eigenen Angaben zufolge die Lohnabrechnungen und Auszahlungsbescheide der Werkvertragsunternehmen im halbjährigen Turnus durch unabhängige Prüfer kontrollieren. Die Eckpunkte der Selbstverpflichtungserklärung seien bereits vor einem Jahr umgesetzt gewesen, sagt eine Sprecherin.

Die Westfleisch-Gruppe aus Münster hat in den vergangenen Jahren konzerneigene, tarifgebundene Firmen für Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung gegründet. Der hauseigene Mindestlohn liege sogar bei 9,17 Euro, sagt Personalleiter Oliver Reich. Auch die NGG lobt das Verhalten von Westfleisch als vorbildlich.

Das relativ kleine Schlachtunternehmen Böseler Goldschmaus aus Garrel im Oldenburger Münsterland will bis Jahresende sämtliche Mitarbeiter in Arbeitsverhältnisse übernehmen, bei denen das deutsche Arbeitsrecht gilt - derzeit arbeiten für die Gruppe rund 1100 Mitarbeiter, darunter 450 als Werkvertragsmitarbeiter.

Überzeugt das Kritiker und Gewerkschaften?

Kritiker wie die NGG oder der katholische Geistliche Kossen sehen das anders. Die Selbstverpflichtungserklärung der Branche sei eine "Luftblase": "Das ist Kosmetik, um die Öffentlichkeit glauben zu machen, dass sich etwas Substanzielles geändert habe." Nach wie vor gebe es in den Betrieben eine Zwei- oder sogar Dreiklassengesellschaft unter den Beschäftigten, warnt Kossen.

NGG-Vizechef Claus-Harald Güster sieht in dem Branchenmindestlohn und der Selbstverpflichtung zwar Schritte in die richtige Richtung. Aber immer noch würden die Betroffenen ausgebeutet./eks/DP/tos (dpa)

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