Behörde vertuschte schwere Hygienemängel in Tönnies-Wurstfabrik

foodwatch wirft bayerischer Staatsregierung massive Versäumnisse vor – Bundesministerin Julia Klöckner muss Transparenz über schaffen

21.09.2018 - Deutschland

Schmutzpartikel in der Weißwurstlake, verdreckte Maschinen, Pfützen mit stinkendem Wasser: In einer bayerischen Wurstfabrik des größten deutschen Fleischkonzerns Tönnies herrschten über Monate hinweg ekelerregende Zustände. Obwohl die zuständige Kontrollbehörde Bescheid wusste, informierte sie die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht über die Hygienemängel

Die Verbraucherorganisation foodwatch stellte am Donnerstag bisher unveröffentlichte amtliche Kontrollberichte online, die zeigen: Lebensmittelkontrolleure beanstandeten bei der „Landsberger Wurstspezialitäten GmbH“ in Oberbayern bei insgesamt 41 Überprüfungen zwischen Oktober 2017 und Februar 2018 immer wieder Verstöße gegen Hygienevorschriften. In den Kontrollberichten ist zudem mehrfach von Darmbakterien an Maschinen die Rede. Das Unternehmen widerspricht in einer Stellungnahme dieser Darstellung. 

Trotz der zum Teil eklatanten Mängel verhängte das zuständige Landratsamt in Landsberg am Lech keine Bußgelder und informierte die Öffentlichkeit nicht über die Zustände in der Wurstfabrik. foodwatch warf der bayerischen Landesregierung massive Versäumnisse bei der Durchsetzung von Hygienevorschriften in der Lebensmittelwirtschaft vor.

„Markus Söder hat offenbar nichts aus Hygieneskandalen wie Müller-Brot gelernt“, kritisierte Johannes Heeg von foodwatch. Er verwies auf die Rolle des heutigen bayerischen Ministerpräsidenten als Gesundheitsminister während des Müller-Brot-Falls: Die Großbäckerei hatte bis 2012 jahrelang Millionen von Backwaren an Verbraucherinnen und Verbraucher verkauft, obwohl die Behörden von den miserablen hygienischen Zuständen in der Fabrik wussten. Nun seien den Menschen erneut über Monate hinweg Lebensmittel aus Ekelproduktion untergejubelt worden – mit dem Wissen einer Kontrollbehörde, kritisierte foodwatch. „Der Fall Landsberger zeigt: Wenn die Ergebnisse von Hygienekontrollen nicht veröffentlicht werden müssen, haben Ekelbetriebe nichts zu befürchten. Nur Transparenz über die Kontrollen schafft Abschreckung“, erklärte Johannes Heeg. Er forderte Bundesernährungsministerin Julia Klöckner auf, ein Transparenzsystem einzuführen, das Behörden dazu verpflichtet, alle Lebensmittelkontrollergebnisse unverzüglich öffentlich zu machen. 

Herr Söder müsse sich als Ministerpräsident für ein solches Gesetz stark machen, um den wiederkehrenden Hygieneskandalen in Bayern endlich ein Ende zu bereiten. Unter seiner Verantwortung als Fachminister hatte der Freistaat in der Verbraucherschutzministerkonferenz 2011 als einziges Bundesland gegen eine Veröffentlichung von Hygienekontrollergebnissen gestimmt. „Markus Söders Blockadehaltung gegen ein Transparenzsystem ist mitverantwortlich dafür, dass Hygieneskandale in Bayern immer wieder vorkommen. Er predigt Recht und Ordnung, drückt aber bei Verstößen gegen Hygienevorgaben beide Augen zu. Der bayerische Ministerpräsident darf nicht länger als Schutzpatron der Schmuddelbetriebe agieren, sondern muss sich für die Veröffentlichung aller Kontrollergebnisse stark machen“, sagte Johannes Heeg von foodwatch. 

Der ehemalige Vorsitzende des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure, Martin Müller, stufte die Hygieneverstöße in der Tönnies-Wurstfabrik als gravierend ein und sprach nicht nur von einem Betriebs-, sondern auch von einem Behördenversagen: „Es ist völlig unverständlich, warum das Landratsamt Landsberg noch nicht einmal Bußgelder verhängte und den Betrieb einfach monatelang weiter laufen ließ. Bei dem Ausmaß der in den Kontrollberichten festgehaltenen Hygienemängel hätten zumindest die beanstandeten Maschinen zwecks Reinigung und Desinfektion stillgelegt werden müssen.“

Behörden sind nicht verpflichtet, alle Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen öffentlich zu machen. Aktuell wird auf Bundesebene darüber gestritten, welche Informationen Behörden veröffentlichen müssen. Doch auch mit dem von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner kürzlich vorgelegten Gesetzentwurf wären die Ekelzustände bei Landsberger nicht ans Licht gekommen, da der Vorschlag die weitreichenden Ermessensspielräume der Behörden aufrechterhält. Das Bundesverfassungsgericht hatte im März 2018 in einem Urteil ausdrücklich die Informationsrechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern gestärkt und ihnen verfassungsrechtliche Bedeutung beigemessen. Diese Grundsatzentscheidung werde aber von der Bundesregierung missachtet, so foodwatch. 

Vorbild für Deutschland müsse das erfolgreiche Smiley-System aus Dänemark sein. Dort sind Lebensmittelbetriebe seit 2002 verpflichtet, die Kontrollergebnisse mithilfe eines Smiley-Schemas an der Eingangstür auszuhängen und im Internet zu veröffentlichen. Die Zahl der Beanstandungen ist seitdem deutlich zurückgegangen.

foodwatch hatte die Kontrollberichte aus der Tönnies-Wurstfabrik über einen Antrag nach dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) erhalten. Die amtlichen Unterlagen dokumentieren über Monate hinweg immer wieder Verstöße gegen Hygienevorgaben. In den Berichten führen die Amtskontrolleure beispielsweise aus, dass in einem Bereich des Betriebs „die übliche stinkende Pfütze stand“, „Schinken in altverschmutzte, verkalkte Pressen verbracht“ wurde und sich in einem Raum „Grobschmutz am Boden und hinter den Wägen an der Wand“ befand. Auch ein sogenannter Pökelinjektor, mit dem Pökel-Lake direkt ins Fleisch gespritzt wird, war laut Prüfbericht wiederholt verunreinigt – nach Einschätzung von Lebensmittelkontrolleur Martin Müller hygienisch besonders sensibel, denn so könnten Keime direkt ins Fleisch gelangen. Zudem seien Enterobacter-Bakterien im Verpackungsbereich als besonders gravierend einzustufen. Enterobacter ist ein Darmbakterium, das beim Menschen Infektionen auslösen kann. In einer Stellungnahme bestreitet das Unternehmen die im Kontrollbericht beschriebenen Funde von Enterobacter und spricht von einem „guten mikrobiologischen Status in der Verpackungsabteilung“.

Noch in einem Kontrollbericht von Februar 2018 vermerkte der zuständige Kontrolleur „schwere Fehler in der Handhabung der Basishygiene“. In einer Stellungnahme gegenüber foodwatch gab das Landratsamt Landsberg am Lech hingegen an, bei den Hygienemängeln handele es sich „nicht um gravierende, sondern in der Regel lediglich um geringfügige Verstöße“, die „in der Regel unmittelbar durch den Betrieb abgestellt wurden“. 

Die Kontrolle der „Landsberger Wurstspezialitäten“ sollte eigentlich in den Zuständigkeitsbereich der neu errichteten „Bayerischen Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen“ (KBLV) fallen. Die KBLV ist seit Januar 2018 für rund 600 Lebensmittelbetriebe in Bayern zuständig, die zuvor der Kontrolle der Landratsämter unterlagen. Die „Landsberger Wurstspezialitäten“ haben jedoch gegen den von der KBLV erlassenen Zuständigkeitsbescheid Klage erhoben – und werden deshalb weiterhin vom Landratsamt Landsberg kontrolliert. „Das setzt dem Ekel-Skandal die Krone auf: Erst redet das zuständige Landratsamt die Hygieneprobleme klein. Und dann verhindert das betroffene Unternehmen, dass eine andere, womöglich strengere Behörde die Kontrollen übernimmt. Will sich hier ein Schmuddelbetrieb seine Kontrolleure selbst aussuchen?“, so Johannes Heeg.  Die Firma „Landsberger Wurstspezialitäten“ ist ein Unternehmen der Zur Mühlen Gruppe, die wiederum zur Tönnies-Gruppe gehört. Die Firma hat am 1. Oktober 2017 die laufenden Geschäfte der zuvor insolvent gegangenen Firma „Lutz Fleischwaren“ übernommen, ohne die Produktion zu unterbrechen. Mitte Oktober stellte das Landratsamt Landsberg Altverschmutzungen fest. Über den aktuellen Hygienezustand bei Landsberger liegen foodwatch keine Informationen vor.

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Die Stellungnahme des Landratsamt Landsberg inkl. aller vom Landratsamt übermittelten Fotos finden Sie rechts neben dem Artikel verlinkt. 

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