Die beste Blutwurst ähnelt Pudding
Der «Verein zur Förderung des Ansehens der Blut- und Leberwürste» hat sich 99 Jahre Zeit genommen, sein Ziel zu erreichen. Nichts ist hier weniger wurscht als die Qualität.
«Eine gute Blutwurst löst große Glücksgefühle aus», sagt Peter Bolliger und spricht sogar von «Mund-Erotik». Er muss es wissen. Bolliger ist Präsident des schweizerischen «Vereins zur Förderung des Ansehens der Blut- und Leberwürste» (VBL). Alle paar Wochen organisiert der VBL eine Metzgete, ein Schlemmerfest, an dem der Lust auf Schweinisches ungehemmt gefrönt wird. Rund 40 Männer und Frauen versammeln sich zum üppigen Buffet mit traditionellen Schlachtgerichten: Blutwürste, Leberwürste, Beinscheiben, Speck.
Humor ist wichtig im Verein, der sich laut Satzung nach genau 99 Jahren auflösen muss. Man schreibt sich E-Mails herzlich mit «saumäßigen Grüßen». «Liebe Brüder im Schwein», eröffnet Ernst Stettler in einem Ausflugslokal bei Langenthal zwischen Bern und Zürich an diesem Abend eine Metzgete. Frauen bekommen bei der Begrüßung keine Extrawurst, sie sind mitgemeint. Stettler war vor dem Ruhestand Bio-Metzger. Zwischen den Gästen und dem Buffet steht noch die Vereinshymne: «Heil Dir, geliebtes Schwein, heil Dir, Blutwurstverein» singen sie zur Melodie von «God Save the Queen». Die Melodie der britischen Hymne war einst auch Schweizer Hymne.
Und dann geht es zur Sache: Die Teller füllen sich mit Blut- und Leberwürsten sowie Schwarten, Räucherspeck und Zungenwurst. Noten gibt es auch. Prall gefüllt soll die Blutwurst sein und ein bisschen spritzen darf sie beim Hineinstechen, «aber nur Fett und nicht wässeriger Saft», wie der Verein festhält. «Die Struktur der Blutwurst sollte derjenigen von Pudding entsprechen, wobei gleichmäßig verteilte Einschlüsse von Zwiebelpartikeln erlaubt sind.»
Bolliger (51) ist Schreiner und engagierter Hobbykoch. Er kocht gern vegetarisch, aber wenn Fleisch im Spiel ist, dann bitte richtig. Er wurstet selbst. «Es ist eine Frage des Respekts vor dem Tier, dass alles verwendet wird, von Schnauze bis Schwanz», sagt er. Vom «Schnörrli zum Schwänzli», wie es auf Schweizerdeutsch heißt.
Seine Leidenschaft für alles Saumäßige ist offensichtlich. Wenn er ein Schlachtschwein beschreibt, das er sich liefern ließ, wird seine Stimme ganz warm. Mindestens 12, 14 Monate müsse es sein, nicht wie im Supermarkt, wo meist Fleisch von hochgemästeten Tieren verkauft werde, die schon nach sechs Monaten geschlachtet wurden. Die Menschen seien von Fleischindustrie und Werbung gelenkt. Da würden Filets und andere Premiumstücke angepriesen, weil damit mehr Geld zu machen sei.
Der VBL wurde 1968 gegründet. «Da gab es immer mehr Edelfleisch in den Gaststätten», sagt Gründungsmitglied Kasper Aeberli. Sein Name, wie er stolz erzählt, ist die schweizerdeutsche Verniedlichungsform von Eber - ein kleines männliches Schwein. «Wir konnten uns das damals nicht leisten.» So entstand die Idee einer Gegenbewegung «zur Verteidigung der traditionellen Verpflegung». Heute leitet Aeberli die VBL-Kunstkommission, die mehr als 130 «schweinische Bilder» umfasst. «Anfangs haben wir die Kollektion bei den Metzgeten im Hinterzimmer mit eigener Malerei angereichert», sagt Aeberli.
Bolliger hat vor der deutschen Wurstkunst höchsten Respekt. Er schwärmt von deutschen Kreationen und einem Besuch des VBL im Frühjahr 2018 beim «Verein der Freunde der Thüringer Bratwurst» in Holzhausen bei Arnstadt. Das Ansehen der Blutwurst fördert auch die französische «Bruderschaft der Ritter der Blutwurst» in der Normandie. Sie vergibt jedes Jahr Preise für die besten Blutwürste.
«Ein VBL-Mitglied zeichnet sich durch Genuss aus», sagt Bolliger. «Wir sind auch Leute, die kulturell gut geerdet sind.» Bei der Metzgete bei Langenthal liefern Alphornbläser und eine Musikkapelle den Rahmen. Das Publikum ist jung bis alt, etwa die Hälfte Frauen.
Der VBL hat seit ein paar Jahren wieder großen Zulauf und etwa 100 Mitglieder. In gut 48 Jahren ist alles vorbei, im November 2067. So steht es in den Statuten: «Anlässlich der Auflösung ist das gesamte Vereinsvermögen bis auf den letzten Rappen an einer Metzgete zu verfressen.» (dpa)
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