Schlachthof-Unterkünfte in der Kritik
Zu eng aufeinander
Bild von Jai79 auf Pixabay
Branchenkenner sind deshalb nicht davon überrascht, dass es dort nun so viele Infektionen gibt.
Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) ist überzeugt, dass die Unterbringung der Arbeiter - viele aus Ost- und Südosteuropa, viele bei Subunternehmern beschäftigt - die Verbreitung des Virus begünstigt. Referatsleiter Thomas Bernhard sagt: "Sie wohnen zu eng aufeinander." Zu kleine Wohnungen, zu viele Leute darin, zu wenig Sanitärräume - "ein Riesenproblem". Dominique John von der DGB-Initiative "Faire Mobilität" sagt mit Blick auf einen Fall in Sachsen-Anhalt: "Da wurden alte Wohnblocks angemietet, und neun bis zehn Menschen in einer Wohnung untergebracht."
In den Betrieben werde zwar auf Schutzmaßnahmen geachtet - "hinter dem Werkstor ist das aber schnell vergessen", klagt Bernhard.
Das liege auch an mangelhafter Aufklärung durch Vorarbeiter. In diesem Jahr hätten osteuropäische Schlachter zudem wegen der Corona-Beschränkungen über Ostern nicht in ihre Heimat gekonnt.
"Deshalb haben sie viel Zeit eng zusammen verbracht." Hinzu komme, dass sie häufig "in überfüllten Bussen und Bullis zur Arbeit und zur Unterkunft gefahren werden".
Auch der katholische Geistliche Peter Kossen, der sich seit Jahren für bessere Bedingungen von Arbeitsmigranten einsetzt, sieht seine Befürchtungen bestätigt. Im April schrieb er einen offenen Brief an Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Darin forderte er besseren Schutz in Fleischfabriken und anderen Betrieben. "Coesfeld wird nicht der letzte Fall sein", warnt er nun. "Die Beschäftigten in den Schlachthöfen sind wegen der harten Arbeit ausgelaugt und deshalb besonders anfällig."
Am Wochenende betrieben die Behörden im Fall Coesfeld Krisenbewältigung. Teams des Gesundheitsamtes machten sich auf, Arbeiter in Unterkünften zu testen. Bei mehr als 200 wurde das Virus nachgewiesen. Das Verwaltungsgericht Münster lehnte einen Eilantrag gegen die vorübergehende Schließung des Betriebs mit 1200 Beschäftigten ab. Es verwies auf amtliche Überprüfungen, wonach es am Zerlegeband und in Umkleiden Probleme mit dem Mindestabstand von 1,50 Metern gebe. Masken würden nicht immer korrekt getragen.
Überhaupt steht die Fleischbranche seit langem in der Kritik. Erst Anfang des Jahres legte das NRW-Arbeitsministerium einen Bericht über Schlachthöfe vor. Fazit: "Unangemessene Lohnabzüge, mangelhafter Arbeitsschutz und unwürdige Unterkünfte". Die Branche sei geprägt von "schwer nachvollziehbaren Firmenstrukturen, dem häufigen Einsatz von Werkvertragsnehmern sowie der vorwiegend anzutreffenden Beschäftigung von Arbeitskräften aus Osteuropa".
Die Branche wehrt sich jedoch gegen Vorwürfe, Arbeiter schlecht unterzubringen. "Von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen" habe diese Kritik keine Substanz, betonte die Fleischwirtschaft im vergangenen Oktober. Deutschlands größter Fleischverarbeiter Tönnies warnte nach den neuen Fällen davor, die Branche unter Generalverdacht zu stellen.
Über die Wohnbedingungen der Beschäftigten in Coesfeld ist bislang wenig bekannt. Sie seien "wohl eher dezentral als in großen Einheiten untergebracht", sagte ein Sprecher der Bezirksregierung Münster. Das Unternehmen Westfleisch erklärte: "Im Allgemeinen ist die Unterbringung der Produktionsmitarbeiter - auch die unserer Werkvertragspartner - der von Familien und Wohngemeinschaften ähnlich, mehrheitlich sind Wohnungen mit drei, vier oder fünf Personen belegt."
Ein Großteil der im Schlachthof in Bad Bramstedt arbeitenden Ausländer wohnt auf einem Kasernengelände in einer Gemeinschaftsunterkunft. Das Land ordnete an, die Sammelunterkünfte der Fleischbranche für Leiharbeiter sowie die für Erntehelfer auf Hygiene zu überprüfen.
Bislang sei viel zu wenig kontrolliert worden, meint der Linken-Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel. Er verweist auf die offizielle Antwort auf eine Anfrage seiner Fraktion. Demnach sei die Zahl der Betriebsbesichtigungen durch Arbeitsschutzbehörden in NRW zwischen 2008 und 2018 um mehr als ein Drittel gesunken. Im Durchschnitt werde ein Betrieb nur alle 25 Jahre kontrolliert./hff/DP/zb (dpa)
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