Giftiges Arsen in Hirn und Muttermilch
Forschungsgruppe untersuchte bestimmte Arsenverbindungen, die bisher als harmlos galten
Daniel Lee/unsplash
Arsen in Fisch
„Unser Wissen über anorganische Arsenverbindungen, die in Nahrungsmitteln und Trinkwasser überall auf der Welt vorkommen, ist seit 30, 40 Jahren recht gut. Wir wissen, dass diese Verbindungen hochtoxisch sind und Herzerkrankungen oder Krebs auslösen können“, erklärt Projektleiter Francesconi. „Doch erst kürzlich erkannte man, dass auch Meereslebewesen wie Fische und Krustentiere große Mengen von Arsen in giftiger Form enthalten“, so der Forscher.
Arsen in unserem Wasser und Essen – ist unser Planet wirklich so verschmutzt? „Nein, das Arsen ist zum Großteil natürlichen Ursprungs“, erklärt Francesconi. Es ist im Meerwasser gelöst und wird von Algen mit Phosphat verwechselt und aufgenommen. Über die Algen gelangt es in andere Meereslebewesen, die deshalb Strategien entwickelt haben, das Arsen in ihren Organismus einzubauen, und zwar in nicht toxischer Form.
Ungiftiges Arsen
Diese Verbindung heißt Arsenobetain – dabei wird in dem körpereigenen Molekül Betain statt einem Stickstoffatom ein Atom des Metalls Arsen eingebaut. Die Harmlosigkeit von Arsenobetain ist seit längerer Zeit bekannt und vermittelte eine Sicherheit, die sich nun als trügerisch herausstellt: „Forschungen über Arsen in Meereslebewesen wurden nicht weiterverfolgt. Erst kürzlich konnten wir mit unserer Arbeit in Graz zeigen, dass es allerdings noch eine ganze Reihe weiterer Arsenverbindungen in Meereslebewesen gibt, die sehr wohl toxisch sind“, sagt Francesconi.
Die Rede ist von Molekülen, bei denen Arsen an Lipide gebunden ist, die zum Fettstoffwechsel des Körpers gehören. Die Gefährlichkeit dieser Arsenverbindungen besteht unter anderem darin, dass sie fettlöslich sind und daher Zellwände mühelos durchdringen können. Diese Arsenverbindungen untersuchte Francesconis Team in Graz nun gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe der Universität Potsdam in dem Grundlagenprojekt. Dabei konnte gezeigt werden, dass diese Verbindungen anders als Arsenobetain hochgiftig sein können.
Fruchtbare Zusammenarbeit
„Wir in Graz sind auf analytische Arbeit spezialisiert“, so der Chemiker. „Wir entwickeln Methoden, diese Komponenten nachzuweisen. Außerdem haben wir die Möglichkeit, die Verbindungen auch in Reinform herzustellen – eine besonders wertvolle Voraussetzung für toxikologische Studien“, wie Francesconi betont. Er und sein Team analysierten also Wasser- und Nahrungsmittelproben und produzierten die gefundenen Arsenverbindungen in reiner Form. Diese wurden zum Partnerinstitut nach Deutschland geschickt, das auf toxikologische Untersuchungen spezialisiert ist. „Das war eine enorm fruchtbare Zusammenarbeit“, so der Chemiker. In Potsdam wurden Tests an menschlichen Zellen durchgeführt, später dann an Fruchtfliegen, Fadenwürmern und Mäusen.
Gewebeproben wurden zur Analyse nach Graz geschickt, um herauszufinden, wie sich das Arsen im Körper verhielt. Dabei zeigte sich etwa, dass Arsenolipid in Mäusen die Blut-Hirn-Schranke überwindet und sich im Gehirn ansammelt. Aufgrund dieser Daten wurden weitere Kooperationen geschlossen, unter anderem mit norwegischen und japanischen Partnerinstitutionen. Beide Länder sind für hohen Konsum von Fisch und Meeresfrüchten bekannt. Gemeinsam mit den norwegischen Forschungspartnern konnten die Wissenschaftler schließlich zeigen, dass die untersuchten Arsenverbindungen über die menschliche Muttermilch an Kinder weitergegeben werden.
Gefahr schwer einzuschätzen
Wie gefährlich die Verbindungen für den Menschen genau sind, lasse sich trotz der zahlreichen Ergebnisse noch nicht sagen. „Man weiß, dass die Effekte im Menschen ganz anders sein können als im Tierversuch“, erinnert der Forscher. Francesconi betont daher, dass noch viel zu tun sei: Als 2016 von der Europäischen Union Grenzwerte für Arsen in bestimmten Nahrungsmitteln festgelegt wurden, klammerte man organische Arsenverbindungen sowie den gesamten Bereich von Fisch und Meeresfrüchten bewusst aus, mit dem Hinweis, dass noch nicht genügend Daten vorhanden seien. Die Ergebnisse des Projekts seien ein wichtiger erster Schritt, so Francesconi, aber: „Es braucht nun große epidemiologische Studien, um genau zu wissen, wie gefährlich diese Substanzen wirklich sind.“ Dazu sind große Labors erforderlich, die mit den von Francesconi und seinem Team entwickelten Analysemethoden ausgestattet sind und in deren Entwicklung ein großer Teil des Projektbudgets floss. Das macht solche Studien nicht nur kostspielig, sondern auch enorm aufwendig. Das Projekt, das Teil eines DACH-Projekts für Kooperationen zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz war, hatte eine Laufzeit von drei Jahren und endete 2019.
Originalveröffentlichung
Xiong, Ch., Stiboller, M., Glabonjat, RA., Rieger, J., Paton, L., Francesconi, KA.; "Transport of arsenolipids to the milk of a nursing mother after consuming salmon fish", Journal of Trace Elements in Medicine and Biology; Vol. 61, 2020.
Yu, X., Xiong, Ch., Jensen, KB., Glabonjat, RA., Stiboller, M., Raber, G., Francesconi, KA.; "Mono-acyl arsenosugar phospholipids in the edible brown alga Kombu (Saccharina japonica)"; Food Chemistry; Vol. 240, 2018.
Witt, B., Meyer, S., Ebert, F., Francesconi, KA., Schwerdtle, T.; "Toxicity of two classes of arsenolipids and their water-soluble metabolites in human differentiated neurons"; Archives of Toxicology; 2017.