Multisensorische Verpackungen sind im Kommen und sorgen hier und da für den beabsichtigten WOW-Effekt.

Wrapped unterhielt sich mit Christian Rommel, geschäftsführender Gesellschafter der ROX Asia Consultancy Ltd., über Vorteile, Grenzen und globale Aspekte dieser neuen Verpackungen.

14.05.2014 - Deutschland

wrapped: Eine Verpackung, die leuchtet oder spricht, braucht doch eigentlich kein Mensch, oder?

printless GmbH

WRAPPED „need-to-talk-about“

Rommel: Darüber wird es sicherlich unterschiedliche Ansichten geben. Fakt ist aber, dass der Wunsch nach Individualität in uns allen verankert ist. Nicht umsonst ist Individualität einer der aktuellen Megatrends. Das weiß niemand besser als die internationale Markenartikelindustrie. Aber um Begehrlichkeit zu wecken, muss man sich klar abheben. Mit welchen Mitteln das am besten gelingt, darüber mag man streiten. Aber intelligente Technik aktiviert den Spieltrieb und garantiert einfach einen hohen Spaßfaktor.

wrapped: Haben Verpackungen ohne Elektronik dann perspektivisch noch eine Daseinsberechtigung?

Rommel: Natürlich, in einer perfekt gedruckten und vollendet veredelten Faltschachtel verbinden sich Pflicht und Kür in großer Harmonie. Wenngleich die Zeiten sich ändern, wird Mies van der Rohes berühmter Ausspruch „Weniger ist mehr!“ auch im Verpackungsdesign seine Gültigkeit behalten. Und wenn jede Verpackung leuchtet und spricht, ist das auch kein Unterscheidungsmerkmal mehr.

wrapped: Sie bezeichnen das Ergebnis der intelligenten Verschmelzung von Papier mit Mikroelektronik als WOW-Effekt. Was verbirgt sich dahinter?

Rommel: Verpackungen, die wir entwickeln und herstellen, rufen beim Betrachter Neugier, Erstaunen und auch Begeisterung hervor. Es ist der Überraschungseffekt, der nachhaltig überzeugt, da die Multisensorik in vielfältiger Weise die Sinne anspricht. Das wäre mit noch so ausgefeilten Verpackungen herkömmlicher Machart einfach nicht möglich. Der WOW-Effekt bedeutet auch, dass Verpackung, Produkt und Marke ganz anders wahrgenommen werden, was den Wiedererkennungseffekt der Marke deutlich erhöht. Und das ist ein fast unbezahlbarer Marketing-Vorteil im Markenaufbau.

wrapped: Welche aktuellen Verpackungen haben diesen Effekt?

Rommel: Jüngstes Beispiel ist die preisgekrönte, leuchtende Faltschachtel für das Produkt „Bombay Sapphire“ – die wohl weltweit erste frei verkäufliche Verpackung mit gedruckten, aktiv leuchtenden Flächen. Ein weiteres sehr erfolgreiches Beispiel war die „Finde das Muuh“-Aktion von Müller Milch. Wir haben hierfür ein Miniatur-Soundmodul entwickelt, das im Deckel integriert wurde.Beim Öffnen der Flasche wurde durch einen Lichtsensor das Muhen einer Kuh aktiviert. Ein solches Erlebnis ist einzigartig. Durch diesen Überraschungseffekt avancierten die Produkte zum Liebling der Kinder und wurden ein Verkaufshit. Diese Beispiele zeigen, dass der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind.

wrapped: Der Fantasie nicht, aber setzt Ihnen die Technik Grenzen?

Rommel: Technologisch muss man zwischen der klassischen Mikroelektronik und „Printed Electronics“ unterscheiden. Letztere Technologie ist sehr spannend. Aber bis „Printed Electronics“ wirklich massenkompatibel einsetz- und bezahlbar ist, wird man für echte multisensorische Verpackungen als interaktive Hybrid-Produkte weiterhin auf traditionelle Mikroelektronik zurückgreifen müssen. Ich hoffe, dass auf der Interpack neue Ergebnisse im Bereich der gedruckten Elektronik präsentiert werden, die über QR-Codes, Augmented Reality, RFID-Chips und NFC (Near Field Communication) hinausgehen.

Aber auch die klassische Technik bietet viele Optionen und Entwicklungspotenzial. Derzeit arbeiten wir parallel in mehreren verschiedenen Marktsegmenten, um Licht, Ton und Bewegung in eine attraktive Form zu bringen. Der Entwicklungsaufwand ist ziemlich hoch, da wir zwar elektronische Standardkomponenten verwenden, die jedoch für einen mobilen Einsatz modifiziert werden müssen – z.B. in Form möglichst dünner und leichter Zeitschriftenbeilagen, hochwertiger Boutique-Tragetaschen, kleiner Konsumgüterverpackungen oder langlebiger POS-Displays.

wrapped: Wo lohnt sich der Einsatz multisensorischer Applikationen besonders? 

Rommel: In erster Linie für das zielgruppenorientierte Marketing von Premium-Produkten. Hier stehen Spirituosen, Tabakwaren und Kosmetika sicherlich ganz vorne. Internationale Markenartikler suchen ständig nach neuen Möglichkeiten, sich deutlich vom Wettbewerber abzuheben. Hier geht es um das klare Alleinstellungsmerkmal in der Kundenkommunikation, beim Markenauftritt und in der Warenpräsentation. Das Ziel besteht darin, Verpackungen, Druckprodukte und Displays begehrlicher zu machen und den Konsumenten am POS für sich einzunehmen. Dies bieten die neuen „smarten“ Materialien, die optisch wie haptisch sinnvolle Applikationen und intelligente Convenience-Lösungen erlauben. Die clevere Kombination von Karton mit Elektronik bietet eine klare Aufwertung von Luxusverpackungen zu einem innovativen cross-medialen Produkt. Wenn man einen solchen Eyecatcher mit Anwenderfreundlichkeit und mehr Marketingnutzen verbinden kann, hat man genau diesen USP.

wrapped: Kommen wir noch mal zum Eingangsthema zurück. Kann eine solche Verpackung nicht auch durch Reizüberflutung das Gegenteil bewirken? 

Rommel: Ich würde nicht von Reizüberflutung sprechen, aber pure Effekthascherei könnte ein Problem werden. Deshalb sollte man sich die Vorteile und Grenzen jeder Technik und jeden Mediums genau anschauen. Innovationsaffine Konsumenten erwarten heutzutage neben reiner Funktionalität einer Verpackung zusätzliche Anreize über technische Features, vor allem aber einen wirklichen Mehrwert. So ist Lichtintegration faszinierend und überraschend, aber als reine Effekthascherei weder sinnvoll noch erstrebenswert. Die Technik an sich muss sich unterordnen, am besten sogar unsichtbar machen. Das erfordert jedoch großes Know-how in Entwicklung und Konzeption multisensorischer Verpackungen.

wrapped: Wie erreicht man wirklichen Mehrwert durch die Integration von Elektronik in eine Verpackung?

Rommel: DasSpektrum ist heute breit und umfasst genauso kleine deutsche Mittelständler wie globale Konzerne wie Bacardi oder Mars. Multisensorik betrifft jedoch nicht nur originelle Promotion-Verpackungen im FMCG-Segment. Es ist eine bislang kaum genutzte, branchen- und produktübergreifende Chance, seine Kunde emotional zu packen. Alle Bereiche der Kundenansprache sind potenziell interessant. Stellen Sie sich einen Geschäftsbericht mit Video-in-Print vor, wo der CEO seinen Shareholdern eine persönliche Ansprache hält. Oder eine Broschüre über neueste Entwicklungen von Lampen, die tatsächlich anfangen zu leuchten. Denken Sie an einen Hersteller von Heizungen, dessen Warensendung mit einer Produktvorstellung tatsächlich warm wird. Das ist perfekte nonverbale Kommunikation in einer Qualität, die nur durch Multisensorik möglich ist. Doch das steckt alles noch in den Kinderschuhen, was jedem wirklich innovativen Unternehmen ermöglicht, sich dadurch äußerst prominent zu präsentieren und zu platzieren.

wrapped: Welche Applikationen werden besonders stark nachgefragt?

Rommel: Wir haben uns in jüngerer Zeit auf modernste Light-in-Print-Technologien fokussiert. Hier gibt es perfekte Ansätze für eine moderne Kundenkommunikation und hohen Shelf Impact. Wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit des Konsumenten am POS zu erringen, muss man die Produkte wortwörtlich ins rechte Licht setzen. Die Faszination der Lichttechnik in Verbindung mit einem spektakulären Packungsdesign erzeugt einen einzigartigen Verpackungsauftritt und garantiert hohe Markenidentifikation, permanente Werbewirkung und einen hohen Wiederkennungswert. Mit unsichtbar integrierten LEDs und dezenter Glasfaseroptik bringen wir die Augen des potenziellen Käufers und Papier gleichermaßen zum Leuchten. Viele große Marken sind derzeit dabei, die Möglichkeiten für sich auszuloten. Eine ebenso imposante wie hochkomplexe Multisensorik-Box mit Licht und Ton für „Red Bull“ z.B. haben wir erst kürzlich realisieren können.

wrapped: Sie sitzen mit Ihrem Unternehmen in China und realisieren innovative Verpackungen. Ginge das nicht aus Deutschland heraus?

Rommel: Das kann man nicht ausschließlich beantworten. Fakt ist aber, dass man in China Produkte entwickeln und fertigen kann, die in Deutschland undenkbar bzw. unbezahlbar wären. Derzeit haben wir die Situation, dass Innovationen zwar im Westen erdacht, doch im Osten gemacht werden. Deshalb führt an China kein Weg vorbei, wenn man z.B. über multisensorische Applikationen nachdenkt. Hier gibt es sehr viele Möglichkeiten, überzeugende Added Value-Produkte zu kreieren, die die Verpackung in völlig neuem Glanz erscheinen lassen. Wenn man professionelles bilaterales Schnittstellen-Management beherrscht, kann trotzdem ein guter Teil der Wertschöpfung beim deutschen Verpackungshersteller verbleiben.

wrapped: Obwohl die Verpackung im Osten gemacht wird?

Rommel: Hier muss man differenzieren. Deutschland hat ganz andere Qualitäten als China. Alle denkbaren Druckarten und Veredelungstechniken können hier in höchster Effizienz mit Standardmaterialien perfekt dargestellt werden. Das geht aber nur, solange die Produkte maschinentechnisch im Inline-Verfahren realisierbar sind. Wie hoch der Anteil an der Wertschöpfung letztendlich ist, ist für mich auch ein kulturelles Problem. Ich nehme hiesige Unternehmen selten in Bezug auf Kreativität, Innovationskraft oder Experimentierfreude wahr. Der oft genannte hohe Preis mulitsensorischer Verpackungen ist für mich ein Pseudo-Argument. In Wirklichkeit geht es um Bedenkenträgertum und die mangelnde Risikobereitschaft, neue Wege in der Verpackung oder der Markenkommunikation zu gehen. Deshalb wird die grundsätzliche Haltung großen Einfluss am Anteil an der Wertschöpfung dieses Wachstumsmarktes haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

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