Wie viele Bienen verlassen täglich den Stock und wie viele Insekten kehren nach Erkundungs- oder Sammeltätigkeit wieder zurück? Die Aktivitäten oder Verluste in Bienenvölkern mit bis zu 50.000 Bienen konnten Imker bisher nur qualitativ schätzen. Belastbare Daten zu den Populationen ihrer Bienenstöcke wären für die Imker jedoch essenziell. Bisher mangelt es an Methoden, die belastbare Ergebnisse liefern könnten, um Bienenaktivitäten oder -verluste mit Umweltdaten wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Windgeschwindigkeiten in Korrelation zu setzen.
Qualitative Einschätzungen mit Messungen abgleichen
Matthias Wick, privater Imker in Baldham bei München, initiierte deshalb mit der Hochschule München (HM) das Projekt „Environment and Bee Monitor“ (EnBeeMo). Gemeinsam entwickelten sie einen Vorbau für Bienenstöcke, der die Bienen mithilfe KI zählt, ohne sie in ihrem natürlichen Verhalten zu beeinflussen. „Es ist extrem spannend, subjektive Wahrnehmungen mit Ergebnissen modernster Messtechnik abzugleichen. Fragen, die nach persönlichen Beobachtungen offenblieben, können nun im Idealfall geklärt werden. Ich hoffe, durch das Projekt die unterschiedlichen Standortbedingungen meiner Bienenvölker noch besser einschätzen zu lernen, um gezielter auf deren Bedürfnisse eingehen zu können“, sagt Imker Wick.
Projekt EnBeeMo: Bienenzählen mit KI
Wissenschaftlich treibt Prof. Dr. Herbert Palm, Leiter des Masterstudiengangs Systems Engineering sowie des gleichnamigen Labors, das Projekt EnBeeMo voran. Ziel ist es, die Volkszählung von Bienen gemeinsam mit den beiden Masteranden Lorin Arndt und Benjamin Eibl auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen.
Das setzt interdisziplinäre Zusammenarbeit voraus, denn bisher entwickelte Systeme scheiterten vorrangig an zwei Aspekten: Entweder waren sie nicht hinreichend genau, oder sie selbst beeinflussten das natürliche Verhalten der Bienen. „In EnBeeMo wollen wir statistisch belastbare Korrelationen von Bienenpopulationen und ihren Umwelteinflüssen herstellen – in einem ersten Schritt den natürlichen und in einem späteren Forschungsstadium den von Menschen gemachten“, sagt HM-Professor Palm.
Prototyp-Entwicklung: Kamera-Vorsatz, der Bienen mit KI zählt
In der Erprobungsphase 2021 wurde mit dem Vorsatz „EnBeeMo v1“ Bildmaterial von Bienen gesammelt und darauf die Bienen mittels sogenannter “Labels” markiert. Mit diesem Material trainierte Arndt im Anschluss den Algorithmus, sodass das System nun automatisiert Bienen erkennen kann. Im Verlauf des Projekts wurde von dem HM-Masteranden neben der Hardware auch die Effektivität der KI verbessert.
Im Anschluss entwickelte HM-Masterand Benjamin Eibl inzwischen den zweiten Prototyp „EnBeeMo v2“, welcher zusätzlich autark – ohne Anbindung an das lokale Stromnetz – funktioniert. Der Vorbau wird vor dem Bienenstock angebracht und erfasst ein- und ausfliegende Bienen mithilfe einer Kamera und zählt diese wieder mit einem lernenden System. Eine zusätzliche Infrarotbeleuchtung trägt zu einem homogen ausgeleuchteten und scharfen Kamerabild bei. Im Vergleich zu ähnlichen kamerabasierten Systemen beeinflusst das Licht im Infrarotbereich das natürliche Verhalten der Bienen nicht, da sie dieses nicht wahrnehmen.
Korrelationen zwischen Bienenverhalten und Umweltdaten herstellen
Bereits seit dem Frühjahr 2021 beobachten die beiden Prototypen, der zweite seit April 2022, jeweils ein Bienenvolk von Imker Wick in Baldham. In der Zusammenschau der Ergebnisse mit den konkreten Umweltdaten vor Ort wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Wind- und Böengeschwindigkeit soll überprüft werden, ob sich Zusammenhänge zwischen Bienenzahl und Umweltfaktoren ergeben. Künftig soll es auf diese Weise möglich sein, fundiert Zählungen vorzunehmen, die Standortfaktoren konkreter Bienenstöcke zu bewerten und Zusammenhänge zwischen beiden zu erkennen.
Bienen zählen mit KI: HM-Masterand Lorin Arndt montiert den Vorbau am Bienenstock von Matthias Wick, Hobbyimker in Baldham
Johannes Lesser