Maschinensicherheit in Industrie 4.0
Prüfen und Zertifizieren in der digitalen Arbeitswelt von morgen
BGN
Das Thema Industrie 4.0 beschäftigt seit etwa 3 Jahren immer mehr Branchen. Vor allem die großen Unternehmen der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie haben damit begonnen, Lösungen für Industrie 4.0 zu etablieren. Bei diesen Lösungen handelt es sich keinesfalls um Komplettlösungen, sondern eher um Insellösungen.
Dass diese Branchen eine Vorreiterrolle spielen, ist nicht überraschend: Nach Aussage des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) schöpft die Branche mehr als ein Drittel ihrer Erlöse aus Produktneuheiten. Vom ZVEI hören wir auch, dass heute bereits 15 Prozent aller mittelständischen Fertigungsunternehmen dezentral vernetzte, selbststeuernde Produktionsprozesse nutzen. Das ist bereits Industrie 4.0 und keine Science-Fiction mehr. Insofern handelt es sich bei Indus- trie 4.0 um ein Zukunftskonzept, das bereits begonnen hat und schrittweise weiterentwickelt wird – derzeit vor allem mit dem Schwerpunkt Fertigung in der Automobilindustrie.
Die Nahrungsmittelbranche ist da noch nicht ganz so weit. Sie wird sich aber zwangsläufig auf dieses Thema einstellen müssen. Denn Industrie 4.0 wird alle handwerklichen, industriellen und auch gesellschaftlichen Lebensbereiche umfassen.
Einheitliche Standards und Normen sind entscheidend
Damit aus Insellösungen irgendwann branchenübergreifende Komplettlösungen werden, bedarf es maßgeblich der Standardisierung. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass Standards und Normen von strategischer Bedeutung für Industrie 4.0 sein werden. Derzeit wird auf Normungsebene intensiv an einer sogenannten Referenzarchitektur gearbeitet, um den Bedarf und die Inhalte für Industrie 4.0 einzugrenzen.
Referenzarchitekturen sind für uns nichts Neues: Die BGN hat in den zurückliegenden Jahren im Bereich der Maschinensicherheit und der Steuerungstechnik Referenzarchitekturen maßgeblich mit gestaltet. So wie es derzeit aussieht, werden die Referenzarchitekturen auch unter dem Gesichtspunkt Industrie 4.0 ihre Gültigkeit behalten. Sie müssen allerdings angepasst oder eingefügt werden in die neue Systemwelt. Vor diesem Hintergrund besitzt die BGN – allen voran die dort angesiedelte Prüf- und Zertifizierungsstelle – eine gute Ausgangsposition. Man könnte hier sogar von einer Digitalisierungsdividende sprechen, die sich zukünftig auszahlen wird.
Die Zukunft ist teilweise schon Gegenwart
Was die neue Systemwelt angeht, so wird Industrie 4.0 jederzeit auf aktuelle Sensordaten und unbegrenzte Datenspeicher zugreifen und damit viel präziser werden. Sehr hohe Verfügbarkeit und individuelle Produktion werden untrennbar mit Industrie 4.0 verbunden sein, genauso wie intelligente Sensorik und Netzwerkanschluss in jedem Endgerät. Die technischen Voraussetzungen dafür gibt es schon: Intelligente Maschinenbauteile und Infrastrukturelemente können miteinander verbunden werden. Autonome Assistenzsysteme stellen sich weitgehend im Hintergrund auf die Bedürfnisse des Nutzers ein, ohne dass eine klassische Mensch- Maschine-Schnittstelle erkennbar ist. Prozessdaten bekommen systemweite Gültigkeit bei den Anwenderprogrammen. Die zugehörigen Algorithmen dafür sind in der Entwicklung.
Alle diese Prozesse laufen bereits und sind nicht mehr zu stoppen. Mit anderen Worten: In der Arbeitswelt ist die Zukunft teilweise schon Gegenwart. Eine Konsolidierung ist in Zukunft zu erwarten.
HOLZENER THESEN |
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zum Prüfen und Zertifizieren in der Arbeitswelt von Industrie 4.0 (Kloster Holzen, im Mai 2015)
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Veränderte Präventionsdienstleistungen
Das bringt zwangsläufig eine Veränderung unserer Arbeitsweise mit sich: Bisher haben wir in der Prävention hauptsächlich mit langjährigen Erfahrungswerten und Mittelwerten gearbeitet. In Zukunft werden unsere Dienstleistungen spezifischer und individueller ausgerichtet sein. Dazu gehört beispielsweise auch, dass gebräuchliche Begriffe wie etwa die "vorhersehbare Verwendung" einen anderen Bedeutungsinhalt bekommen werden. Grundsätzlich lässt sich abschätzen, dass das Prüfen und Zertifizieren von weniger Sichtprüfungen und mehr Konzeptprüfungen geprägt sein wird.
Parallel zur Standardisierung auf technologischem Gebiet laufen andere Prozesse im Bereich der Digitalisierung ab. Diese Prozesse werfen neue soziale Fragen auf. Insofern ist Industrie 4.0 nicht nur ein technisches, sondern auch ein industriepolitisches Thema und darüber hinaus auch ein komplexes gesellschaftspolitisches Handlungsfeld. Das erklärt auch das große Interesse von Politik und Medien an dem Thema. Es ist nicht überraschend, wenn in der Folge neue Begriffe wie "Arbeit 4.0" oder "Gesundheit 4.0" entstehen. Im Zusammenhang mit Industrie 4.0 wird häufig auch vom Internet der Dinge gesprochen.
Die Digitalisierung trifft nun auf die demografische Entwicklung. Allein die beiden Herausforderungen Digitalisierung und Demografie werden auch die Betriebe der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie sowie des Gastgewerbes unter einen erheblichen Veränderungsdruck setzen. In Zukunft wird das Motto gelten: Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert.
Die zunehmende Digitalisierung ist dabei, die Arbeit zu verändern. Es entstehen neue Geschäftsmodelle und damit neue Arbeitsformen und neue Berufsbilder. Das heißt: Nicht nur auf technologischem Gebiet betreten wir Neuland in der Arbeitswelt, sondern es müssen auch
- Gefährdungen neu identifiziert und Risiken neu bewertet werden sowie
- Methoden, Verfahren und Messgeräte dafür bedarfsweise neu entwickelt werden.
Zukunftsworkshop der Prüf- und Zertifizierungsstelle NV
Die Experten der Prüf- und Zertifizierungsstelle trafen sich Mitte Mai im Kloster Holzen zu einem Zukunftsworkshop, um die Rolle der Prüf- und Zertifizierungsstelle im Zeitalter Industrie 4.0 auszuloten und die Herausforderungen zu benennen.
Bei dem komplexen, interdisziplinären Thema Industrie 4.0 treffen unterschiedliche Sprach- und Denkwelten aufeinander. Der Workshop wurde genutzt, um mögliche Szenarien aus unterschiedlichen Blickwinkeln und unter verschiedenen Gesichtspunkten durchzuspielen. Zwangsläufig mussten dabei Fragen offen bleiben.
Entwicklungen mit Branchenblick verfolgen
Zum jetzigen Zeitpunkt weiß auch die Fachwelt nicht genau, wie sich Prozesse und Entwicklungen unter Industrie 4.0 vollziehen werden: mit welcher Geschwindigkeit, mit welcher Intensität und mit welchen konkreten Auswirkungen auf die Gestaltung der Arbeitsplätze und der Arbeitsorganisation in den einzelnen Branchen.
Wir müssen davon ausgehen, dass sich Marktstrukturen schneller verändern als in früheren Phasen des technologischen Wandels. Handlungsfelder gibt es für die BGN und die Prüf- und Zertifizierungsstelle in Zukunft genügend. Das zeigt ein Blick in die zahlreichen Plattformen und Foren zu Industrie 4.0 mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten. Wir werden sie intensiv verfolgen und dann entscheiden, was für unsere Mitgliedsbranchen adaptierbar erscheint. Die Ergebnisse können dann in Prüfgrundsätze einfließen. Beispielhaft wurden in diesem Zusammenhang genannt:
- die Verschmelzung von Sicherheits- und Automatisierungsaufgaben in der Maschinen- und Anlagensicherheit
- die soft- und hardwaremäßige Gestaltung der Arbeitsplätze im Rahmen der Produktionsergonomie
- die Schnittstellen und Analogien zwischen Safety (Betriebssicherheit) und Security (Angriffssicherheit) bei der funktionalen Sicherheit
- bis hin zu Qualifizierungs- und Weiterbildungsangeboten für Hersteller und Betriebe, die bei der BGN versichert sind.
Die inhaltlichen Aspekte des Workshops werden uns fortan begegnen: mal in technologischen Fragestellungen, mal im Rahmen angefragter Dienstleistungen oder als Fragen zu intelligenter Wartung und Instandhaltung und zu logistischen Fragestellungen