Unzulässig: Forscher finden gesundheitlich bedenklichen Textilfarbstoff in Lebensmitteln

19.09.2016 - Deutschland

Veröffentlichung im internationalen Journal „Food Control“: Neuer Analyse-Ansatz der Universität Hohenheim weist Azo-Farbstoff „Reactive Red 195“ in Produkten für Lebensmitteleinsatz nach.

Angeblich sollten nur natürliche Farbstoffe enthalten sein: Mit speziellen Analyseverfahren wollen Lebensmittelwissenschaftler der Universität Hohenheim den für Lebensmittel nicht zugelassenen Textilfarbstoff „Reactive Red 195“ in einem angeblichen „Hibiskus- und Rote-Bete-Extrakt“ nachgewiesen haben. „In der Lebensmittelproduktion werden solche Produkte eingesetzt, um wiederum andere Lebensmittel appetitlich rot zu färben“, erläutert Lebensmittelwissenschaftler Prof. Dr. Reinhold Carle die Brisanz. Das untersuchte Produkt sei vermutlich 2015 auf den Markt gekommen und sollte laut Spezifikation lediglich natürliche Farbstoffe beinhalten. Weil es aber so viel intensiver färbe als bekannte natürliche Lebensmittelfarbstoffe, hätten Lebensmittelhersteller Verdacht geschöpft und sich an die Lebensmittelexperten der Universität Hohenheim gewandt. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Wissenschaftler in der kommenden Dezember-Ausgabe von „Food Control“. Online sind sie bereits veröffentlicht unter dx.doi.org/10.1016/j.foodcont.2016.06.012/ (rechts neben dem Atikel verlinkt.)

fotolia_Valeria Tarleva

Rote beete als natürliches Färbemittel

Unbehandelt hätten beispielsweise Wurst und zubereitete Fleischwaren einen grau Farbton, erläutert Prof. Dr. Reinhold Carle, Lebensmittelwissenschaftler der Universität Hohenheim: „Damit sie appetitlicher aussehen, färben Lebensmittelhersteller ihre Produkte z.T. mit natürlichen Farbstoffen. Sind diese Farbstoffe in sogenannten färbenden Lebensmitteln enthalten, müssen diese nicht als Zusatzstoffe mit E-Nummern auf der Verpackung deklariert werden.“

Allerdings leiden die meisten natürlichen Lebensmittelfarbstoffe an geringer Licht- und Hitzestabilität. Bei unterschiedlichen pH-Werten veränderten sie teilweise auch ihren Farbton. Lebensmittelhersteller wünschten sich daher einen natürlichen Farbstoff, der stabiler sei.

Im Jahr 2015 sei ein neues Produkt auf den Markt gekommen, das dieses Wundermittel zu sein schien. Es habe intensiv und dauerhaft rot gefärbt. Laut Spezifikation habe es allein aus Rote-Bete- und Hibiskus-Extrakten bestanden. „Damit durfte es als natürlich färbendes Lebensmittel bezeichnet werden.“


Die versprochene Stabilität der Färbung habe bei mehreren Lebensmittelherstellern jedoch Zweifel aufkommen lassen, ob das neue Produkt wirklich allein aus natürlichen Zutaten bestünde. Sie hätten sich deswegen an Prof. Dr. Carle und sein Team vom Lehrstuhl Technologie und Analytik pflanzlicher Lebensmittel an der Universität Hohenheim gewandt.

Zugespielte Materialproben enthalten höchstwahrscheinlich „Reactive Red 195“


Für die folgenden Untersuchungen hätten Prof. Dr. Carle und sein Team drei Proben des Färbemittels benutzt, die ihnen von drei Lebensmittelherstellern aus der Bundesrepublik, Frankreich und der Türkei überlassen worden seien. Den Lebensmittelherstellern sei das Material von Händlern angeboten worden.

Nach mehreren Anläufen sei es den Wissenschaftler gelungen, den Verdacht der Lebensmittelhersteller zu erhärten: Laut ihrer Einschätzung rührt die rote Farbe von dem Textilfarbstoff „Reactive Red 195“, der für Lebensmittel nicht zugelassen sei.

Farbstoff-Vergleich erhärtet Verdacht

Bei ihrem Urteil stützen sich die Wissenschaftler auf ein neues, aufwändiges Analyse-Verfahren (Flüssigkeitschromatographie mit gekoppelter Massenspektrometrie), entwickelt von Dipl.-LM-Ing. Judith Müller-Maatsch, die am Lehrstuhl von Prof. Dr. Carle promoviert. Wie in ihrer Publikation beschrieben, hätten sie damit in dem Färbemittel jedoch lediglich Spuren charakteristischer Rote-Bete-Pigmente (Betalaine) entdeckt. Die deklarierten Hibiskus-Pigmente (Anthocyane) hätten gänzlich gefehlt. Stattdessen habe das Färbemittel ein zunächst unbekanntes Farbpigment enthalten, das die Farbbrillanz und Stabilität ausmache.

Diese unbekannte Komponente zeige übereinstimmende Eigenschaften mit einem zum Färben von Textilien verwendeten Azofarbstoff. „Die Analysedaten ließen uns vermuten, dass „Reactive Red 195“ beigemischt sein könnte. Deshalb analysierten wir den Original-Textilfarbstoff in einer vergleichenden Untersuchung“, so Prof. Dr. Carle.

Das Ergebnis sei eindeutig, so der Lebensmittelexperte: „Wir können zweifelsfrei davon ausgehen, dass alle drei Muster den identischen Textilfarbstoff enthielten.“

Farbstoff ist nach der Weiterverarbeitung in Lebensmittel kaum noch nachweisbar

Was die Überwachung erschwert: Sobald das Färbemittel in Lebensmitteln verarbeitet wird, sei es kaum noch nachzuweisen. „Der Grund für die Analyse-Schwierigkeiten liegt in der Natur des Textilfarbstoffes“, erklärt Prof. Dr. Carle: „Reaktiv-Farbstoffe wie „Reactive Red 195“ reagieren mit organischen Stoffen und verbinden sich weitgehend untrennbar mit ihnen.“

Bei Textilien sei das so gewünscht: Textilfarbstoffe sollen sich z.B. fest an die Baumwollfasern eines T-Shirts binden, damit sie beim Waschen nicht ausbleichen. Da Lebensmittel auch aus organischem Material bestünden, trete hier der gleiche Effekt ein. Daher seien diese Farbstoffe nach dem Einbringen in Lebensmitteln kaum noch nachweisbar.

Azofarbstoffe: Seit 2007 Warnhinweis für Lebensmittel – Textilfarben waren nie erlaubt

„Was “Reactive Red 195“ im Körper genau bewirkt, wissen wir nicht. Bekannt ist, dass die Chemikalie zu den Azofarbstoffen gehört. Einige stehen im Verdacht, bei Kindern zu Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörungen zu führen“, sagt Prof. Dr. Carle. Aufgrund der sogenannten Southampton-Studie von 2007 müssten Lebensmittel, die solche Farbstoffe enthalten, seit 2010 in der EU den Warnhinweis tragen: „Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen“.

Als Textilfarbstoff sei „Reactive Red 195“ jedoch zu keinem Zeitpunkt in Lebensmitteln erlaubt gewesen. „Ein Versehen erscheint uns unwahrscheinlich“, erklärt Prof. Dr. Carle. „Die Vorgehensweise legt nahe, dass hier ein Experte am Werk war, der das Lebensmittelrecht kennt und weiß, wie man durch täuschende Produktdeklaration die Gesetze umgehen kann.“


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