Nahrung wird grüner - Lebensmittelbranche entdeckt Bioökonomie

27.10.2016 - Deutschland

Die Zukunft der Lebensmittelproduktion könnte grün wie Algen sein. Bestimmte Typen seien sehr eiweißreich, hätten viel Vitamin B und unter anderem eine antibakterielle und antivirale Wirkung, sagen Experten des Deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik. Hinzu kommt, dass Algen bei der Produktion das Klimagas Kohlendioxid nicht ausstoßen, sondern aufnehmen. "So etwas ins Lebensmittel einzubringen, ist doch eine gute Sache", sagt Bastian Dörrbecker.

Er ist Wissenschaftler bei dem Institut in Quakenbrück, das zusammen mit dem Innovationszentrum Niedersachsen gerade die erste Bioökonomietagung des Landes in Hannover organisiert hat. Es geht um Bioökonomie in der Ernährungswirtschaft - also um die Frage, wie man Lebensmittel möglichst nachhaltig und umweltschonend herstellen kann.

Dörrbecker präsentiert vier Testprodukte, die zeigen sollen, was man alles machen kann: Er und sein Team haben ein Brot gebacken, aus Weizenmehl und Mikroalgen zum Beispiel. Für den Fußball-Fernsehabend hat das Institut Flips produziert, aus Mais, Weizenmehl und Algenpulver. Dazu gibt es Milcheis mit Algenzusatz, und Schokolade - mit Alge.

Die Produkte sehen grün aus - und schmecken für manche durchaus interessant, und zwar nicht im negativen Sinn. Der Algengeschmack ist mehr oder weniger präsent, ungewohnt zwar, aber nicht eklig. "Wir wollten zeigen, dass man Algen in die Lebensmittelproduktion mit einbringen kann", sagt Dörrbecker.

Bioökonomie sei seit etwa einer Dekade in Deutschland ein großes Thema, sagt Christian Rehmer, der sich bei der Umweltschutzorganisation BUND mit Agrarpolitik beschäftigt. "Bioökonomie ist im engeren und weiteren Sinn alles, was mit nachwachsenden Rohstoffen zu tun hat." Es geht um neue Konzepte zur nachhaltigen Nutzung natürlicher Rohstoffe. Etwa, ob sich aus Öl hergestellte Kunststoffe durch Pflanzenprodukte wie Kautschuk ersetzen lassen.

Das hört sich erst einmal sehr gut an. Aber Umwelt- und Naturschützer reagieren dennoch kritisch auf die Debatte. "Es kommen neue Interessen in einen ohnehin schon sehr schwierigen Interessenkreis hinein", sagt Rehmer. Die Gefahr bestehe, dass Agrarrohstoffe - Getreide, Fleisch oder auch Algen - nur noch als Rohstoffe betrachtet werden. "Aber die Art, wie der Rohstoff produziert wird, kommt dabei aus dem Blick." Aus Sicht der Bioökonomie spiele etwa der Aspekt des Tierwohls bei der Fleischproduktion nicht unbedingt eine große Rolle.

Die sehr komplexen Themen würden derzeit eher in Fachkreisen diskutiert, ergänzt Steffi Ober vom Naturschutzbund Nabu. "Im Grunde haben wir dazu keinen öffentlichen Diskurs", klagt sie. Die Debatte werde im Wesentlichen von Industrie und Lobbyverbänden vorangetrieben. Erst jetzt wachen ihrer Ansicht nach auch die Umweltverbände langsam auf und beschäftigen sich mit dem Thema.

Aber trotz der Komplexität und des Argwohns mancher Kritiker - die Lebensmittelbranche kommt um das Thema Nachhaltigkeit nicht herum, wie der Direktor des Deutschen Instituts für Lebensmitteltechnik (DIL), Volker Heinz, sagt. Der Einsatz und das Nutzen von Ressourcen seien im Lebensmittelsektor derzeit noch wenig nachhaltig. "Wir müssen uns überlegen, wie wir bei knappen Rohstoffen, da zählt vor allem das tierische Protein dazu, zu Alternativen kommen können."

Da gibt es nicht nur Algen. In Frage kommen auch Insekten - sei es als Nahrung für Menschen oder als Nahrung für Tiere, um wiederum andere Ressourcen zu schonen - etwa Land, das weniger für den Anbau von Futterpflanzen benutzt werden müsste.

Es ist offensichtlich: Die Beziehungen in den Wertschöpfungsketten der Lebensmittelerzeugung sind komplex. Und es gibt Zielkonflikte, wie auch Heinz einräumt: Wenn man um des Tierwohls Willen etwa nicht auf Hochleistungsrassen setzt, sondern auf langsamer wachsende klassische Tierrassen, nimmt man in Kauf, dass die Tiere länger leben und mehr fressen. "Die Produktion ist also weniger nachhaltig", sagt Heinz.

Das Thema treibt die Branche um. Es sei absehbar, dass auch Lebensmittelpackungen eine Kennzeichnung haben müssen, wie groß der ökologische Fußabdruck ist - ähnlich, wie auch bei Autos oder Kühlschränken die Energieeffizienz angegeben werden müsse, sagt Heinz. Das DIL hat deswegen auch eine App entwickelt, die den Ressourcenverbrauch einzelner Lebensmittel errechnet. Noch ist die aber nur etwas für Fachleute. Nabu-Expertin Ober hat aber einen Tipp: Die Umweltstiftung WWF habe einen Footprint-Rechner, mit dem jeder seinen ökologischen Fußabdruck berechnen lassen könne./eks/DP/she (dpa)

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