Bewerber im Gefühlschaos: "schwankend, schwankend immer sehr schwankend"

Ethnologe leuchtet in Zusammenarbeit mit softgarden die Bewerbung als Erlebnisraum aus

14.03.2017 - Deutschland

Den Bewerber an sich gibt es nicht, ebenso wenig wie die Bewerbungserfahrung - je nach Typ und Vorerfahrung lösen die Prozesse völlig unterschiedliche Emotionen aus. Das ist das Ergebnis einer Studie, die in Zusammenarbeit mit softgarden von Prof. Dr. Manfred Seifert durchgeführt wurde. Der Ethnologe stellt aber nach 100 Tiefeninterviews zugleich fest, dass sich aktuell ein "Großteil der Bewerber im Lauf der Bewerbung unangemessen behandelt fühlt".

softgarden/upstruct

Bewerber im Gefühlschaos: "schwankend, schwankend immer sehr schwankend" / Ethnologe leuchtet in Zusammenarbeit mit softgarden die Bewerbung als Erlebnisraum aus / Stimmen der teilnehmenden Bewerbe

100 Tiefeninterviews

Seifert ist Professor am Institut für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft der Philipps-Universität Marburg und Sprecher der Kommission "Arbeitskulturen" in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde. Für die Studie haben der Ethnologe und sein Team Ende 2016 100 telefonische Tiefeninterviews mit Bewerberinnen und Bewerbern durchgeführt.

Bewerbung als Schwellenmoment

"Das Thema "Bewerbung" hat für Europäische Ethnologen seinen besonderen Reiz", sagt Professor Seifert. "Das ist ein Schwellenmoment, in dem die Bewerber Anschluss oder Fortsetzung auf dem Arbeitsmarkt suchen. Da spielen technische oder juristische Rahmenbedingungen ebenso eine Rolle wie die Verhältnisse auf den Arbeitsmärkten. Menschen setzen sich besonders intensiv mit ihren persönlichen Herausforderungen, aber auch mit Wünschen an die Arbeitswelt auseinander", berichtet Seifert.

"Die Bewerbungserfahrung" gibt es nicht

Professor Seifert hat eine Vielzahl verschiedener Stimmungslagen bei seinen Gesprächspartnern identifiziert. Da gibt es die selbstsicheren Macher mit Nehmerqualitäten und hohen Ansprüchen, die sich auf die mit der Bewerbung verbundenen Veränderungen freuen und eher optimistisch gestimmt sind neben solchen, die starke Empfindungen von Machtlosigkeit oder Sorge durchleben. Bei einigen Bewerbern kommt im Lauf des Verfahrens die ganze Bandbreite der Gefühle vor. Als "schwankend, schwankend, immer sehr schwankend" bezeichnete eine Interviewpartnerin ihre Gefühle im Bewerbungsverfahren, andere vergleichen die Bewerbungsemotionen mit einer "Achterbahnfahrt".

Starker Wunsch nach persönlichem Kontakt

In den Bewerbungsverfahren schätzen die Befragten vor allem den persönlichen Kontakt zum potenziellen Arbeitgeber. Dazu gehört auch eine transparente und schnelle Abwicklung des Auswahlverfahrens sowie die Möglichkeit, bei einer Absage ein auf die Qualität der eigenen Performance eingehendes Feedback zu bekommen. "Dies wird oftmals mit dem Wunsch verbunden sich verbessern zu können", sagt Professor Seifert.

Wie eine Ware behandelt

Viele Interviewpartner empfinden den Umgang von Arbeitgebern mit Interessierten als unangemessen oder gar respektlos. Dabei spielen vor allem die "gefühlt" zu lange Dauer des Prozesses eine Rolle, ebenfalls die Enttäuschung darüber, oft gar keine Rückmeldungen oder lediglich einen Zwischenstand zu bekommen oder automatisierte Standardabsagen zu erhalten. Bewerber wiesen im Gespräch mit den Ethnologen immer wieder darauf hin, nicht menschlich, nicht individuell behandelt worden zu sein: "Also man bewirbt sich ja als Person, als Mensch und ich werde aber eigentlich behandelt als eine Ware, die auf amazon.de angeboten wird," so eine Interviewpartnerin.

Hohe Ansprüche bei den Jungen

Mit steigender Bewerbungserfahrung werden Bewerber offensichtlich etwas gelassener im Umgang mit standardisierten Absagen und ähnlichen Phänomenen im Massenprozess Bewerbung. Professor Seifert hat aber auch einen Typus des jungen Berufseinsteigers beobachtet, der über keine tieferen Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt verfügt und zugleich ein stark auf Persönlichkeitsbildung, Eigenverantwortlichkeit und Lebensfreude fokussiertes Arbeitsverständnis mitbringt. "Hier dürften gewisse Inkongruenzen zwischen Erwartung und Realität im Bewerbungsverfahren wie im späteren Berufsalltag programmiert sein," sagt Seifert.

Quantitative Umfrage

Den Interviews ging eine quantitative, im Sommer und Herbst 2016 von softgarden durchgeführte Online-Umfrage voraus, an der rund 3.500 Bewerberinnen und Bewerber teilnahmen. Für 84,3% der Befragten war die Bewerbung mit "starken Gefühlen" verbunden. Die Teilnehmer verglichen die Bewerbung als Lebenssituation mit Partnerschaft und Partnersuche oder auch mit Prüfungsszenarien. Studienfazit zum Download

Studie zum Download

Die Ergebnisse der Interviewanalysen wie auch der quantitativen Umfrage stehen als E-Book zum Download (rechts neben dem Artikel verlinkt) zur Verfügung. Das E-Book zu den Interviews enthält neben einen Management Summary der Analyse auch ein Interview mit Professor Seifert zum pragmatischen Nutzen der ethnologischen Methode.

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