Neue Rebsorten gegen Klimawandel und Mehltau
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Sie heißen Calardis blanc, Cabernet Cortis oder VB Cal 6-04: Neue Rebsorten sollen den Weinbau in Deutschland auch in Zeiten des Klimawandels sichern. Denn die den Weintrinkern vertrauten Rebsorten bekommen zunehmend Probleme. "Wir haben unseren Riesling am Kaiserstuhl gerodet, der Anbau ist bei steigenden Temperaturen nicht mehr sinnvoll", sagt etwa der Direktor des Staatlichen Weinbauinstituts in Freiburg, Rolf Steiner.
Bei der Züchtung neuer Rebsorten geht es sowohl um die Anpassung an den Klimawandel als auch um die Entwicklung pilzwiderstandsfähiger Varianten. Die Neuen werden daher kurz "Piwi-Sorten" genannt.
Bislang haben Piwi-Reben einen Marktanteil von etwa drei Prozent der Anbaufläche in Deutschland. Der größte Teil entfällt auf den schon länger eingeführten Regent, dem Experten aber keine Zukunft geben. Der Direktor des Julius-Kühn-Instituts für Rebenzüchtung auf dem Geilweilerhof in Siebeldingen (Kreis Südliche Weinstraße), Reinhard Töpfer, erwartet, dass es in zehn Jahren bereits zehn Prozent sein werden: "Der Klimawandel wird uns zu einem Sortenwandel zwingen."
Der Riesling werde noch eine ganze Weile eine feste Größe im deutschen Weinbau sein. Aber Veränderungen seien unausweichlich. "Wir wollen nicht, dass wir künftig unseren Wein in Schweden produzieren."
Riesling ist empfindlich gegen starke Sonneneinstrahlung, die Winzer sprechen von Sonnenbrand. Und wenn die Riesling-Trauben wie in diesem Jahr erwartet bereits im September reifen statt im Oktober, sind sie bei den dann wärmeren Temperaturen anfällig für den Fäulnispilz Botrytis. Für die Rebzüchter gehören somit Widerstandsfähigkeit gegen Pilzerkrankungen und Anpassung an den Klimawandel zusammen.
Zu den konkreten Zuchtzielen in Freiburg wie in Siebeldingen gehören: - eine spätere Blüte und Reife, - kombinierte Resistenz gegen die Pilzerkrankungen Echter und Falscher Mehltau, - lockere Anordnung der Beeren an der Traube zur Vermeidung von Botrytis, - gute Holzreife und gerader Wuchs, - vor allem aber ein ansprechendes Geschmacksprofil. Die Widerstandsfähigkeit bei Pilzerkrankungen ermöglicht es, dass der Winzer nur noch zwei- bis dreimal im Jahr Pflanzenschutzmittel einsetzen muss - statt acht- bis zehnmal bei herkömmlichen Rebsorten.
Damit kommen die Piwis besonders den Bedürfnissen des ökologischen Weinbaus entgegen. Ganz ohne Spritzen werde es auf absehbare Zeit indes nicht gehen, sagen die Züchter.
"Unsere Gegenspieler, also die Pilze, sind sehr clever", erklärt der private Rebenzüchter Volker Freytag in Neustadt an der Weinstraße. "Sie vermehren sich milliardenfach und finden Wege, um die Resistenz zu umgehen. Irgendwann werden sie den Schutz knacken."
Weiter südlich, am Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg, kümmert sich Gärtnerin Liane Veith um Aussaat und Jungpflanzen. Im März hat sie 1700 Traubenkerne ausgesät, jeder Kern nach gezielter Kreuzung eine eigene Sorte. Von diesen entwickelten sich 1100 zu einzelnen Sämlingen, die zweimal mit den verschiedenen Mehltaupilzen infiziert wurden.
Nach der Infektion mit dem Falschen Mehltau blieben 110 Pflanzen ohne Krankheitssymptome übrig, nach dem zweiten Besprühen mit Erregern des Echten Mehltaus waren es noch 30. Diese Pflanzen werden dann als Kandidaten für eine weitere Verwendung ins Freiland ausgesetzt und weiter beobachtet.
Für eine neue Sorte werden die resistenten Reben, deren Eltern oft Wildreben aus Amerika oder Asien sind, mit europäischen Qualitätsrebsorten gekreuzt. Das alles ist ein langer Weg: Von der Kreuzung bis zum ersten nennenswerten Ertrag dauert es etwa zehn Jahre. Erst wenn eine entsprechende Menge von Trauben da ist, lässt sich die Weinqualität einschätzen. Einschließlich weiterer Kreuzungen, Tests und Zulassung erstreckt sich die Zucht einer neuen Rebsorte über 25 bis 30 Jahre.
Für die Zulassung von Rebsorten ist in der EU das Gemeinschaftliche Sortenamt (CPVO) in der westfranzösischen Stadt Angers zuständig. Im Versuchsanbau werden sie zunächst mit Zuchtbezeichnungen wie VB Cal 6-04 geführt - das VB steht hier für den Schweizer Züchter Valentin Blattner, der eng mit der Rebschule Freytag zusammenarbeitet.
Pilzresistenz ist aber kein Selbstzweck. An erster Stelle steht für die Züchter der Geschmack des Weins, und dieser lässt sich erst ganz zuletzt beurteilen. Es sei möglich, in der Rebenzucht Geschmacksrichtungen zu erzielen, die dem typischen Riesling-Geschmack ähnlich seien, erklärt Freytag: "Wir werden nicht den Riesling ersetzen. Wir können ähnliche Sorten entwickeln - aber warum sollen die nicht auch anders schmecken?"
Für die Winzer sind die neuen Sorten eine doppelte Herausforderung. "Das ist alles Neuland", sagt der Freiburger Öko-Winzer Andreas Dilger, der seine Anbaufläche von fünf Hektar mit sechs weißen und sechs roten Piwi-Sorten bepflanzt hat. "Ich musste erst selbst herausfinden, welche Probleme im Anbau und Ausbau auftreten können."
Auch gebe es noch kein klares Geschmacksprofil für die einzelnen Piwi-Sorten, erklärt Martin Koch vom Weingut Abthof in Hahnheim. Er plädiert dafür, die Weine aus Piwi-Sorten mit einem möglichst hohen Qualitätsanspruch im Fass reifen zu lassen und die Verbraucher mit besonders guten Weinen zu überzeugen.
"Neben all den vielen Vorteilen ist die schwierige Vermarktung die einzige Achillesferse der neuen Sorten", sagt der Betriebsleiter im badischen Weingut Zähringer, Paulin Köpfer. Der Öko-Winzer im Markgräflerland setzt Piwis unter anderem für Cuvée-Weine ein, die für eine jüngere Zielgruppe flotte Phantasienamen bekommen.
Die Württemberger Jungwinzerin Anja Gemmrich aus Beilstein (Kreis Heilbronn) hat für die Piwi-Weine den Namen "Unkaputtbar" gewählt.
"Damit bringen wir zum Ausdruck, dass sie nicht von Pilzen zerstört werden können." Diese Linie steht groß auf dem Etikett, darunter kleiner die Rebsorte und die Herkunft auf der Rückseite. Gar nicht "unkaputtbar" ist in diesem Jahr der Lieblingswein der Württemberger: "Unser Trollinger leidet ganz arg unter der Hitze", klagt Gemmrich.
Viele Winzer ziehen zunächst noch andere Möglichkeiten vor, um ihre Reben an höhere Temperaturen anzupassen, ehe sie sich auf das Piwi-Experiment einlassen. Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut nennt dabei die Nutzung höherer oder weniger sonnenreicher Lagen und den Minimalschnitt - eine extensive Anbaumethode, um die Traubenreife zu verzögern.
"Weinkultur ist ein lebendiger Prozess", sagt Köpfer. "Wir haben mit den Piwis die große Chance, neue Aromen zu entdecken." So wie von Biodiversität, von Artenvielfalt gesprochen werde, so sollte man auch Geschmacksdiversität, Vielfalt und kulturelle Unterschiede schätzen. "Viele Kunden kaufen den Grauburgunder, weil sie ihn einfach kennen. Dabei würden sie vielleicht mit einem Piwi-Wein wie dem Johanniter glücklicher."/pz/DP/zb (dpa)