Braucht es noch Feldbiologen?

ETH-Zukunftsblog

14.12.2018 - Schweiz

Dank Digitalisierung forschen Ökologen immer seltener im Feld. Doch auf digitale Daten allein sollte man sich nicht verlassen, findet Christoph Küffer. Ein Plädoyer für die Feldforschung.

ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Brockmann

Pioniere der Pflanzenökologie um Eduard August Rübel (in weiss) auf einer Exkursion am Vesuv im Jahre 1923.

Wer noch vor wenigen Jahren in Ökologie doktorierte, erhob seine Daten in der freien Natur begleitet von Regen, Mücken und Schweiss. Man verbrachte den Sommer in einem Wald, auf einer Wiese oder im Gebirge und bestimmte Pflanzenarten, sammelte Insekten oder beprobte den Boden.

In den letzten Jahren hat die Feldforschung an Universitäten an Bedeutung verloren. Immer öfters erheben Ökologinnen und Ökologen Vegetationsdaten mittels Laser-Scanning aus dem Flugzeug. Oder sie ergründen ökologische Mechanismen anhand von Modellsystemen im Labor und testen Hypothesen mit Big-Data–Analysen am Computer.

Doch in Zeiten grosser digitaler Datenmengen geht gern vergessen, wie bedeutend die Feldforschung bis heute für das Verständnis von Ökosystemen ist – und dass Wissenschaftler der Universität und ETH Zürich um 1900 das damals noch junge Forschungsgebiet der modernen Ökologie entscheidend prägten.

Anfangs des 20. Jahrhunderts war Zürich eines der weltweit führenden Zentren der frühen modernen Ökologie und die von Eduard August Rübel gegründete Stiftung «Geobotanisches Institut Rübel» sozusagen ihre Koordinationszentrale. In diesem Jahr feiert die eng mit der ETH Zürich verbundene Stiftung Rübel ihr 100-jähriges Jubiläum – weitgehend im Stillen. Anlass genug für mich, anhand von drei frühen Forschungsthemen aufzuzeigen, wie aktuell die Feldbiologie geblieben ist.

Wechselspiel zwischen Vegetation und Boden

Die ETH-Forschungsassistenten Josias Braun-Blanquet und Hans Jenny verbrachten den Sommer 1925 gemeinsam im Schweizer Nationalpark. Braun-Blanquet untersuchte die Bergwiesen, Hans Jenny die darunterliegenden Böden. Gemeinsam konnten sie zeigen wie sich Vegetation und Böden dynamisch aneinander anpassen.1 Später wurde Braun-Blanquet zu einem führenden Wissenschaftler der Vegetationskunde des 20. Jahrhunderts, Hans Jenny in Berkeley zu einem Vater der modernen Bodenkunde.

«Die ökologischen Wechselwirkungen in der Natur sind komplex. Nur durch detaillierte Studien draussen können wir sie frühzeitig erkennen.» Christoph Küffer

Ein halbes Jahrhundert später trafen sich der Vegetationskundler Dieter Mueller-Dombois und der Bodenökologe Peter Vitousek auf der anderen Seite der Erde in einem tropischen Wald von Hawaii, um den Einfluss des invasiven und Stickstoff-fixierenden Baums Myrica faya auf die extrem nährstoffarmen Vulkanböden zu untersuchen. Sie dokumentierten, wie das Auftreten einer neuen Baumart innert weniger Jahre die Böden düngen und so das gesamte Ökosystem auf den Kopf stellen kann. Ihre Publikation aus Hawaii wurde zu einer Schlüsselpublikation der Ökologie des Globalen Wandels.2

Die ökologischen Wechselwirkungen in der Natur sind komplex und verändern sich ständig. Nur durch detaillierte Studien draussen können wir diese frühzeitig erkennen. Das gilt auch heute noch.

Von Vegetationstypen zu Klimamodellen

Die Stiftung Rübel koordinierte im frühen 20. Jahrhundert die «Internationalen Pflanzengeographischen Exkursionen».3 Die besten Ökologen aus den USA, England, Skandinavien und Mitteleuropa trafen sich wiederholt für wochenlange Feldexkursionen, um gemeinsam Pflanzengesellschaften verschiedener Regionen zu charakterisieren und Beschreibungen von Vegetationstypen zu vergleichen. Daraus entstand ein weltweit gültiges Vegetationsklassifikationssystem, das eine wichtige Voraussetzung für die globale ökologische Forschung wurde.

Noch heute verlassen sich Klimamodelle auf standardisierte Vegetationsklassifizierungen, um die Wechselwirkungen zwischen Erdoberfläche und Atmosphäre zu bestimmen. Im Kleinen bilden Vegetationskarten in den meisten Ländern die Grundlage für die Planung neuer Nationalparks und Naturschutzgebiete oder für Umweltverträglichkeitsprüfungen.

Frühe Invasionsbiologie und Stadtökologie

Im 19. Jahrhundert erstellten Zürcher Botaniker wie Martin Rikli, Otto Nägeli und Albert Thellung eine erste Flora des Kantons Zürich. Bereits damals beschäftigten sie sich mit der Veränderung der Flora durch den Menschen: Sie klassifizierten gebietsfremde Arten aufgrund ihres Ausbreitungsverhaltens und interessierten sich für die Stadtflora Zürichs.

Damit stellten die Zürcher Vorreiter Fragen, die aktuell im Brennpunkt ökologischer Trendthemen wie der Invasionsbiologie oder Stadtökologie stehen. Hätten sie in Englisch statt Deutsch und Französisch publiziert, dann wären ihre Analysen wohl nicht erst ein Jahrhundert später als Grundlagenwerk der weltweiten Diskussion um invasive Arten erkannt worden.4

Das Fundament der ökologischen Forschung

Heute arbeiten viele Ökologen im Labor oder am Computer. Das hat sicher seine Berechtigung. Doch selbst im Zeitalter der Digitalisierung reicht es nicht, sich auf moderne Methoden und rein digitale Daten zu verlassen – denn deren richtige Interpretation bedingt die vertiefte Kenntnis der Zusammenhänge im Feld.

Die drei historischen Beispiele zeigen, wie dank der Feldbiologie Veränderungen in der Natur frühzeitig erkannt werden, Computermodelle und Planungsinstrumente den Realitätsbezug nicht verlieren, und kreative Ideen und neue Theorien entstehen können. Es braucht sie also noch, die Expertise der Feldbiologinnen und -biologen, die den Gang in die Natur wagen und mit Artenkenntnis und Detailtreue festhalten, was sie beobachten.

Originalveröffentlichung

1 Braun-Blanquet, J., H. Jenny 1926. Vegetations-Entwicklung und Bodenbildung in der alpinen Stufe der Zentralalpen (Klimaxgebiet des Caricion curvulae): Mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im schweizerischen Nationalparkgebiet (Vol. 4, Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung des Schweizer. Nationalparks). Denkschriften der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft. Band LXIII Abh. 2. Zürich: Fretz.

2 Vitousek, P., L. R. Walker, L. D. Whiteaker, D. Mueller-Dombois, P. A. Matson. 1987. Biological invasion by Myrica faya alters ecosystem development in Hawaii. Science 238: 802-804.

4 Kowarik, I., & Pyšek, P. 2012. The first steps towards unifying concepts in invasion ecology were made one hundred years ago: revisiting the work of the Swiss botanist Albert Thellung. Diversity and Distributions 18(12): 1243-1252.

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