Trüffeltorte statt Sachertorte

Comeback in Aspik - Sülze wird wieder mehr nachgefragt

13.03.2019 - Deutschland

Für die einen ist sie Armenspeise, für andere kalorienarme Kost, manche ekeln sich aber auch wegen der glibberigen Konsistenz. Sülze hat schon einen handfesten Skandal ausgelöst, aber auch Rekorde gebracht. Nun könnte sie ein kleines Comeback erleben.

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Tafelspitz vom Rind, Karotten, Sellerie, Lauch, Knoblauch und Petersilie köcheln in einem Topf auf dem Herd.

Und Zwiebeln mit rußschwarzer Oberfläche. «Die sind abgebrannt für die Farbe. Und der Zuckergehalt karamellisiert dann», erklärt Mario Klaric, Inhaber und Koch im Wirtshaus im Braunauer Hof in München. Er macht heute Sülze, wie er sie einst in seiner Meisterprüfung servierte. In den Sud kommt später Sülzepulver, also Gelatine für die Konsistenz. Man könnte auch einen Kalbskopf oder Schweineknochen für einen Fond auskochen. «Aber dann wird es für die Gäste teuer.»

Bis zu zwei Stunden sieden Gemüse und Fleisch. Dann geht's ans Schichten: «Wie bei einer Trüffeltorte», sagt Klaric. Erst Sud, der abkühlen muss. Dann Tafelspitz, dann Sud, dann Gemüse. Immer wieder kühlen zwischendurch. Gut 45 Minuten dauert die Prozedur. Vor allem im Sommer steht Sülze auf der Speisekarte. Manche Gäste kämen extra deswegen, sagt Klaric. Bis zu 180 Portionen pro Woche bereitet er vor. «Aber es passiert auch, dass sie ausgeht.» In der Tat: Nach Einschätzung von Experten feiert Sülze ein kleines Comeback.

Hintergrund ist der Trend «Nose to Tail» - also salopp gesagt: ein Schwein von der Nase bis zum Schwanz zu verwerten. Verbunden damit ist steigendes Interesse an traditioneller Fleischerzeugung. «Lebensmittelliebhaber fragen das stärker nach», sagt Gero Jentzsch vom Deutschen Fleischer-Verband. Gerade in Städten sei Handgemachtes wie Blut- und Leberwurst, aber eben auch Sülze wieder beliebter. «Vor zehn Jahren ging der Trend in die andere Richtung.» Da begehrten die Fleischesser eher Kochschinken.

Der Leiter des Deutschen Fleischermuseums in Böblingen, Christian Baudisch, spricht von Aufwertung eines klassischen Arme-Leute-Essens. Markknochen seien seit jeher für wenig Geld zu haben gewesen. Zudem sei Sülze schnell herstellbar und aus den «nicht so attraktiven Teilen des Tiers» gemacht. «Ein Schweinskopf sieht nicht mehr so aus wie das, was er ist», sagt Baudisch. «Und so einen Schweinskopf knabbern Sie auch nicht mal eben in der Mittagspause ab.» Auch könne man mit Sülze kreativ sein, Muster oder gar ganze Wappen gestalten.

Zudem sind Sülzprodukte fett- und kalorienarm, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) erklärt. Im Schnitt enthielten sie je 100 Gramm 6 Gramm Fett und 95 Kilokalorien. Und Sülze ist vielfältig: «Häufig werden noch Gemüse oder Eier hinzugefügt. Es gibt also verschiedenste Sorten von Sülzen über Kalbfleisch-, Schinken-, Geflügel-, Zungen- oder Wurstsülze bis hin zu Gemüsesülze.»

Doch: «Deutsche sind nie große Sülze-Esser gewesen», sagt Jentzsch. Laut dem Geschäftsbericht 2018 des Verbandes lag der Pro-Kopf-Verzehr von Wurst und Fleischerzeugnissen bei 29,4 Kilogramm. Davon machten Sülzen/Aspik gerade einmal 0,6 Kilogramm aus. Daher werde Sülze trotz steigender Nachfrage kaum bedeutungsvoller für die Branche. Auch Baudisch meint: «Sehr viel mehr werden Zeitschriften und Kochbücher verkauft, als tatsächlich gegessen wird.»

Welche Relevanz Sülze mal hatte, zeigt ein Blick in die Historie: Vor fast genau 100 Jahren, im Juni 1919, stürmten Hamburger das Rathaus. Die sogenannten Sülzeunruhen in der Hungersnot der Nachkriegszeit - ausgelöst von Ekelfleischfunden und angeheizt von Gerüchten, eine Firma könnte gar Ratten und Katzen zu Sülze verarbeiten. «Die wütende Volksmenge wirft den Sülzeproduzenten in die Kleine Alster», heißt es im «Hamburg Geschichtsbuch». Vor dem Rathaus fielen sogar Schüsse.

Apropos Geschichtsbuch: Als es noch keine Kühlschränke gab, mussten Lebensmittel möglichst lange haltbar sein oder eben gemacht werden. «Pökeln, Räuchern, Einmachen, Einwecken ist zurückgedrängt worden mit Einführung des Kühlschranks», sagt Museumsleiter Baudisch. Davor sei Sülze gerade auch in der Großküche beliebt gewesen. Um 1900 habe es riesige Gaststätten gegeben, in denen Arbeiter schichtweise aßen.

«Tellersülze macht man direkt im Teller. Das kann vorbereitet werden und ist für Bedienungen einfach zu händeln», erklärt er.

Dass sich manche heutzutage ob der glibberigen Konsistenz ekeln, ist aus Baudischs Sicht ein eher junges Phänomen. «Die Generation Ü60 verspürt da keinen Ekel. Die Leute haben eher keine Lust, weil sie früher immer Sülze gegessen haben und es als Arme-Leute-Essen verpönt ist.» Wenn sich die jüngere Generation jetzt wieder der Sülze widme, sei das ein bisschen wie «Dschungelcamp für Besseresser»: «Mit einem wohligen Gruseln, wie wenn man Ochsenhoden in sich reinwürgt.»

Im Herbst zeigte ein Rekordversuch auf der Ostseeinsel Usedom, dass Sülze es wieder in die Schlagzeilen schafft: Gastronom André Doemke brachte eine große Fischsülze mit 182,4 Kilogramm auf die Waage. Kein Vergleich zu den Portionen im Wirtshaus im Braunauer Hof: Etwa 150 Gramm wiegen die Sülzescheiben, die mit Röstkartoffel und Meerrettich kredenzt werden. Das passt: Die DGE empfiehlt weniger Fleisch und mehr pflanzliche Ernährung. «Wenn Fleisch und Wurst gegessen werden, sollten davon nicht mehr als 300 bis 600 Gramm pro Woche verzehrt werden.» (dpa/ Marco Kreftig)

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