Und es schmeckt doch: Eis ohne Zucker
Wissenschaftler*innen wollen aus Nebenprodukten der Lebensmittelherstellung Zucker in Eiscreme ersetzen
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„Zucker süßt das Speiseeis nicht nur“, erklärt Prof. Dr. Stephan Drusch, der an der Fakultät III Prozesswissenschaften der TU Berlin das Fachgebiet Lebensmitteltechnologie und -materialwissenschaften leitet. „Zucker spielt darüber hinaus eine bedeutende technologische Rolle in der Herstellung und ist so auch mitverantwortlich für dessen Struktur und Cremigkeit.“ So führe eine Reduktion des Zuckergehalts auch zu einer wahrnehmbaren Veränderung des Mundgefühls. Daher stehe das Ziel einer ernährungsphysiologischen Verbesserung von Speiseeis in Konkurrenz zur Akzeptanz durch die Konsumierenden. Die Wissenschaftler*innen der beiden beteiligten Institute vermuten nun in Ballaststoffen aus Nebenprodukten der Lebensmittelherstellung eine mögliche Lösung.
Der Umbau von Kohlehydraten aus Resten von Erbsen, Karotten und Früchten könnte Zucker reduzieren und das „Mundgefühl“ erhalten
Die unlöslichen Fasermaterialien von Erbsenschalen, Karottenfasern und Fruchtresten aus der Saftherstellung wie Zellulose, Hemizellulosen und Pektin enthalten komplexe Kohlenhydrate. In dem vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft geförderten Projekt „Ersatz von Zucker in Speiseeis durch potenziell präbiotische Oligo- und/oder Polysaccharide aus nachhaltigen Quellen“ wollen die Wissenschaftler*innen diese Bestandteile durch biologische und physikalische Verfahren kontrolliert zu sogenannten Oligosacchariden umbauen, wodurch sich deren funktionelle Eigenschaften verändern. „Es ist bereits bekannt, dass derartige Materialien über eine verbesserte Wasserbindung die Struktur und das Mundgefühl verschiedener Lebensmittel positiv beeinflussen können und auf diese Weise eine Reduktion von Zucker ermöglichen“, so Stephan Drusch. „Aus ernährungsphysiologischer Sicht gelten sie wegen ihrer präbiotischen Wirkung, also ihres Gehalts an unverdaulichen Inhaltsstoffen, aber immer noch als Ballaststoffe.“
Das Ziel: Pflanzliche Nebenprodukte für den Einsatz in Speiseeis nutzbar machen
Doch trotz dieser grundlegenden Erkenntnisse liegt noch viel Arbeit vor den Wissenschaftler*innen und vor dem ersten Eisgenuss ohne Reue. Denn jedes Fasermaterial besitzt entsprechend seiner botanischen Herkunft ein unterschiedliches Kohlenhydratprofil. So muss der Prozess der Herstellung der Oligosaccharide – eine Kombination aus Enzymbehandlung und mechanischer Hochdruckbehandlung – spezifisch angepasst werden. Ziel der Arbeitsgruppe von Stephan Drusch an der TU Berlin ist es, durch das systematische Verständnis für diesen Prozess einen weiten Bereich pflanzlicher Nebenprodukte für den Einsatz in Speiseeis nutzbar zu machen.
Eine große Chance liege in der heterogenen Zusammensetzung der Fasermaterialien, so die Wissenschaftler*innen. Dadurch entstünden sehr unterschiedliche Oligosaccharide mit einer breiten präbiotischen Wirksamkeit. Diese genauer zu charakterisieren, obliegt der lebensmittelchemischen Expertise der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Mirko Bunzel, Fachgebiet Lebensmittelchemie, am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Es lohnt sich, genauer hinzuschauen", sind die Forschenden aus Karlsruhe und Berlin überzeugt. „Das Nutzbarmachen bestehender Nebenprodukte der Lebensmittelindustrie trägt so zur Vermeidung von Abfällen bei der Lebensmittelherstellung bei. Und das Eis kann gesünder werden, wenn Zucker reduziert und durch Ballaststoffe ersetzt wird.“