China ist der weltweit größte Konsument und Importeur von Nahrungsmitteln. Damit hat das Land erheblichen Einfluss auf die Preisentwicklungen an internationalen Märkten und für globale Versorgungslagen. Den Herausforderungen einer gestiegenen Lebensmittelnachfrage bei begrenzten Land- und Wasserressourcen im eigenen Land sowie der Preisschwankungen an den Märkten, die durch die jüngsten geopolitischen Krisen, die COVID-19 Pandemie, aber auch durch Extremwetterereignisse infolge des Klimawandels verursacht wurden, begegnet die chinesische Regierung mit zahlreichen Vorkehrungen zur Ernährungssicherung, darunter dem Anlegen umfangreicher strategischer Vorräte. Im IAMO Policy Brief 45 analysieren Lena Kuhn, Tinoush Jamali Jaghdani, Sören Prehn, Zhanli Sun und Thomas Glauben diese Entwicklungen und Maßnahmen und schätzen deren Auswirkungen auf die globalen Märkte ein.
China nimmt als weltgrößter Konsument und Importeur von Nahrungsmitteln eine zentrale Position im globalen Handelsgeschehen ein. Im Jahr 2021 überstiegen Chinas Einfuhren landwirtschaftlicher Erzeugnisse seine Ausfuhren um das 2,6-fache und erreichten einen Wert von 219,8 Milliarden USD. Mit einer wachsenden Mittelschicht steigt auch die Binnennachfrage nach hochwertigeren Lebensmitteln, insbesondere Fleisch- und Milchprodukten. Beide Güter benötigen jedoch mehr Land- und Wasserressourcen zur Herstellung als etwa Getreide und Gemüse, welche bisher die Speisepläne dominierten.
Gleichzeitig werden die Produktionsressourcen immer knapper. So müssen beispielsweise weniger als 7 % des weltweiten Süßwassers 20 % der Weltbevölkerung versorgen, was China zu einem der wasserärmsten Länder der Welt macht. Über Jahrzehnte zielte die chinesische Agrarpolitik daher auf die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität, die durch den verstärkten Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie Bewässerungsverfahren jedoch zu Lasten der ohnehin knappen Boden- und Wasserressourcen ging.
Schätzungen zufolge würden für den gegenwärtigen Ernährungswandel in China zwischen 2020 und 2050 drei bis 12 Millionen Hektar an zusätzlicher landwirtschaftlicher Fläche benötigt - ein Bedarf, der innerhalb Chinas kaum zu decken ist.
Am 11. Juni 2022 legte das chinesische Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Angelegenheiten (MARA) nun ein Investitionsprogramm für den ländlichen Raum auf, welches zur Stabilisierung der nationalen Getreideproduktion und gleichzeitig Ausweitung der Produktion von Sojabohnen und Ölsaaten aufruft. Zu den konkreten Maßnahmen gehört unter anderem auch eine „intelligente“ Getreidelagerung.
Im Jahr 2021 verfügte das Land über 142 Millionen Tonnen an Weizenvorräten. Das bedeutet, dass China bei 20 % der Weltbevölkerung wahrscheinlich mehr als 50 % der gesamten Weizenvorräte der Welt als Reserve hält. Ähnlich verhält es sich mit Mais, der in der Futtermittelproduktion eine wichtige Rolle spielt. China ist ein wichtiger Maisproduzent mit einem Selbstversorgungsgrad von 95,8 %. Allerdings ist das Land auch der weltweit größte Nettoimporteur von Mais. Mit 210 Millionen Tonnen am Ende des letzten Wirtschaftsjahres hielt China mehr als zwei Drittel (68 %) der weltweiten Maisvorräte.
Die gegenwärtig hohe Nachfrage Chinas nach strategischen Agrarprodukten wird in der Öffentlichkeit oft als Reaktion auf kurzfristige Schocks wie die COVID- 19-Pandemie und zuletzt den Krieg in der Ukraine reduziert. Maßgeblich zugrunde liegen jedoch langfristige Trends, insbesondere die, die durch den Klimawandel, das Bevölkerungswachstum und den höheren Verbrauch von tierischen Proteinen verursacht werden. Durch den höheren Wohlstand beträchtlicher Teile der Bevölkerung Chinas wird die Nachfrage nach Lebensmitteln auf den Weltmärkten weiterhin stetig steigen. Es ist nicht zu erwarten, dass die Produktivitätssteigerungen angesichts des Klimawandels und der knappen Wasserressourcen mit dieser Nachfrage Schritt halten können.
Die vollständige Selbstversorgung mit den wichtigsten Nahrungsmitteln mag ein nachvollziehbares Ziel sein, kann aber nicht ohne Übernutzung natürlicher Ressourcen und Wohlfahrtsverluste erreicht werden. Um die kommenden Herausforderungen zu meistern, wird China an die internationalen Märkte gebunden sein, um die verschiedenen Produktions-, Preis- und Logistikrisiken nicht allein tragen zu müssen. Insofern ist die Einbindung in das internationale Agrarhandelssystem auch für China wesentlich, um Versorgungsrisiken zu begegnen.
IAMO-Direktor Thomas Glauben ist überzeugt: „Der internationale Agrarhandel ist und bleibt ein Schlüsselfaktor für die globale Ernährungssicherheit. Auch ökonomische Giganten wie China oder Deutschland und keineswegs nur ärmere Länder im globalen Süden sind wohlberaten, insbesondere in Krisenzeiten am internationalen Agrarhandelssystem zu partizipieren und damit eine hinreichende und ausgewogene Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen.“