Boom, Krise, Neustart – die Entwicklung der Brauszene am Beispiel der Brasserie Franches-Montagnes
Boom, Krise, Neustart – die Entwicklung der Brauszene am Beispiel der Brasserie Franches-Montagnes
Am Freitag, 25. April 2025, ruft der Schweizer Brauereiverband zur Teilnahme am «Tag des Schweizer Biers» auf. Mit Degustationen und Events soll das Handwerk der Schweizer Brautradition gefeiert werden. Das kommt in einer Zeit, in der viele kleine Akteure, die seit rund dreissig Jahren immer zahlreicher wurden, zunehmend ums Überleben kämpfen. Einige, wie etwa die Brauerei des Franches-Montagnes, gehen neue Wege. Ein Augenschein vor Ort. Zuletzt aktualisiert am 17. April 2025 von Etienne Arrivé / AGIR
Die Brasserie des Franches-Montagnes in Saignelégier im Kanton Jura wurde 1997 von Jérôme Rebetez gegründet, der sie bis heute führt. Sie setzt inzwischen vermehrt auf Lagerbier – auf das «Durstbier» –, das früher fast ausschliesslich den grossen Industrieunternehmen überlassen wurde. Ein Gespräch mit dem unkonventionellen Fünfziger, einem Meister der markanten Aussagen, aber auch leise Zwischentöne kann.
In den letzten Jahren wollten alle lokal produzieren. Das führte zu einem Boom bei Schweizer Bieren von kleinen und mittleren Unternehmen. 1990 gab es in der Schweiz gerade mal 32 Brauereien. Nach dem Ende des Bierkartells, das den Markt von 1935 bis 1991 regulierte, schossen neue Projekte wie Pilze aus dem Boden. 2021 waren es 1’278 registrierte Brauereien – ein Rekord. Doch seither nimmt die Zahl wieder ab. Im Januar 2025 waren es noch 1’149. Sind es einfach zu viele geworden?
Jérôme Rebetez: Zum Teil ist es einfach zu weit gegangen. Es wurde viel experimentiert – Biere mit Fruchtsäften, mit Laktose. Diesen Trend haben die grossen Konzerne übernommen und haben unzählige neue Marken lanciert. So hat sich die Craft-Bewegung irgendwie selbst das Wasser abgegraben.
Andererseits herrscht bei uns die Vorstellung: «Small is beautiful» – man muss klein sein, damit es gut ist. Aber das ist ein Trugschluss. Klein ist nicht dasselbe wie «handwerklich».
Ich bezeichne mich bewusst als Unternehmer. Mein Ziel war immer, die Brauerei zu entwickeln und das Unternehmen wachsen zu lassen. Auch wenn das in den letzten vier, fünf Jahren – seit der Coronaviruspandemie – extrem herausfordernd war.
Derweil bauen viele ihre Brauerei in der Garage auf, feiern ihre Andersartigkeit – und werfen mir vor, ich hätte zu gross gedacht. Dazu sage ich: «Bullshit!» Auch wenn Brasserie des Franches-Montagnes nach Volumen zu den 50 grössten Brauereien des Landes zählen, die zusammen 98 Prozent der hiesigen Bierproduktion abdecken, machen wir gerade mal 0,1 Prozent des Schweizer Marktes aus.
Sie selbst haben klein angefangen: Mit 23 Jahren haben Sie Ihre erste Brauanlage aus einem alten Käsekessel gebaut – mit einem Freund als Schlosser, finanziert mit Preisgeld aus einem TV-Wettbewerb…
Jérôme Rebetez: Ja, wir haben den DIY-Trend sicher mit ausgelöst. Viele dachten, wenn dieser langhaarige Typ aus dem Jura eine Brauerei aufbauen kann, dann kann ich das auch. Und viele haben es geschafft – das ist grossartig!
Was ich aber schade finde: Viele konzentrieren sich auf die paar Verkaufsstellen, wo sie selbst gerne Bier trinken. Das ist eine Strategie, bei der alle verlieren.
Um erfolgreich zu sein, muss man stattdessen Marktanteile schaffen, wie wir das vor 30 Jahren mit neuen Produkten getan haben. Man darf sich nicht einfach damit zufriedengeben, nur die nächste «neue» Brauerei zu sein, die lokal produziert. Ich rechne damit, dass in den nächsten drei bis vier Jahren jährlich 80 bis 100 kleine Brauereien in der Schweiz schliessen werden.
Bei der Brasserie des Franches-Montagnes haben vier Verkäufer, die sofort mit Angeboten zur Stelle sind, wenn wir irgendwo von Qualitätsproblemen hören. Für Brauereien, die den Markt mit schlechter Qualität überschwemmen, habe ich kein Mitleid.
Was heisst überhaupt «handwerklich»?
Jérôme Rebetez: Ein handwerkliches Produkt unterscheidet sich dadurch, dass es sich vom Markt abhebt – es will auffallen, überraschen, das Publikum aus der Reserve locken.
Wir als Craft-Szene haben es leider verpasst, uns früh genug zusammenzuschliessen. Jetzt tun die Grossen so, als wären sie handwerklich. Die Brasserie Valaisanne beispielsweise gehört zu Carlsberg. Das ist «Craft Washing» – also Pseudo-Handwerk.
Bei der Brasserie des Franches-Montagnes haben wir den Begriff «handwerklich» seit 2019 aus unserer Kommunikation verbannt, um stattdessen die Professionalität unserer diplomierten Brauer hervorzuheben. Wir investieren Millionen in Qualitätssicherung, Logistik, Marketing. Natürlich haben wir unser Handwerk im Griff – aber wir sind viel mehr als nur «Artisan».
Und lokal – was heisst das?
Jérôme Rebetez: Wir sagen lieber regional. Das zeigt den Anspruch, sich in einer ganzen Region zu behaupten.
Und ehrlich gesagt: Viele Rohstoffe kommen sowieso von weiter weg. Gewürze machen nur ein paar Kilo im Jahr aus, aber beim Malz ist es entscheidend. Wir arbeiten zwar für gewisse Projekte mit einer lokalen Mälzerei – der Genossenschaft Malticulture im Jura. Aber wenn wir bei Produkten mit geringer Marge wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir zum besten Preis einkaufen.
Und die, die uns deswegen Moralpredigten halten, sind oft dieselben, die im Supermarkt das günstigste Aktionsbier im Sonderangebot kaufen. Und wenn sie dann noch einen staatlich garantierten Lohn haben, sollen sie wissen: Wir kämpfen darum, 35 Mitarbeitende zu beschäftigen.
Bier zu verkaufen ist schwieriger als es zu brauen. Die Konkurrenz ist hart, der Preisdruck gross, die Qualitätsansprüche sind hoch und die Beziehungspflege ist entscheidend. Darum sagen wir: «Regional und unabhängig» – das ist unsere Identität. Und die Unabhängigkeit ist für mich ein zentraler Wert.
Viele Brauereien setzen nun auf das Marktsegment Lager – das «Durstbier», das früher den Grossen überlassen wurde. Auch die Brasserie des Franches-Montagnes?
Jérôme Rebetez: Ich dachte früher etwas naiv, dass ich dieses Bier den Industriebrauereien überlasse und sie mir dafür den zweiten, dritten oder vierten Zapfhahn lassen. Doch die Realität ist anders: Die grossen Brauereien sind wie ein Hahn im Hühnerstall – sie wollen alle Hennen. Sie haben sich auch in unser Craft-Terrain vorgewagt.
Dabei haben wir ihnen gezeigt, wie man mit diesen Produkten Mehrwert generiert. Eigentlich müssten sie mir heute dafür Geld zahlen – so viel wie sie daran verdienen.
Also haben wir vor zwei Jahren begonnen, unser eigenes Lagerbier zu entwickeln. Craft-Biere machen nur 10 bis 15 Prozent des Marktes aus und sind eher rückläufig. Darum haben wir bereits vor der Covidpandemie eine zweite Produktionsstätte gebaut – um genau diese 85 Prozent Lagerbier-Markt anzugehen.
Für das Jahr 2025 erwarten wir, dass unser neues Blondbier 80’000 bis 100’000 Liter jährlich ausmacht – bei einer Gesamtproduktion von rund 500’000 Litern.
Der Schweizer Brauereiverband wirbt für den Beruf Brautechnologe EFZ mit Fachrichtung Bier – wegen Fachkräftemangel. Ist das real?
Jérôme Rebetez: Absolut. Es wurde zwar viel getan, beispielsweise mit der neuen französischsprachigen Ausbildung am landwirtschaftlichen Institut Grangeneuve. Unserem Lehrling habe ich gesagt: Wenn du unterschreibst, dann ziehst du das durch – und ich werde dir im Nacken sitzen, damit es klappt!
Aber bisher hatten wir fast nur ausländische Brauer – aktuell sind es drei: ein Italiener, ein Franzose und ein Deutscher. Ich selbst braue seit zehn Jahren nicht mehr. Man sagt ja, man solle Leute einstellen, die schlauer sind als man selbst – und das ist mir ziemlich leichtgefallen.
Die Brauerei in Saignelégier war lange als «Hopscène» auch kulturelle Bühne – nun übernimmt die Gruppe Trudi et Doudi Productions das Programm. Was steckt dahinter?
Jérôme Rebetez: Nach der Auflösung der «Hopscène» wollten wir nicht, dass alles endet. Die Idee, Kultur und Bier zu verbinden, stammt von vor rund 15 Jahren.
Damals sagte man mir, unsere Bierstile seien nicht mit Feststimmung vereinbar – zu speziell, zu wenig locker. Also haben wir Konzerte organisiert – und bewiesen, dass es sehr wohl passt.
Zum Schluss wurde es aber finanziell zu aufwändig. Jetzt wollen wir mit bescheideneren Mitteln neu starten – mit etwa 15 Veranstaltungen pro Jahr.
Quelle: https://www.lid.ch/artikel/boom-krise-neustart-die-entwicklung-der-brauszene-am-beispiel-der-brasserie-franches-montagnes
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