Können Lakritze rassistisch sein? Waren und Marken politisch korrekt
Von Yuriko Wahl-Immel, dpa
Düsseldorf (dpa) - Die Debatte um «Political Correctness» im Sprachgebrauch erreicht Laden-Regale, Kühlschränke und den eigenen Teller. Müssen Lebensmittel, Markennamen, Produkte politisch korrekt sein? Lakritze des Bonner Süßwarenherstellers Haribo - afrikanische, asiatische und indianische Masken und Gesichter - sind Kunden in Schweden und Dänemark als rassistisch aufgestoßen und dort raus aus dem Markt. Er verstehe die Kritik, zitierten Medien jüngst Haribo-Schweden-Chef Ola Dagliden.
Für Markenexperte Frank Dopheide ist die Sache klar: «Ist ein Produkt negativ besetzt, kann das auf die gesamte Marke abstrahlen. Das ist riskant, da muss man zumindest den Stecker ziehen.» Bei der Wahl des Produktnamens spiele die Political Correctness eine immer größere Rolle, weiß der Geschäftsführer der Deutschen Markenarbeit in Düsseldorf. «Man ist da heute viel sensibler und vorsichtiger.» Das gelte auch mit Blick auf ethnische Minderheiten. Ein Grund ist Dopheide zufolge: «Auch kleine Gruppen finden heute großes Gehör.» Den Unternehmen sei klar, dass ein Name oder Produkt keine «negative Schwingungen, Bilder oder Assoziationen» auslösen dürfe.
Der einstige Negerkuss oder Mohrenkopf - heute Schoko- oder Schaumkuss - genannt, hatte die erste größere Debatte um diskriminierende Begriffe bei Lebensmitteln ausgelöst. Auch das Zigeunerschnitzel liegt so manchem als politisch unkorrekt schwer im Magen. Ein Verein von Sinti und Roma in Hannover hatte im vergangenen Herbst eine Umbenennung der Zigeunersoße gefordert. Die Hersteller lehnten ab, weil der Begriff Tradition habe und positiv besetzt sei. In Hannovers städtischen Kantinen sind Z-Schnitzel und Z-Soße schon länger runter von den Speisekarten. «Man handelt rassistisch, wenn man bestimmte Wörter oder visuelle Elemente benutzt», betont der Berliner Sprachwissenschaftler Professor Anatol Stefanowitsch. Haribo sei «im besten Fall gedankenlos und unsensibel» mit seinen Lakritzen, die einen «kolonialen Kontext» herstellten. Suggeriert werde, dass der weiße Seemann - abgebildet auf der Tüte - Masken aus den Kolonien mitbringe. Eine kurze Debatte über solche Einzelfälle reiche nicht. Es müsse über die Anliegen von Minderheiten, Rassismus und rassistische Wortwahl diskutiert werden, fordert Stefanowitsch. Aber: «Es gibt eine massive Ablehnung in Gesellschaft und Medien, eine solche differenzierte Diskussion zu führen.» Für nicht akzeptabel hält der Wissenschaftler: «Dass bestimmte Kolumnisten reflexartig mit Lustigmachen und Ablehnung reagieren, wenn das Thema mal wieder hochkocht und es so darstellen, als ob es sich bloß um die Verrücktheit von Gutmenschen handele, die übertreiben.» Wer spöttisch die Abschaffung von Begriffen wie Jägerschnitzel oder Holzfällersteak verlange, trivialisiere das Problem.
Auch Dopheide meint, beim «Schwedenhappen» (Hering), den «Dicken Deutschländern», den «Dicken Sauerländern» (Würstchen) oder dem «Russisch-Brot» (Keksen) solle man die Kirche im Dorf lassen. Ebenso entspannt sieht er Namen wie «Hanseatenröllchen» oder «Kleine Wiener». Hier handele es sich nicht um diskriminierte Gruppen.
Bei der am Sonntag gestarteten weltgrößten Süßwarenmesse ISM in Köln kommt das Thema nicht auf den Tisch. Auch der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga hat dazu aus der Branche keine Nachfragen. «Die Debatte über einige wenige Produkttitel im Handel oder in der Gastronomie scheinen eher punktuelle Einzelfälle zu sein», sagt Sprecher Christopher Lück. Politische Korrektheit und ein diskriminierungsfreier Umgang müssten selbstverständlich sein.
Rassistische Elemente im Sprachgebrauch gebe es durchaus auch weiterhin, meint Tahir Della, Sprecher der Initiative schwarze Menschen in Deutschland. «Es finden Verletzungen statt. Da ist es unerheblich, ob das gewollt ist oder nicht, es kommt auf die Wirkung an.» Sprache sei nicht in Stein gemeißelt, entwickle sich und müsse immer wieder hinterfragt werden. Das gelte auch für Produkte und Marken. Dass Haribo auf Empörung reagiere, sei richtig, sagt Della.
«Es ist allerdings sehr mühsam, immer an Einzelfällen zu prüfen, ob das jetzt rassistisch ist oder nicht.» Beispiel: «In Bayern steht für ein Bier-Cola-Getränk weiter der Name "Neger" auf der Karte. Das stößt böse auf. Es kostet aber sehr viel Energie, jedes Mal eine Kampagne gegen ein Wort loszutreten und dann oft noch trotzig zu hören, man lasse sich die eigene Sprache sowieso nicht verdrehen.» Auch Della wünscht sich eine echte Debatte über Rassismus und seine Ursachen. «Daraus würde dann die Erkenntnis folgen, dass einige Begrifflichkeiten und Darstellungsformen in einer fairen, nicht-rassistischen Gesellschaft eben nicht gehen.»