Handel und Hersteller sehen Nachhaltigkeit zunehmend als Chance

Führungskräfte der Lebensmittelindustrie diskutierten bei der Zukunftskonferenz Food über Trends und zukünftige Herausforderungen der Branche

13.03.2015 - Deutschland

Hohe Umsetzungskosten, Schwierigkeiten bei der Wirksamkeitsmessung sowie ein geringes reales Kundeninteresse sind die größten Hürden bei der Umsetzung von mehr Nachhaltigkeit in Unternehmen der Lebensmittelbranche. In diesem Punkt waren sich Hersteller und Händler auf der diesjährigen Zukunftskonferenz Food an der Universität Witten/Herdecke einig. Insgesamt scheint das Thema Nachhaltigkeit in Produkten und Wertschöpfungskette jedoch immer mehr berücksichtigt zu werden. Während in einer Umfrage des Zentrums für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) gemeinsam mit der LebensmittelZeitung vor fünf Jahren noch 30 Prozent der befragten Unternehmen Nachhaltigkeit als reines „grünes Feigenblatt“ ansahen, sind dies laut aktuellen Umfragewerten heute lediglich noch zehn Prozent. Zur Frage, wie wichtig das Thema für die Zukunftssicherung des Unternehmens ist, gehen die Einschätzungen von Handel und Herstellern allerdings deutlich auseinander. Von den befragten Händlern bewerteten lediglich 23 Prozent die Chancen in diesem Punkt als „sehr hoch“, bei den Herstellern war es jeder Dritte. Jeweils ein Fünftel der befragten Hersteller und Händler erkannte in dem Thema Nachhaltigkeit „Innovationspotenziale“ sowie „Wettbewerbsvorteile im hart umkämpften Markt“.

Auf der Produktebene gingen die Einschätzungen von Handel und Herstellern laut den neuesten Umfrageergebnissen allerdings wieder stärker auseinander: Von den befragten Händlern sahen 70 Prozent Nachhaltigkeit als „sehr starken“ oder „eher starken“ Motor für Produktinnovationen an. Bei den Herstellern lag die Einschätzung um zehn Prozentpunkte niedriger. Ein weiterer Punkt befasste sich mit den Ansprüchen der Händler an die Hersteller. Hier wünschten sich die meisten Händler mehr Nachhaltigkeit bei Verpackungslösungen (67 Prozent), Innovationen (56 Prozent) sowie die Zertifizierung von Nachhaltigkeitsaktivitäten (47 Prozent).

„Mit Umfragen, Diskussionen, wissenschaftlicher Forschung und Veranstaltungen wie der Zukunftskonferenz versuchen wir, den Begriff ‚Nachhaltigkeit’ lebendig und greifbar zu machen“, erläuterten die beiden Gründer und Leiter des ZNU, Dr. Axel Kölle und Dr. Christian Geßner. „Das Thema muss Spaß machen, die Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter dabei mitnehmen und ihre Eigenverantwortung stärken. Nur so können die erarbeiteten Maßnahmen am Ende auch wirksam werden.“ Entscheidend dabei sei, dass die Unternehmen mehr Verantwortung für Mensch und Natur, für die Wertschöpfungskette und für einen offenen Dialog mit externen Anspruchsgruppen übernähmen. Insbesondere verschiedene NGO’s zeigten hier eine zunehmende Kooperationsbereitschaft, von der letztendlich beide Seiten profitieren könnten.

Als Sprecher der Keynote gab Werner M. Bahlsen einen Einblick in die vielfältigen Nachhaltigkeitsaktivitäten seines Unternehmens, für die es nun auch mit dem „ZNU-Standard Nachhaltiger WirtschaftenFood“ durch die PCU Deutschland zertifiziert wurde. „Greenwashing funktioniert heute nicht mehr, man muss das Thema schon ernst meinen“, sagte der Familienunternehmer und berief sich auf den Satz „Der Kern muss der äußeren Schale entsprechen“, den sein Großvater Hermann Bahlsen schon vor gut 100 Jahren prägte. „Nachhaltigkeit hat auch viel mit Glaubwürdigkeit zu tun. Leider ist da bei einigen Unternehmen viel Unehrlichkeit im Spiel. Das wird aber auf Dauer so nicht funktionieren - der Charakter eines Produktherstellers wird für die Kunden immer entscheidender.“

Das musikalische Experiment „Dirigieren und Führen“ veranschaulichte die wichtige Rolle von Leidenschaft, Präzision, Wahrnehmungsfähigkeit und Vertrauen für die nachhaltige Führungskraft: „Nur wenn ich meinen eigenen Standpunkt kenne, kann ich meinem Team Orientierung bieten“ erläuterte der Dirigent Prof. Gernot Schulz inmitten der Dortmunder Philharmoniker.

In der Podiumsdiskussion bezeichnete Matthias Wolfschmidt (foodwatch) Nachhaltigkeit als „Gummiwort“. Nur die wenigsten Produkte seien heute wirklich nachhaltig produziert. Prof. Franz-Theo Gottwald (Schweisfurth-Stiftung) sah Nachhaltigkeit als „offenes Konzept“. Letztlich gehe es darum, Schritt für Schritt nachhaltiger zu werden. Auf diesem Weg sei der deutsche Handel im internationalen Vergleich schon gut aufgestellt, sagte Michael Gerling (EHI). Thomas Lauer (Bitburger Brauerei, nach ZNU-Standard zertifiziert) zeigte auf, wie es gelingen kann, den Energie- und Wasserverbrauch zu reduzieren. Hier schloss ZNU-Beirat Michael Durach (Develey) an, der für sein Unternehmen u.a. das Ziel der CO2-Neutralität bis 2020 ausgerufen hat. Auch für Stefan Lenk (REWE Lenk) war Energie ein wichtiges Thema. Zugleich verdeutlichte er, dass für die meisten Kunden die Herkunft des Produkts leider weniger wichtig sei als der Preis.

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