Vom Sauerstofflieferanten zum Snack - Algen im All

08.07.2015 - Deutschland

Mit Zuchtanlagen für Algen wollen Wissenschaftler Weltraummissionen neue Möglichkeiten eröffnen. Die Mikroorganismen sollen den Astronauten gleich in doppelter Hinsicht Lebensgrundlagen schaffen: mit ihrer Sauerstoffproduktion und als Nahrungsmittel.

Rot und blau funkeln die Leuchtdioden. Grünliches Wasser wabert dazwischen durch ein Röhrensystem in zwei Plexiglasplatten. Ventilatoren surren kaum hörbar. Schläuche führen aus der Box. Sie ist der Prototyp eines Fotobioreaktors - ein Behälter, in dem Mikroorganismen leben und zur Energieproduktion Licht nutzen. Algen sollen hier gedeihen. Damit wollen die Forscher am Institut für Raumfahrtsysteme an der Universität Stuttgart nicht viel weniger als künftige Weltraummissionen revolutionieren. «Die Algen sollen das Kohlendioxid der Astronauten vervespern und Sauerstoff produzieren», sagt Projektleiter Stefan Belz. Und damit nicht genug: Sie könnten auch als Nahrungsmittel dienen. 

Die Forschung mit sogenannten Lebenserhaltungssystemen ist erst wenige Jahre alt, wie Norbert Henn vom Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) sagt. Zuvor ging es jahrzehntelang um das Studium des Verhaltens von Pflanzen unter Schwerelosigkeit und Strahlung. Seit den 1970er Jahren sei dem Thema bei Fluggelegenheiten wie Höhenforschungsraketen, Satelliten und Parabelflügen viel Beachtung geschenkt worden. Neuerdings gehe es auch um Sauerstoff und Nahrung für Raumfahrer. «Man fand, dass biologische Systeme eine lohnende Ergänzung zu chemisch-physikalischen Lebenserhaltungssystemen sein können.» 

Grundlegende Probleme sind Platz- und Ressourcenmangel im All sowie hohe Ausgaben: Bis zu 30 000 Dollar (27 000 Euro) koste etwa der Transport pro Kilo Ware zur internationalen Raumstation ISS, sagt Jens Bretschneider von der Uni Stuttgart. Daher tüfteln Wissenschaftler an Möglichkeiten, Wasser, Nahrung und Sauerstoff in geschlossenen Systemen herzustellen. «Wasser ist mit dem Stand der Technik zu 95 Prozent wiederverwertbar», erklärt Bretschneider. Bei Sauerstoff und Nahrung ist noch Luft nach oben - hier soll die Algenanlage Abhilfe schaffen. 

Mehrere Tests mit Reaktortypen hat das Stuttgarter Team schon gemacht. Gerade feilen die Forscher an dem idealen Verhältnis von blauen und roten Leuchtdioden, die die Algen zum Wachsen brauchen.

Auch das Kohlendioxid muss wohldosiert sein. Durch gasdurchlässige Membranen an den Plexiglasscheiben gelangt es ins Wasser und so an die Algen - auf demselben Weg kann der produzierte Sauerstoff nach außen weichen. Eine wichtige Frage ist dabei laut Bretschneider auch:

«Wie kann ich Sicherheit garantieren?» Im All darf nichts schiefgehen, nichts nach draußen weichen, aber auch kein Fremdstoff das System kontaminieren. 

Die Blaualgen (Cyanobakterien) namens Spirulina, mit denen die Forscher unter anderem arbeiten, schmecken in getrockneter Form salzig. Aus Expertensicht eignen sie sich etwa im Nudelteig gut als Nahrungsergänzung. Mit 50 bis 60 Prozent sei der Proteingehalt hoch, sagt Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung.

Der Anteil unentbehrlicher Aminosäuren, die der menschliche Körper nicht selber herstellen kann, sei zudem sehr groß. Verwendet werden Algen schon heute in der Lebensmittelindustrie, etwa zum Blaufärben von Weingummi. DLR-Mann Henn sagt: «Zirka 30 Prozent der Astronautennahrung könnten aufgrund des hohen Proteingehalts durch Algenbiomasse ersetzt werden.» Im Moment fokussieren sich die Stuttgarter auf die Süßwasseralge Chlorella. 

2018 wollen sie ihren Fotobioreaktor auf die Internationale Raumstation ISS schicken. Ein Astronaut soll dann rund alle zwei Wochen größere Mengen Algen abschöpfen und Nährstofflösung nachfüllen. 150 bis 180 Tage sollen sich die kleinen Lebewesen vermehren und Sauerstoff produzieren. Zurück auf der Erde untersuchen die Forscher unter anderem, wie sich die kosmische Strahlung auf die Organismen ausgewirkt hat. Ob die Alge oder die Technik der größere Risikofaktor sein wird, da sind sich selbst die Stuttgarter Wissenschaftler uneinig - je nachdem, ob man den Ingenieur oder den Biologen fragt. (dpa/Marco Krefting)


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