Craftbier: Imagepflege oder Motor für Vielfalt?
Daniel Bleicher füllt ab. Sein Bier, sein Pale Ale, in eine Flasche, die er gerade aus der Spülmaschine geholt hat. Sechs Minuten braucht er für 20 Flaschen, einen Kasten. Voll laufen lassen, Kronkorken drauf, nächste Flasche. «Das ist schon geil», sagt der Braumeister und meint damit sein eigenes Reich. Sein Craftbier-Reich, seine kleine Brauerei in der Stuttgarter Innenstadt, zwei Räume, in denen früher ein Atelier war. Von dort aus will Bleicher mit «außergewöhnlichen» Biersorten für mehr Vielfalt sorgen.
Pumpkin-Ale, India Pale Ale oder Toasted Summer Ale, so heißen seine Sorten. Namen aus Amerika, deutsches Brauhandwerk und Bierpreise wie in Norwegen treffen bei Braumeister Bleicher zusammen - 40 Euro kostet ein Kasten, eine Flasche gibt es für zwei Euro.
Die kleine Spezial-Brauerei ist eine von vielen: Im vergangenen Jahr nahm die Zahl der Bierbrauer in Deutschland um 107 auf 1388 zu - gleichzeitig tranken die Bundesbürger so wenig Bier wie nie. Und die Branche ist in der Hand weniger großer Konzerne: Rund die Hälfte der Brauereien produziert laut Deutschem Brauer Bund (DBB) lediglich bis zu 1000 Hektoliter im Jahr.
Die Verbraucherzentrale Stuttgart lobt, dass durch die vielen Craftbiere der Markt vielfältiger werde. «Das schließt verantwortungsvollen Konsum ja nicht aus», sagt eine Sprecherin. Craftbiere seien aber nicht gesünder als andere Biere. Eine enge Definition, was das Getränk ist, gibt es nicht. «Craft» bedeutet «Handwerk». In den USA entstand diese Bezeichnung als Gegenbegriff zu den Bieren großer Marken.
Bleicher braute zusammen mit einem Mitarbeiter vergangenes Jahr 220 Hektoliter, 480 sollen es in diesem Jahr werden, irgendwann bis zu 1500. Das wäre zwar immer noch fast nichts im Vergleich zu den Großbrauereien, doch das Geschäft trage sich schon jetzt, sagt Bleicher. Vergangenes Jahr verkauften deutsche Brauereien einschließlich der Exporte 95,7 Millionen Hektoliter Bier. «Meine Kunden sind darauf vorbereitet, dass meine Biere nicht jedes Mal den gleichen Geschmack haben», sagt Bleicher.
Auch eine der größten Brauereien Baden-Württembergs, Eichbaum aus Mannheim, bietet Craftbiere an - allerdings nur in ihren Brauhäusern. Über die Idee dahinter macht sie kein Geheimnis: «Das ist eine reine PR-Sache», sagt ein Eichbaum-Sprecher.
Der Craftbier-Markt sei so klein, dass er dem traditionellen Geschäft keine Konkurrenz mache - im Gegenteil. Der Hype sei eine Chance, so der Sprecher. Über die Brautechniken werde geredet, über die Hopfensorten und über die Art des Malzes. Das könne den vielfach unter Druck stehenden größeren Brauereien helfen, hofft man bei Eichbaum.
Ähnlich formuliert es der Brauerbund: «Craft gibt den Brauereien die Chance, Braukunst, Braukultur und Biervielfalt wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken, die Wertigkeit des Genussmittels Bier zu steigern und neue Konsumentenkreise zu erreichen», sagt ein Sprecher.
Etwa 0,5 Prozent des Bierabsatzes in Deutschland entfalle auf Craftbier, die «oft sehr hopfenbetont-fruchtigen» Getränke würden auch Kunden ansprechen, die bislang kein Bier gekauft hätten.
Inzwischen vertreiben auch viele Großbrauereien Craftbiere. Oft sind sie mit Etiketten beklebt, die nicht direkt verraten, dass das Bier von einer Großbrauerei kommt. Einige sind im Retro-Design, andere sollen edel aussehen.
Am Rande des Schwarzwalds wundert man sich eher über den Trend.
Craftbier stelle die Hirschbrauerei Flözlingen schon seit rund 230 Jahren her, sagt Inhaber Rolf Schittenhelm. «Wenn man dem Kind einen neuen Namen gibt, weckt das Interesse». Seine Biere heißen «Spezial», «Spezial naturtrüb», «Halbdunkel» oder «Bock», im Sommer braut er ein «Urlaubsbier».
Ihn freue zwar, dass sich jetzt wieder mehr junge Leute für die Bierherstellung interessierten. Doch das Craftbier-Label sei nur ein Trend, vor einigen Jahren habe es «In-Biere» mit blauen Flaschen gegeben, auch das habe sich wieder gelegt. In kleinen Brauereien wie seiner gebe es seit je her Bier mit eigenem Charakter, sagt Schittenhelm. «Mit unseren vier Zutaten ist unglaublich viel möglich».
Laut Brauerverband halten sich die meisten Craft-Brauer an das deutsche Reinheitsgebot. 99 Prozent beherzigen die Vorgabe aus dem Jahr 1516, wonach Bier ausschließlich aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser bestehen soll. Für das Pumpkin Ale von Brauer Bleicher aus Stuttgart gilt das nicht. Dort sind Bio-Hokaidokürbispüree und Ahornsirup enthalten. Bleicher hält die Vorgabe für überholt. Ein Natürlichkeitsgebot sei zukunftsfähiger. «Bier ist Bier. Auch wenn man Kürbispüree reinhaut».(dpa/Nikolai Huland)