500 Jahre Reinheitsgebot: Forscher bemängelt eingeschränkte Bier-Vielfalt
Themen-Serie der Universität Hohenheim zu 500 Jahre Reinheitsgebot Teil 2/5: Experte kritisiert Mangel an Abwechslung und unnötig komplizierte Brautechnik
Es sollte die Preise festlegen, die Konsumenten vor minderwertigen Zutaten schützen und dafür sorgen, dass kein wertvoller Brotweizen verschwendet wird: Das Reinheitsgebot für Bier. Doch in der heutigen Zeit schränke es zu sehr ein, meint Prof. Dr. Kölling-Paternoga vom Fachgebiet Hefegenetik und Gärungstechnologie.
„Viele gute Biersorten sind auf Basis des Reinheitsgebotes gar nicht erlaubt“, meint der Experte, „und einige für den Brauvorgang notwendige Stoffe werden mit umständlichen Tricks zugegeben, da sie laut Reinheitsgebot nicht gestattet sind.“
Köstliches Bier aus Roggen, Mais und Kartoffeln
Die Bier-Zutaten laut Reinheitsgebot sind sehr eingeschränkt: Für untergäriges Bier, bei dem sich die Hefe unten im Kessel sammelt, darf nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser verwendet werden. Beim seltener gebrauten obergärigen Bier – mit Hefe, die auf dem Sud schwimmt – ist zusätzlich auch noch anderes Malz erlaubt.
Gar nicht zugelassen ist nicht gemälztes Getreide. „Beim Mälzen wird das Getreide angekeimt und so im Korn Enzyme aktiviert, die später für den Stärkeabbau beim Brauvorgang notwendig sind“, erklärt Prof. Dr. Kölling-Paternoga. „Die Stärke wird zu Zucker, der wiederum von der Hefe zu Alkohol vergoren wird.“
Doch für diesen Vorgang ist es nicht notwendig, das komplette Getreide in gemälzter Form zuzugeben. Ein gewisser Anteil kann durch ungemälztes Getreide ersetzt werden. Die Enzyme des Malzes erledigen dann den Abbau der Stärke in diesem Anteil mit. „Diese sogenannten Rohfruchtbiere sind absolut nicht minderwertig. Sie können sogar vollmundiger schmecken als herkömmliche Biere“, hebt Prof. Dr. Kölling-Paternoga hervor.
Nicht einmal auf Gerste und Weizen müsse man sich bei der Wahl der Stärkequelle beschränken. „Auch Roggen oder Mais würden sich dafür bestens eignen. Und selbst ein Kartoffelbier kann von hervorragender Qualität sein.“
Reinheitsgebot sorgt für unnötig aufwendige Brautechnik
Die Begrenzung auf vier Zutaten sorgt für heute gänzlich unnötige Kapriolen bei der Brautechnik. „Viele Details des Brauvorgangs waren früher einfach noch nicht bekannt. Doch heute könnte man einige für den Brauprozess notwendige Stoffe einfach zusetzen, was im Übrigen auch eine gleichbleibende Qualität gewährleisten würde. Stattdessen müssen sich die Brauer mit Tricks behelfen“, kritisiert Prof. Dr. Kölling-Paternoga. Er nennt einige Beispiele:
• Problem Zink: Die Enzyme benötigen zur Gärung ausreichend Zink. Doch Zink ist oftmals ein limitierender Faktor. Um den Mangel auszugleichen, muss Zink erst umständlich aus den Rückständen des Bierbrauens, den Trebern, extrahiert werden. Erheblich einfacher wäre es etwas Zinkchlorid zuzugeben. „Das klingt nach Chemie, ist aber nicht giftig – Zink ist ein lebensnotwendiges Spurenelement und Chlorid Bestandteil unseres Kochsalzes.“
• Problem pH-Wert: Für die Gärung ist ein niedrigerer pH-Wert von Vorteil, man ist daher daran interessiert den pH-Wert abzusenken. Die Brauer erreichen dies über eine biologische Säuerung mittels Milchsäurebakterien, die auf jedem Getreidekorn zu finden sind. „Ebenso gut könnte man jedoch Milchsäure aus anderen Quellen verwenden. Doch Milchsäure kaufen und zugeben ist laut Reinheitsgebot nicht gestattet – die Bierproduzenten sind zu einem umständlichen Weg gezwungen.“
• Problem Kohlensäure: Kohlensäure entsteht ebenso wie Alkohol durch die Gärung. Damit auch das Endprodukt noch Kohlensäure enthält, stoppt man die Gärung nach einer Weile. „Alternativ und viel einfacher könnte man auch bis zum Ende gären lassen und dann Kohlensäure zusetzen – doch das ist nach dem Reinheitsgebot nicht erlaubt.“
Entscheidende Lücken im Reinheitsgebot
Paradox findet Prof. Dr. Kölling-Paternoga die Tatsache, dass das Reinheitsgebot zwar die Bierbereitung regelt, nicht jedoch alle Tätigkeiten in deren Vorfeld: „Hier hat man ziemlichen Spielraum. Es ist beispielsweise erlaubt, Vorprodukte zu schwefeln, da dies noch nicht unter die Bierbereitung fällt.“
„Und auch die Frage nach Pestizidrückständen findet im Reinheitsgebot keine Erwähnung – die jüngsten Funde von Glyphosat im Bier etwa widersprechen ihm also nicht.“ Allerdings, beruhigt er, unterliegen all diese Dinge selbstverständlich dem Lebensmittelgesetz.
Insofern bezweifelt Prof. Dr. Kölling-Paternoga, dass das Reinheitsgebot heute überhaupt noch einen Sinn mache. Schließlich sei die Qualität durch das Lebensmittelrecht gesichert, und auch heute schon könne man im Prinzip für das Brauen „besonderer Biere“ eine Ausnahmegenehmigung erhalten.
„Sie dürfen dann nur nicht mit dem Begriff Reinheitsgebot beworben werden“, erläutert der Experte. Ohne Reinheitsgebot würde also ein beliebtes Marketing-Instrument wegfallen – doch das könnte eine Fülle neuer Möglichkeiten wettmachen.
Zur Person: Prof. Dr. Ralf Kölling-Paternoga
Prof. Dr. Ralf Kölling-Paternoga ist Molekularbiologe und Hefegenetiker. Er leitet das Fachgebiet Hefegenetik und Gärungstechnologie am Institut für Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie an der Universität Hohenheim. Sein Haupt-Forschungsgebiet ist die Produktion von Alkohol, wobei insbesondere Bioethanol im Fokus steht. Auch die mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Hohenheimer Spirituosen fallen in seinen Zuständigkeitsbereich.