Saft statt Schnaps - Spirituosenindustrie kämpft gegen Konsumrückgang
Die Deutschen, sie werden brav. Sie treiben Sport, sie kaufen bio und achten auf ihre Ernährung - dazu gehört auch: weniger Alkohol. Was gut für die Gesundheit ist, stellt die Spirituosenindustrie vor gewaltige Herausforderungen. «Die Märkte wachsen in jüngster Zeit kaum noch. Wir erwarten hier auch keine große Veränderung», sagt Frank Schübel, Vorstandsvorsitzender des Getränkeherstellers Berentzen. Das Unternehmen sucht wie die gesamte Industrie nach neuen Strategien.
Die reine Spirituosenproduktion stagniert seit Jahren. Die aktuellsten Zahlen des Bundesverbands der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure stammen von 2014: Demnach wurden in Deutschland damals 506 Millionen Flaschen produziert, 15 Millionen weniger als im Vorjahr. Aktuellere Zahlen folgen bald, doch deutliche Veränderungen dürften ohnehin nicht zu erwarten sein. «Der Konsum von Spirituosen war mit 5,4 Litern pro Kopf in den letzten Jahren relativ stabil», teilt der Verband mit.
Berentzen, Jägermeister und Co. müssen deshalb neben dem Kerngeschäft mit Spirituosen neue Wege gehen. Einige setzen auf Absatzmärkte im Ausland, doch auch dort ist der Markt schwierig.
Jägermeister etwa kämpft in den USA gegen sinkende Verkaufszahlen. Im vergangenen Jahr übernahm das Wolfenbütteler Unternehmen den dortigen Vertriebspartner, um das Geschäft auf dem Hauptabsatzmarkt in Eigenregie voranzutreiben. Bei Berentzen geriet das Türkeigeschäft ins Stocken - wegen mehrerer Anschläge und weil russische Touristen aufgrund der schlechten Beziehungen zwischen Moskau und Ankara fortblieben. Und auch der Spirituosenmarkt in China und in Indien wachse allgemein nicht in der erwarteten Form - zumindest nicht für Marken, die importiert werden müssten, sagt Berentzen-Chef Schübel.
Das Unternehmen weicht deshalb zunehmend auf den nicht-alkoholischen Markt aus. 2014 übernahm der Konzern Citrocasa, eine Marke für Fruchtsaftpressen für die Industrie. «Über innovative Konzepte ist im alkoholfreien Bereich viel einfacher ein stärkeres Wachstum möglich», sagt Schübel. Der Trend zu Frischsaftsystemen sei ungebrochen. Mit Citrocasa habe das Unternehmen im Geschäftsjahr 2015 insgesamt 17 Millionen Euro Umsatz gemacht.
Die Großen haben für diese Alternativen genügend Geld. Für die Kleinen ist es oft problematischer. Der Gesamtumsatz der Branche legte 2014 laut Verband trotz sinkender Absätze zwar zu. Traditionsmarken wie Asbach Uralt, Verpoorten oder Underberg können aber nicht einfach einen großen Geschäftsbereich dazu kaufen.
Der Eierlikörproduzent Verpoorten in Bonn etwa baut nicht auf eine breite Produktpalette. «Vielmehr setzen wir die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten von Eierlikör stärker in Szene», sagt Vertriebsleiter Peter Nicolay. Das Unternehmen bewirbt Rezepte für Cocktails, Backwaren, Desserts, Eis oder Kaffee, für die das Getränk stets eine Zutat ist. «Dadurch können wir auch jüngere Kreise ansprechen», meint Nicolay. Mit Zahlen hält sich Verpoorten zurück.
Zuletzt seien die Absätze aber leicht gestiegen.
Alkohol, das ist vor allem eine Generationenfrage. «Ältere Männer nahmen früher aus Tradition härtere Getränke zu sich», sagt Kai-Uwe Hellmann, Professor für Wirtschafts- und Konsumsoziologe an der Technischen Universität Berlin. «Frühschoppen oder das Feierabendbier gehörten zur Freizeitkultur.» Das habe sich längst geändert. Mit Bier und Korn können die Jüngeren oft nur wenig anfangen. Um sich von der Masse abzuheben, würden viele auf Wein umsteigen. «Die Verluste gleicht das aber nicht aus», sagt Hellmann.
Auch gesellschaftspolitische Trends hätten für Verunsicherung bei den Konsumenten gesorgt. «Kampagnen gegen Alkohol - das kennen wir schon vom Rauchen», sagt Hellmann. Die Menschen achteten stärker auf ihre Gesundheit, Alkohol schneide dabei immer schlechter ab. Der Soziologe warnt allerdings vor Verallgemeinerungen. Je nach Wohnort, Geschlecht und Alter werde noch immer starker Alkohol konsumiert, etwa von Männern zwischen 35 und 40 Jahren in ländlichen Regionen. (dpa/ Matthias Arnold)