Ohnmachtspart oder wichtige Rolle? Verbraucher in der Milchkrise
So sehr die Bauern gegen die Talfahrt der Milchpreise protestieren - Folgen scheint das nicht zu haben im Supermarkt-Alltag. Zahlen, ob sich wirklich etwas geändert hat am Konsumverhalten als Folge der Milchkrise, gibt es zwar nicht, auch weil Ketten wie Edeka oder Aldi keine Verkaufszahlen publizieren. Experten sind sich aber einig, dass beim Milch-Konsumverhalten im Groben und Ganzen Alles beim Alten geblieben ist. Obwohl Politiker den Kauf von teurerer, regionaler Markenmilch empfehlen, weil die Landwirte dafür mehr Geld bekämen.
Derlei Appelle verfehlten aber ihre Wirkung, sagt der Wirtschaftspsychologe Joost van Treeck von der Hamburger Hochschule Fresenius. Zwar reagierten die allermeisten Verbraucher mit Mitgefühl und Bedauern, wenn sie mit Berichten über arme Bauern konfrontiert werden. "Dennoch wird aus dem Milchregal ohne Reue die billige Milch genommen", sagt van Treeck. "Es gibt psychologische Prozesse, die dazu führen, dass Menschen hier noch nicht einmal eine Abweichung in ihrem Denken und Handeln fühlen."
Sophie Unger von der Verbraucherorganisation Foodwatch hält den Griff zur Discountermilch oder zur gleich billigen Supermarkt-Eigenmarke für normal. "So lange die günstige Milch im Regal steht, kann man niemandem vorwerfen, die zu kaufen", sagt sie. Foodwatch hat untersucht, ob Bauern bei teurer Markenmilch, die bis zu das Dreifache kostet, überhaupt mehr bekommen. Ergebnis: Kaum oder gar nicht. Denn der Mehrpreis gehe großteils fürs Marketing und andere Kostenposten von Herstellern und vom Handel drauf. Konsumenten könnten die Milchpreise, die Molkereien an die Landwirte zahlen, nicht über ihr Einkaufsverhalten steuern, so Foodwatch. "Die Verbraucher können den Verfall der Milchpreise nicht aufhalten."
Politiker sehen das anders. "Die Verbraucher haben über ihr Konsumverhalten auch Einfluss auf die Erzeugerpreise", sagt ein Sprecher von Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU). Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk (CDU) ist gleicher Meinung: Der Verbraucher könne viel tun gegen die Milchkrise, etwa regionale Milchprodukte oder Biomilch kaufen. "Wenn die Verbraucher zu regionalen Produkten greifen, dann unterstützen sie unsere Landwirtschaft." Bei diesen Produkten bekämen Milchbauern mehr Geld. Generell zu sagen, der Verbraucher sei ohnmächtig, weil kaum was vom Mehrpreis beim Bauern ankomme, sei falsch, so Hauk.
Auch Bauernvertreter werben für regionale Produkte. "Molkereien können für Markenmilch mehr zahlen", sagt Horst Wenk vom Landesbauernverband in Baden-Württemberg. Seine Argumentation: Steigt die Nachfrage nach Markenmilch, bekommen die Milchbauern "in der Tendenz" mehr Geld.
Agrarökonom Tilman Becker von der Universität Hohenheim sieht die Rolle des Verbrauchers nüchtern: Der könne ohnehin nichts zur Lösung der Krise beitragen. Ähnlich wie Foodwatch meint er: "Wenn ich teure Milch kaufe, kostet mich das relativ viel, bei den Landwirten kommt aber kaum etwas an - da ist der Griff zur billigen Milch also verständlich." Zur Verwirklichung guter Vorsätze wäre es sinnvoller, billige Milch zu kaufen und die Differenz zum Markenprodukt Bauern zu spenden - was in der Praxis aber kaum jemand machen würde, sagt Becker. "Die Menschen denken nun mal zuallererst an sich selbst."
Immerhin: Klar ist, dass Bauern für Biomilch deutlich mehr bekommen und davon leben können - für den Supermarkt- oder Discounterkunden ist sie etwa doppelt so teuer. Aber Bio sei nur eine Nische, sagt Foodwatch-Expertin Unger. "Die Umstellung eines konventionellen Hofes auf Bio-Produktion würde Jahre dauern, kurzfristig brächte das also nichts zur Lösung der Krise." Laut Marktforschungsunternehmen Nielsen ist der Marktanteil von Biomilch zuletzt leicht gestiegen, auf knapp zwei Prozent bei H-Milch und knapp 16 Prozent bei Frischmilch. Und das, obgleich der Biomilch-Preis seit 2015 keineswegs abgestürzt, sondern sich leicht erhöht habe./wdw/DP/fbr (dpa)