Gentechnik in Deutschland: Größerer Wirtschaftsfaktor als gedacht

30.06.2016 - Deutschland

Mit dem Milliardengebot von Bayer für den US-Saatgutriesen Monsanto flammt in Deutschland auch die Gentechnik-Debatte wieder auf. Als größter Saaten-Hersteller steht der Konzern aus St. Louis (Missouri) wegen genetischer Veränderungen bei Lebensmittel-Pflanzen wie Mais und Soja seit Jahren in der Kritik. Insgesamt spielt die Gentechnik hierzulande nach anfänglichen Widerständen aber eine immer größere Rolle. "Grüne Biotechnologie" auf dem Acker kämpft weiter um Akzeptanz - ihre "rote" Schwester, bei der es um Medikamente geht, hat sich dagegen oft schon durchgesetzt.

In der Medizin kommt Gentechnik vielfach zum Einsatz: Zahlreiche Arzneien und Impfstoffe werden mit ihr hergestellt, und die Forschung arbeitet auf Hochtouren an neuen Mitteln. Kernfelder sind schwerwiegende Leiden wie Krebs- oder Autoimmunerkrankungen.

Der Markt wächst stark. Aktuell liegt der Jahresumsatz mit "roter" Biotechnologie in Deutschland nach Schätzungen der Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) bei rund 20 Milliarden Euro - Exporte mit eingerechnet.

Der Einsatz der Gentechnik in der Medizin hat einen steinigen Weg hinter sich. Beispiel Insulin: Das unverzichtbare Medikament für zuckerkranke Menschen wird seit 1999 in Frankfurt (Höchst) vom heutigen Pharmaunternehmen Sanofi gentechnisch hergestellt.

Schon seit den 1980er Jahren wäre die Herstellung hier möglich gewesen - aber wegen der Diskussion über die Risiken der Gentechnik bekam die damalige Hoechst AG keine Lizenz dafür. Dies sei das "Aus für die Gentechnik in der Bundesrepublik" gewesen, schrieb das Unternehmen 2008 in einer Festschrift zum 125-jährigen Bestehen des Standortes. "Deutschland verliert für Jahrzehnte den Anschluss an die internationale Spitzenforschung auf diesem wichtigen Gebiet."

Ganz entgehen lassen wollten sich viele die Chancen aber nicht. Bayer etwa ist in der Pharmaforschung seit Jahren auf dem Gebiet aktiv. So wird das Blutermittel Kovaltry biotechnologisch hergestellt. Doch wurde der Bereich gezielt im US-Bundesstaat Kalifornien aufgebaut.

Erst jetzt baut Bayer auch in Wuppertal eine Produktion auf. Auch Boehringer Ingelheim und die Darmstädter Merck produzieren Medikamente auf biotechnologischer Basis oder arbeiten daran - auch in Deutschland. Dazu kommen Firmen, die allen Finanzierungssorgen zum Trotz zum Teil aussichtsreiche Ergebnisse liefern.

Widerstand gibt es besonders bei der Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft. So stellte der Chemieriese BASF nach langem Streit Anbau und Vermarktung seiner Industrie-Kartoffel Amflora ein. Das Unternehmen verlegte 2012 seine Gentechnik-Sparte in die USA - wegen fehlender Akzeptanz bei Verbrauchern, Bauern und Politikern. Nun will BASF Investitionen auf dem Gebiet reduzieren und die Hälfte der Jobs streichen. Nur besonders aussichtsreiche Projekte laufen weiter.

Auch Bayer hat seine Forschungszentren mit dem Schwerpunkt Saatgut vor allem in den USA und in Belgien angesiedelt. Eingesetzt wird Gentechnik inzwischen bei Baumwolle, Raps und Soja. Für den europäischen Markt entwickelt Bayer aber nichts, auch Feldversuche finden hier nicht statt. Dennoch lassen gentechnisch veränderte Produkte die Kassen bei Bayer klingeln: Ihr Anteil am Saatgut-Umsatz von insgesamt rund einer Milliarde Euro liegt bei etwa 60 Prozent. Kritiker wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bemängeln, die Versprechen, mit gentechnisch veränderten Pflanzen höhere Erträge und weniger Chemie auf dem Acker zu haben und den Hunger zu bekämpfen, hätten sich nicht erfüllt. Mehr Spritzmittel würden eingesetzt, bei Unkraut und Insekten entwickelten sich Resistenzen. Die Gesundheit von Mensch und Tier sei in Gefahr.

Neue Verfahren führen aber auch dazu, dass der Einsatz der Gentechnik genauer und einfacher wird - und sich somit in den Laboren schneller verbreitet. Was einerseits ein Fortschritt ist, muss nach Meinung von Christoph Then, promovierter Tierarzt und Leiter eines Instituts für die Folgenabschätzung in der Biotechnologie, kontrolliert werden: "Ohne geregelte Zulassungsverfahren und Kennzeichnungen verlieren wir den Überblick." In den USA sei das der Fall. Er weist darauf hin, dass es mit den neuen Methoden wenig Erfahrung gebe. "Nur wenn ich es prüfe, kann ich feststellen, was gefährlich ist und was nicht."

Befürworter mahnen dagegen, neue Methoden in der Gentechnik nicht gleich im Keim zu ersticken. "Man kann nicht eine Technologie per se regulieren, das beeinflusst unser Innovationspotenzial", sagt Matthias Braun, DIB-Vorstand und Mitglied der Geschäftsführung bei Sanofi Deutschland. Vorbehalte in der Nahrungsmittelindustrie sollten nicht eins zu eins auf die Medizin übertragen werden. "Wir haben heute drei bis fünf Jahre Wissensvorsprung. Wenn wir nicht bald mitziehen, haben wir in fünf Jahren nur noch die rote Laterne." Branchenkennern zufolge entgehen Europa schon heute Milliarden. Ihr Argument: Nicht nur die Forschung und Entwicklung findet oft außerhalb Deutschlands statt, sondern später auch die Produktion./nmu/jha/mne/stb (dpa)

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