Glibber in Röhren - Berliner Hauswand wird zur Algenfarm
Mit dem bloßen Auge ist das «grüne Gold» nicht zu sehen. Nur mit geschultem Blick erkennt man in den parallel angeordneten Röhren an einer Häuserfassade im Berliner Stadtteil Schöneberg eine Algenfarm. Hier auf dem Euref-Campus, einem Energie-Innovationszentrum von Forschungseinrichtungen und Firmen, wachsen Mikroalgen: winzige, einzellige Organismen, die von Sonnenkraft leben und diese in chemische Energie umwandeln. Im Sommer wandert die «Ernte» direkt ins Campus-Restaurant.
Ob im Supermarkt oder der Drogerie, Algenextrakte stecken in vielen Artikeln. Als Kosmetikprodukt für Haut und Haare, als Bindemittel in Eis oder Joghurt und als Stabilisator in Zahnpasta, Frischkäse oder Margarine. Als Farbmittel tünchen sie Zucht-Lachs rosa und Weingummi blau. Überwiegend Makroalgen - mehrzellige Organismen wie der Seetang im Meer - werden derzeit in Lebensmitteln verwendet.
Je nach Algenart enthalten die Zellen wichtige Proteine, Vitamine, Fettsäuren und Enzyme. Der Bioverfahrenstechniker Clemens Posten vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sieht deshalb Algen auch als Massenlebensmittel: «Weltweit gibt es das Problem einer Unterversorgung an Proteinen, das mit Algen lösbar scheint», sagt er.
Algen sind außerdem ergiebige Energielieferanten - daher der Beiname «grünes Gold». Kostbares Ackerland brauchen sie nicht. «Sogar auf einem extrem trockenen Gebiet kann man Algen züchten», sagt Clemens Posten. Die Behälter, in denen die Algen wachsen, können auch auf unfruchtbaren oder ungenutzten Flächen stehen - zum Beispiel an Häuserwänden.
«Mit unserer Anlage möchten wir zeigen, welches Potenzial in der Pflanze steckt und wie eine Mikroalgenanlage funktioniert», sagt Gunnar Mühlstädt, der mit seinem Team die Bioreaktoren entwickelt hat. Träger ist ein Unternehmen, das Technologien rund um die Nutzung und Aufbereitung von Trinkwasser entwickelt. Mitte Juli fällt der offizielle Startschuss für das Projekt.
Zusammengenommen sind die Röhren der Anlage einen Kilometer lang.
Alle zwei Wochen soll Erntezeit sein. Dann wird mit einer Zentrifuge das Wasser von den Algen getrennt. Mehr als ein Kilo Algenpaste soll die Farm täglich abwerfen - vorausgesetzt, das Wetter spielt mit. «20 Grad und Sonnenschein, das sind gute Bedingungen für das Algenwachstum», sagt Mühlstädt.
Die Anforderungen der Pflanze machen es in diesen Breitengraden schwer, Algen in großer Zahl zu züchten. «Klimatisch kann Deutschland da mit südlichen Regionen nicht mithalten,» sagt Timo Enderle. Er berät Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu Biotechnologie. Dass in Deutschland viel zur Alge und ihren Einsatzmöglichkeiten geforscht werde, zahle sich aus, sagt er. «Die hier entwickelte Technik lässt sich weltweit exportieren.»
Beim Forschungszentrum Jülich in Nordrhein-Westfalen gibt es ein Algen-Forschungslabor, in Klötze in Sachsen-Anhalt die wohl derzeit größte Mikroalgenkulturanlage Deutschlands und im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg wurde ein Wohnhaus mit einer Algenfassade bedeckt.
Der Algen-Hype kommt aus den USA, sagt Enderle. Zu Zeiten der Ölkrise investierten die Amerikaner viel in die Entwicklung von Algen-Treibstoffen. «Das Versprechen der Biokraftstoffe konnte aber nicht eingehalten werden», so Enderle. Bis heute ist das Verfahren zu aufwendig und noch weit von einem rentablen Geschäft entfernt.
In Berlin-Schöneberg bringen Mühlstädt und seine Kollegen ihre Alge erst einmal aufs Tablett: Die Paste aus den Mikroalgen mit den Fachnamen Chlorella vulgaris und Spirulina platensis wird im Campus-eigenen Restaurant weiterverarbeitet. Am liebsten möchte Mühlstädt den Rohstoff für Smoothies und Mahlzeiten auch im Winter anbieten: «Mit dem Fraunhofer-Institut experimentieren wir dann mit einem Algenstamm, der den Winter überstehen soll.» (dpa)
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