Nährstoffversorgung: Neue Software deckt versteckte Mangelernährung
Forscher der Universität Hohenheim entwickeln Tablet-Anwendung als neues Tool für die Beratung / Ein Werkstattbericht
Wer die Nährstoffversorgung der Bevölkerung eines Landes genauer unter die Lupe nehmen will, hat ein Problem: Alle bisher üblichen Methoden sind entweder zu ungenau oder sehr aufwendig.
„Beim sogenannten Dietary Diversity Score etwa hält man lediglich grob fest, ob man in den letzten 24 Stunden Lebensmittel aus bestimmten Gruppen wie etwa Fleisch oder Gemüse gegessen hat“, erläutert Dr. Simon Riedel vom Fachgebiet Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft an der Universität Hohenheim. „Das andere Extrem ist der 24-Stunden-Recall: Hier werden alle Details erfasst. Die Befragung und Auswertung nimmt jedoch viel Zeit in Anspruch.“
Doch um die Situation zu verbessern, braucht man eine gute Datengrundlage. „Bisher wird eine Unterversorgung etwa mit Eisen oder Zink oft nicht erkannt“, warnt Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski, Ernährungsmediziner und Direktor des Food Security Centers an der Universität Hohenheim. Besonders in der Schwangerschaft und im Kleinkindalter könne dies fatal sein. „Das kann ganze Generationen beeinträchtigen – einschließlich der Folgen auf die Arbeitsleistung, den Bildungsstand und das ökonomische Wachstum eines Landes.“
Neue Software erfasst Nährstoffversorgung
Einen praktikablen Kompromiss zwischen den Methoden soll nun eine neue Software bieten. Mit CIMI – Calculator of Inadequate Micronutrient Intake – haben die Forscher eine Möglichkeit gefunden, alle notwendigen Daten leichter zu erfassen und auszuwerten.
Der Trick: Die Software fasst die Lebensmittel in Gruppen mit einem bestimmten Nährstoffprofil zusammen und gleicht dies mit einer Datenbank ab. „So kann man die Verzehrgewohnheiten einer Person in kurzer Zeit ermitteln“, erklärt Dr. Riedel. Aus den gewonnenen Daten ermittelt die Anwendung dann die Menge der aufgenommenen Mikronährstoffe. „Dabei fließt auch die Zusammensetzung der Nahrung mit ein. Denn davon hängt ab, wie gut Eisen und Zink von den Dünndarmzellen aufgenommen und anschließend ins Blut abgegeben werden können.“
Die Software gleicht das mit der empfohlenen Tagesdosis ab. Das Ergebnis einer Befragung steht auf dem Tablet sofort zur Verfügung. „CIMI informiert die Betroffenen, wie sie ihren Speiseplan ändern könnten, um die Lücke zwischen tatsächlicher Nährstoffaufnahme und der Empfehlung zu verringern“, so der Experte. Beratern zeige es das Ausmaß der Defizite in der Region auf.
Forscher passen Software an Bedingungen in Äthiopien an
Ursprünglich wurde die Software für Indonesien entwickelt und erprobt. Nun entwickeln die Forscher sie weiter. „Das Programm wollen wir auch als App anbieten, so dass es sich zur großflächigen Nutzung eignet“, berichtet Dr. Riedel.
Außerdem wollen sie CIMI an die Bedingungen in Äthiopien anpassen und seine Funktionen erweitern. „In Äthiopien wollen wir dafür zwei Regionen vergleichen, die sich bezüglich Verfügbarkeit von Lebensmitteln, Regenzeiten, Ethnien, Höhenlage und landwirtschaftlicher Nutzung stark unterscheiden“, kündigt Dr. Riedel an. „Wir wollen testen, ob die Methode für ganz Äthiopien funktioniert, auch in Bereichen mit sehr unterschiedlichen Essgewohnheiten.“
Verantwortlich für die Feldarbeit in Äthiopien sind zwei Absolventen der Universität von Hawassa, die beide an der Universität Hohenheim promovieren. Sie erheben die Daten zur Entwicklung und Kalibrierung der Software und erproben sie unter Realbedingungen.
Bilder ermöglichen auch Analphabeten die Teilnahme
„Lebensmittelbilder sollen künftig den Befragten helfen, ihr individuelles Ernährungsmuster durch einfaches Anklicken des Bildes zu definieren“, skizziert Dr. Riedel die Pläne. „Das schließt alle Bildungsschichten ein und erhöht die Motivation der Befragten, da sie selbst agieren können.“
Später könne man CIMI an weitere Länder anpassen, indem man jeweils landestypische Lebensmitteln und Gerichte integriert. Die gewonnenen Daten schließlich werden in einer Datenbank gesammelt. Sie verschafft einen Überblick über den Ernährungsstatus ganzer Regionen – eine hervorragende Grundlage etwa für entwicklungspolitische Entscheidungen im Land.
Hintergrund zum Projekt
Das Projekt „Entwicklung und Validierung einer userfreundlichen Ernährungserhebungssoftware für Äthiopien zur Erfassung von Mikronährstoffdefiziten“ wird vom Food Security Center (FSC) an der Universität Hohenheim geleitet. Es startete am 1.10.2015 und ist auf drei Jahre ausgelegt. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fördert das Vorhaben mit 470.059 Euro. Kooperationspartner sind die Universität Hawassa in Äthiopien und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).
Hintergrund: Food Security Center (FSC)
Das Food Security Center (FSC) ist ein Exzellenzzentrum der Universität Hohenheim und kooperiert mit Partnerinstitutionen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Das FSC leistet wissenschaftliche Beiträge, um den Hunger in der Welt zu vermindern und die Ernährungssicherung zu verbessern. Damit trägt es zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele der UN (Sustainable Development Goals; SDGs) bei. Das FSC vereint Kompetenzen aus den Agrar-, Natur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.
Die vier Arbeitsschwerpunkte des FSC liegen in der Forschung, der Aus- und Weiterbildung von jungen Wissenschaftlern, dem Wissenstransfer weltweit sowie in der Öffentlichkeitsarbeit und (Politik-)Beratung.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fördert das FSC, neben vier weiteren deutschen Exzellenzzentren, im DAAD-Rahmenprogramm „exceed – Hochschulexzellenz in der Entwicklungszusammenarbeit“. Homepage: www.fsc.uni-hohenheim.de
Hintergrund: Schwergewichte der Forschung
31,2 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim 2015 für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 250.000 Euro bei den Experimentalwissenschaften bzw. 125.000 Euro bei den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften.