Der Veggie-Boom hat an Schwung verloren
Die Entwicklung überrascht. Denn noch Ende vergangen Jahres konnten sich die Hersteller von Fleischersatzprodukten dank des wachsenden Umwelt- und Gesundheitsbewusstseins der Verbraucher und der Experimentierlust von Gelegenheits-Vegetariern über Zuwachsraten von mehr als 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr freuen. Doch in diesem Jahr schwächte sich das Wachstum überraschend schnell ab und kam dann zum Erliegen. "In den letzen zwei, drei Monaten sind die Verkäufe sogar rückläufig", berichtet GfK-Experte Helmut Hübsch.
"Viele Verbraucher haben das mal ausprobiert. Aber ein großer Anteil davon hat es auch bei dem einmaligen Versuch belassen", fasst Hübsch die Eindrücke der Marktforscher aus den letzten Monaten zusammen. Der Geschmack der Produkte hat offenbar nicht immer überzeugt. "Wir haben einen relativ hohen Anteil von Einmalkäufern."
Mitverantwortlich für den Umschwung könnten allerdings auch Untersuchungen der Stiftung Warentest und von Öko-Test gewesen sein, die in den vergangene Monaten Schlagzeilen machten. Oko-Test untersuchte im Frühsommer 22 Fleischersatzprodukte auf Schadstoffe, Fett, Salz und Geschmack. Das ernüchternde Ergebnis: Nur ein Produkt bekam von den Testern die Note "gut", bei knapp der Hälfte der Produkte lautete das Urteil am Ende "mangelhaft" oder "ungenügend".
Die Tester kritisierten die "überraschend hohe Belastung" mit Mineralölbestandteilen bei einigen Produkten, aber auch Überwürzung und die Verwendung glutamathaltiger Zusätze, um den Produktgeschmack auf fleischähnlich zu trimmen. Außerdem bemängelten sie die allzu großzügige Verwendung von Salz bei etlichen Produkten und die "oftmals weiche bis breiige Konsistenz" der Produkte.
Etwas besser, aber auch nicht wirklich gut, fiel ein Test von 20 Fleischersatzprodukten durch die Stiftung Warentest aus. Zwar bekamen hier immerhin sechs Produkte die Note "gut". Doch warnten auch hier die Tester vor "hohen Mengen an Mineralölbestandteilen" in fünf Bratwürsten und einem Veggie-Schnitzel. Und darüber hinaus stellten sie fest: "Einige Veggie-Varianten schmeckten trocken, waren schwer zu kauen oder sehr salzig. Auch sind sie nicht per se kalorienärmer als die vergleichbaren Fleischprodukte. Wer Fett sparen will muss genau hinschauen, welches Produkt er auswählt."
Für den Marketing-Experten Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU kommt der Rückschlag denn auch nicht völlig überraschend. "Vegetarische und vegane Produkte sind nach wie vor kleine Nischenmärkte," sagt er. "Natürlich essen auch Leute, die keine Hardcore-Vegetarier sind, mal Fleischersatzprodukte. Aber das schmeckt halt nicht so, wie man es gewohnt ist. Und es braucht Zeit, sich daran zu gewöhnen."
Zu Ende ist der Veggie-Boom allerdings nach Einschätzung der Experten trotz des aktuellen Rückschlags nicht. "Es geht vielleicht nicht so flott aufwärts, wie ursprünglich gedacht - aber das Thema ist nicht erledigt", ist der GfK-Handelsexperte Wolfgang Adlwarth überzeugt.
Schließlich reduzieren nach einer Studie der Marktforscher inzwischen mehr als ein Drittel der Haushalte in Deutschland bewusst den Fleischverzehr. Vor allem unter den jüngeren Verbrauchern gebe es eine wachsende Gruppe, die aus ethisch-moralischen Gründen wie Tierwohl und Umweltschutz den Fleischkonsum generell ablehne. "Solche Überzeugungen wirft man nicht einfach so über Bord, wenn man älter wird", sind die Konsumforscher überzeugt. Der Anteil der Vegetarier werde in den kommenden Jahren daher wohl trotz der gegenwärtigen Bremsspuren weiter zunehmen.
Und auch der Geschäftsführer des Vegetarierbundes Deutschland, Sebastian Joy zeigt sich wenig beeindruckt von den jüngsten Zahlen: "Veggie-Produkte haben einen festen Platz am Markt eingenommen. Der langfristige Veggie-Trend ist auf breiter Linie und in vielen Bereichen erkennbar", meint er./rea/DP/zb