Neue Studie: Wie man trotz Unerfahrenheit gute Entscheidungen treffen kann
privat
Wer in einer schwierigen Situation eine gute Entscheidung treffen will, sollte sich zunächst eine Reihe möglichst guter Alternativen vor Augen führen und dann eine überlegte Wahl treffen. Hängt die Fähigkeit, solche Alternativen zu identifizieren, davon ab, ob man bereits Erfahrungen mit vergleichbaren Situationen hat? Sind Menschen, die in dieser Hinsicht auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen können, daher grundsätzlich besser als andere in der Lage, gute Entscheidungen zu treffen?
Nein, sagt eine neue Studie des Bayreuther Wirtschaftswissenschaftlers Dr. Johannes Siebert, die in der renommierten Zeitschrift ‚Decision Analysis‘ erschienen ist. Zwar fördern frühere Erfahrungen die Fähigkeit, sich in Entscheidungsprozessen an möglichst guten Handlungsalternativen zu orientieren. Doch auch Unerfahrene sind hierzu in der Lage – nämlich dann, wenn sie dazu angeregt werden, ihre für die jeweilige Situation relevanten Ziele möglichst genau und umfassend in den Blick zu nehmen. So können Unerfahrene die Qualität der von ihnen in Betracht gezogenen Alternativen steigern und eine gute Entscheidung treffen, ohne dass sie zuvor einen langen Lernprozess durchlaufen müssen.
Eine empirische Studie mit Studierenden und Forschenden
Die Studie beruht auf einem Test mit Bachelor- und Master-Studierenden, Promovenden und Postdoktoranden an vier deutschen Universitäten und einer internationalen Summer School in Schweden. Von den insgesamt 236 Teilnehmern, deren Antworten in die Auswertungen einbezogen wurden, waren 123 männlich und 113 weiblich. Die meisten von ihnen waren als Studierende oder Forschende in den Wirtschaftswissenschaften oder angrenzenden Bereichen tätig. Alle Teilnehmer wurden aufgefordert, für eine wissenschaftliche Veröffentlichung aus der Entscheidungstheorie, deren Originaltitel sie nicht kannten, möglichst passende Titel wählen. „Die meisten Bachelor- und Masterstudierenden sehen sich nur selten mit der Aufgabe konfrontiert, für eigene wissenschaftliche Arbeiten einen passenden Titel zu finden, Doktoranden und Postdoktoranden haben darin schon deutlich mehr Erfahrung,“ erklärt Dr. Johannes Siebert. „Aber auch Studierende sind irgendwann mit dieser Herausforderung konfrontiert und müssen sich überlegen, welche Ziele bei der Titelauswahl zu berücksichtigen sind – zum Beispiel, dass der eigene Lebenslauf bei den Adressaten künftiger Bewerbungen einen vorteilhaften Eindruck hinterlässt oder dass potenzielle wissenschaftliche Betreuer leichter auf die eigenen Kompetenzen aufmerksam werden.“
Alle Teilnehmer an der Studie sollten für die wissenschaftliche Arbeit aus der Entscheidungstheorie nicht nur einen, sondern mehrere alternative Titel vorschlagen. In einem mehrstufigen Verfahren haben die Teilnehmer ihre Alternativen schrittweise verbessert. Eine Kontrollgruppe wurde dabei ausdrücklich herausgefordert, Ziele bei der Entwicklung von Alternativen zu reflektieren. Bei der anschließenden Auswertung erhielt dann jeder Titel eine Punktzahl in den Kategorien „Inhalt“, „Sprache“ und „Interesse“: Wie aufschlussreich ist der Titel für den Inhalt der Arbeit? Ist er sprachlich flüssig, gut verständlich, originell und überdies für Suchmaschinen leicht auffindbar? Ist er geeignet, beim Leser ein starkes Interesse zu wecken? Aus den in diesen Kategorien vergebenen Punktzahlen resultierte dann die Gesamtbewertung jedes vorgeschlagenen Titels. Zudem wurde auch das gesamte Set der von einem Teilnehmer vorgeschlagenen Titel bewertet. Ein Set aus wenigen, aber klar unterscheidbaren Alternativen schnitt dabei besser ab als ein Set aus zahlreichen, aber einander ähnlichen Alternativen.
„Die Ergebnisse dieses Tests sind auf viele andere Entscheidungssituationen übertragbar“, erklärt Dr. Johannes Sieber. „Nicht nur bei wissenschaftlichen Texten, sondern generell bei Veröffentlichungen – von Presseartikeln bis hin zu Blogs im Internet – spielt die Titelsuche eine entscheidende Rolle. In analoger Weise müssen im Marketing geeignete Slogans für Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden.“
Sich eigene Ziele vergegenwärtigen, viele Alternativen identifizieren: Ein Schlüssel zu guten Entscheidungen
Wenn Menschen sich in schwierigen Entscheidungssituationen befinden, steigt die Qualität der von ihnen in Betracht gezogenen Alternativen, wenn sie sich die für ihre Entscheidung relevanten Ziele vergegenwärtigen und hierfür auch Impulse von außen erhalten. Dieses Ergebnis einer früheren Studie, die Dr. Johannes Siebert gemeinsam mit dem U.S.-amerikanischen Entscheidungstheoretiker Ralph L. Keeney im Jahr 2015 veröffentlicht hatte, wird durch die neue Studie eindeutig bestätigt.
Darüber hinaus wird erstmals klar: Eine derartige Reflexion über Ziele fördert die Qualität der in Betracht gezogenen Alternativen unabhängig davon, wie viele Erfahrungen ein Mensch in vergleichbaren Entscheidungssituationen bereits gesammelt hat. Erfahrene und Unerfahrene profitieren gleichermaßen davon, wenn sie sich der jeweils relevanten Ziele bewusst werden. Zudem zeigt die Studie am Beispiel einer optimalen Titelwahl auch: Erfahrene Entscheider ziehen grundsätzlich bessere Alternativen in Betracht als Unerfahrene in einer vergleichbaren Lage. „Damit Unerfahrene diesen Vorsprung aufholen können, ist es aber keineswegs zwingend, dass sie sich über einen langen Zeitraum hinweg einen ähnlich großen Erfahrungsschatz aneignen“, erklärt Dr. Johannes Siebert. „Die Untersuchung belegt eindrucksvoll, dass die Qualität der in Betracht gezogenen Alternativen bei Unerfahrenen steigt, sobald eine Reflexion über die eigenen, für die Entscheidung relevanten Ziele einsetzt. In der Stimulation einer solchen Zielorientierung liegt daher eine sehr interessante Chance, fehlende Erfahrung auszugleichen.“
Wie ist dieser Effekt zu erklären? Auch in diesem Punkt liefert die Studie einen Erklärungsansatz: Werden Menschen vor einer schwierigen Entscheidung dazu angeregt, sich die dafür relevanten Ziele vor Augen zu führen, erhöht sich die Zahl der Ziele, die sie in den Entscheidungsprozess einbeziehen. Je größer aber die Zahl dieser Ziele ist, desto besser ist die Qualität der Alternativen, die sie vor einer Entscheidung in Betracht ziehen.