TK und foodwatch: Verbrauchern ist Ernährung nicht Wurst.
Es(sen) braucht lobbyunabhängige Information
"Hauptsache gesund" ist den Menschen in Deutschland am wichtigsten, wenn es um ihre Ernährung geht. Das geht aus der Ernährungsstudie der Techniker Krankenkasse (TK) hervor, die die TK heute zusammen mit foodwatch in Berlin vorgestellt hat. Gefragt, worauf es ihnen bei ihrer Ernährung ankommt, gaben 45 Prozent der Befragten an, dass sie vor allem gesund essen möchten. In der letzten Befragung zum Ernährungsverhalten der Menschen in Deutschland 2013 sagten das nur 35 Prozent. Damit steht "gesund" erstmals noch vor "lecker" (41 Prozent). An Relevanz verlieren auch die Kriterien "kalorienarm" und "schnell".
Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK: "Als Krankenkasse freut es uns natürlich, dass sich immer mehr Menschen gesund ernähren möchten. Wir verzeichnen seit Jahren einen Anstieg ernährungsbedingter Beschwerden. Allein im Bereich Herz-Kreislauf-Krankheiten, die hierzulande wie in vielen Industrienationen Haupttodesursache sind, sind die Arzneimittelverordnungen für Erwerbspersonen in den letzten 15 Jahren um über 80 Prozent gestiegen. Mit Ernährung lassen sich viele Risikofaktoren reduzieren."
Runde Republik Deutschland
Laut der Studie "Iss was, Deutschland." attestiert sich knapp die Hälfte der Menschen in Deutschland Übergewicht, acht Prozent bezeichnen sich als stark übergewichtig. Was hält die Menschen davon ab, sich gesünder zu ernähren? "Häufig fehlt es an der Zeit für den Einkauf und die Zubereitung von frischen Lebensmitteln. Die Menschen greifen dann aus Bequemlichkeit zu Fertiggerichten oder Snacks, die häufig zu viel Fett, Salz oder Zucker enthalten", erklärt die Gesundheitspsychologin Prof. Dr. Annegret Flothow von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW). "Nur ein Viertel der Befragten gibt an, dass sie nicht genug über gesunde Ernährung wissen."
Unabhängige Ernährungsinformation für mündige Verbraucher
Forderungen der Politik, das Thema Ernährung auf die Lehrpläne zu nehmen, sehen die Experten daher eher kritisch, wichtig seien aber verständliche und unabhängige Verbraucherinformationen. Oliver Huizinga von der Verbraucherorganisation foodwatch: "Die gesunde Wahl wird uns unnötig schwer gemacht. Der Großteil der Erfrischungsgetränke ist überzuckert, die Kennzeichnung von Fett, Zucker und Salz ist eine Zumutung, und selbst Süßigkeiten werden wie gesunde Produkte beworben. Das ist kein Bildungsproblem, sondern ein Problem des Angebots, das die Lebensmittelwirtschaft uns vorsetzt. Der Bundesregierung mangelt es offensichtlich an dem politischen Willen, sich mit der Branche anzulegen."
Verbrauchern ist nicht alles Wurst
Auch TK-Chef Baas sieht Industrie und Politik in der Pflicht: "Gesunde Ernährung liegt im Trend, fällt aber vielen schwer. Wenn ich für den Besuch im Supermarkt ein Biochemiestudium benötige, um Zucker in der Zutatenliste überhaupt identifizieren zu können, wenn ich Licht und Lupe brauche, um diese Liste überhaupt lesen zu können, läuft etwas falsch. Unser Problem ist auch nicht, ob vegetarische Produkte Wurst oder Frikadelle heißen dürfen, sondern ob der Verbraucher weiß, was an Zusatzstoffen in seiner vermeintlich gesunden Alternative steckt."
Die Ernährungsstudie zeige zudem, dass die Verbraucher heute deutlich kritischer mit ihrem Fleischkonsum umgingen. Peter Wendt, in der Marktforschung der TK für die Datenanalyse verantwortlich: "Der Anteil der Veganer und Vegetarier ist mit ein bzw. zwei Prozent immer noch sehr klein. Weitere 13 Prozent der Menschen in Deutschland bezeichnen sich als sogenannte Flexitarier, das heißt, sie ernähren sich überwiegend vegetarisch und verzichten weitgehend auf Fleisch- und Wurstwaren. Auch der Anteil der Verbraucher, die bevorzugt bio kaufen, ist in den letzten drei Jahren von einem Drittel auf 40 Prozent gestiegen.
Essen kultivieren statt sanktionieren
Ein bewussterer Lebensmittelkonsum ohne Verbote und Sanktionen sollte nach Ansicht des TK-Chefs das Ziel sein. "Essen ist viel mehr als nur Nahrungsaufnahme. Es ist Kultur, Genuss und bringt Menschen zusammen. Beim Familienessen oder im Stadion möchte niemand Kalorien zählen. Aber wir sollten uns das bewusst gönnen, wissen, was wir essen und gute Lebensmittel angemessen wertschätzen", so Baas. Dafür bedarf es nach Ansicht der TK der gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten. Neben der Eigenverantwortung der Verbraucher, sind Gesundheitswesen, Bildungsträger, Lebensmittelindustrie und Politik gefordert.
"Die Weltgesundheitsorganisation fordert bereits seit langem ein Bündel an wirksamen Maßnahmen gegen Fehlernährung und Übergewicht. Kinder und Jugendliche müssen vor manipulativer Werbung für ungesundes Essen gesetzlich geschützt werden, damit sie nicht von klein auf ungesundes Essverhalten lernen. Wir brauchen endlich eine verständliche Nährwertkennzeichnung in Ampelfarben, damit wir auf einen Blick im Supermarkt Produkte vergleichen können. Und die Getränke-Industrie muss weniger Zucker in ihre Produkte mischen - mit einer Sonderabgabe für besonders zuckerreiche Getränke kann das erreicht werden. Bislang scheitert all das am Widerstand der Lebensmittelindustrie", so Oliver Huizinga von foodwatch.