Sushi oder Springschwanz? DNA-Barcoding für jedermann.

10.05.2017 - Deutschland

Beinchenzählen war gestern. Wer wissen will, was in seiner Umgebung kreucht und fleucht, kann DNA-Barcoding nutzen. Mit dem Verfahren füllen Wissenschaftler eine weltweite Bibliothek des Lebens. Ein kleines Unternehmen bietet die Artbestimmung jetzt für jedermann an.

Unappetitlich sieht sie aus: Eine braune Masse wabert in einem Becher. Ausgeschüttet in eine weiße Schale werden Beinchen sichtbar, Fühler, ganze Käfer. Es ist der Inhalt einer Falle aus dem Bayerischen Wald. 500 bis 600 Arten, darunter Spinnen, Weberknechte, Springschwänze. Doch so können die Biologen Jérôme Morinière und René Tänzler wenig damit anfangen. Erst getrocknet, zerkleinert, zermörsert, ja am Ende gar zu Pulver gemahlen wird daraus für sie Arbeitsmaterial.

Die Forscher wollen herausfinden, welche Tiere gefangen wurden. Was früher in mühevoller Kleinarbeit sortiert und bestimmt werden musste, geht mit einer relativ jungen Methode recht fix: DNA-Barcoding. Die Grundidee: Anhand eines bestimmten Gens in den Mitochondrien, den sogenannten Kraftwerken der Zellen, lassen sich fast alle Tierarten unterscheiden. «Dafür reichen schon kleinste Mengen», sagt Morinière. Ei, Larve, Flügelfetzen - damit lassen sich Arten identifizieren.

Dazu wird in einem mehrstufigen Verfahren das sogenannte CO1-Gen aus den Fundstücken herausgelöst, vervielfältigt und in einem externen Labor sequenziert - also die Abfolge der vier Basen, aus denen die DNA besteht, entziffert. Diese unterschiedlich eingefärbt ergeben am Computerbildschirm Reihen bunter Balken, die an die Strichcodes auf Etiketten erinnern - daher auch der Name der Methode.

Jede Art bekommt auf diese Weise einen Barcode. Und analysierte Barcodes können mit der entsprechenden Datenbank abgeglichen - und im besten Fall zugeordnet - werden. Das Ganze dauert zwei bis drei Tage, wie Morinière erläutert. Hintergrund ist die internationale «Barcode of Life Database», eine Bibliothek des Lebens, die Forscher weltweit seit Jahren auf kanadische Initiative hin füllen.

In Deutschland hat Gerhard Haszprunar, unter anderem Direktor der Zoologischen Staatssammlung München (ZSM), vor rund neun Jahren begonnen, die gut 35 000 Tierarten in Bayern zu erfassen. «Ein ehrgeiziges Vorhaben», sagt er selbst. Etwa 20 000 sind aber bereits in der Referenzbibliothek, «alles Relevante ist dabei».

Inzwischen arbeiten bundesweit immer mehr Wissenschaftler mit DNA-Barcoding, wie Regine Jahn, Erste Vorsitzende des Deutschen Nationalkomitees der Biologen-Verbände IUBS und IUMS, sagt. So ist das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn federführend beim German Barcode of Life - dem Projekt zur Inventarisierung der Tiere, Pflanzen und Pilze in Deutschland.

Eintönige Kleinarbeit für Freaks? «Das ist genau der Gegensatz zum Elfenbeinturm», sagt Jahn, die mit einzelligen Algen arbeitet und selbst auch Barcoding nutzt. «Früher hieß es: Ihr seid ja nur die Beinchenzähler», sagt sie mit Blick auf Taxonome - Experten, die Arten beschreiben. «Jetzt geht das Bestimmen ratzfatz.» So bleibe mehr Zeit um herauszufinden, welche anderen Arten in einem Gebiet leben, wie sich der Klimawandel auswirkt, ob neue und unbekannte Arten hinzukommen und welche Rolle ein Lebewesen in der Natur spielt.

Weitere Vorteile des Barcodings, die immer wieder angeführt werden: Für viele Arten gibt es immer weniger Spezialisten, die sich in den Details auskennen. Zudem spart die Methode neben Zeit Geld.

Daher wird Barcoding gefragter - auch aus kommerzieller Sicht. Und weil da die Wissenschaft an ihre Grenzen stößt, haben Morinière und Tänzler das Unternehmen AIM - Advanced Identification Methods - gegründet. Noch sind sie in den Räumen der Zoologischen Staatssammlung München, wo sie unter der Regie von Professor Haszprunar mit der Anwendung begonnen haben. Aber in den kommenden Jahren wollen sie komplett selbstständig werden - und bieten DNA-Barcoding gewissermaßen für jedermann an.

Nationalparke, Naturkundemuseen wie das Stuttgarter und Unis gehören zu ihren Kunden, wie Morinière sagt. Sie lassen beispielsweise die Artenvielfalt vor Ort bestimmen. Mit Fallen in verschiedenen Regionen kann die Ausbreitung neuer Arten verfolgt werden. Aber die Experten haben auch schon für einen Camemberthersteller, der Larven im Käse entdeckte, herausgefunden, an welcher Stelle der Kühlkette eine Lücke war.

Als mögliche Nutzer sieht Morinière Bauern, die Eier auf Tomaten finden und schnell wissen müssen, ob die Miniermotte sich ausbreitet.

Vertreiber von Buschfleisch oder teurem Fisch etwa für Sushi könnten ihre Lieferanten überprüfen. Und auch Privatleute, die bei Getier in der Küche vorher klären wollen, ob der Kammerjäger anrücken muss, könnten auf Barcoding zurückgreifen. Je nach Umfang der Analyse und Qualität der Probe kassiert das Unternehmen 35 bis 200 Euro. Am Ende gibt es zur genauen Auswertung auch Handlungsempfehlungen. Mit dem vorhandenen Genmaterial können die Biologen zudem bestimmen, aus welcher Population ein Tier stammt - ob die Forelle angeblich aus österreichischer Zucht vielleicht ein Fake ist.

Anfangs hatte DNA-Barcoding einen schweren Stand, wie Haszprunar sagt. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft sei das nicht Forschung genug gewesen, beschreibt er. «Das ist ja auch nicht Forschung, sondern Infrastruktur für Forschung.» Für das bayerische Projekt hat er mittlerweile 1,5 Millionen Euro von der Staatsregierung bekommen.

Die Bonner Kollegen hätten Geld beim Bundesforschungsministerium locker gemacht. Auch im Bundestag ist DNA-Barcoding nun Thema.

Lebensmittelkontrolle, der Zoll aber auch Gutachter vor Gericht könnten kostengünstig profitieren, wirbt Haszprunar für die Methode. Und im Vergleich zur herkömmlichen Taxonomie sieht er einen weiteren Vorteil: «Wir haben nicht mehr nur Meinungen, sondern Fakten.» (dpa/Marco Krefting)

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