Studie von Bain zum US-amerikanischen Lebensmittelmarkt
Aldi und Lidl mischen US-Supermärkte auf
US-amerikanische Handelskonzerne verkennen die Herausforderung durch die deutschen Discounter in den Vereinigten Staaten
Pixabay
- Auch in den USA kaufen alle sozialen Schichten bei Discountern ein, der Anteil wohlhabender Kunden wächst
- Bei Aldi und Lidl schätzen US-Kunden das günstige Preis-Leistungs-Verhältnis und halten deren Produkte für qualitativ hochwertig
- Durch gezielte Preissenkungen, Eigenmarken, Frische- und Serviceangebote, intelligente Kostensenkungen und Datenanalysen können US-Handelsketten ihre Marktposition zumindest verteidigen
Die deutschen Discounter starten eine neue Expansionswelle in den USA. Lidl wird dort noch im Juni 2017 seinen ersten Laden eröffnen und plant 500 weitere Märkte innerhalb der nächsten fünf Jahre. Aldi beabsichtigt, bis Ende 2018 in den Vereinigten Staaten 400 neue Läden zu errichten und seine bereits bestehenden 1.600 Filialen für rund 1,6 Milliarden US-Dollar zu modernisieren. Bis 2020 werden die deutschen Discounter in den USA jährlich um 8 bis 10 Prozent wachsen - und damit fünfmal schneller als der einheimische traditionelle Lebensmittelhandel.
Wie sehr die Deutschen den US-amerikanischen Lebensmittelhandel durcheinanderwirbeln, zeigt die aktuelle Studie "Getting Ready to Battle Grocery's Hard Discounters" der internationalen Managementberatung Bain & Company. Für die Studie wurden 2.800 Kunden von Safeway, Kroger, Walmart, Target, Costco und Sam's Club befragt. "Die traditionellen US-Lebensmittelhändler haben völlig falsche Vorstellungen vom Discountgeschäft", stellt Miltiadis Athanassiou fest, Bain-Partner und Leiter der Praxisgruppe Handel und Konsumgüter in Europa. "Deshalb unterschätzen sie die Gefahr durch die neue Konkurrenz."
Vier Mythen über Discounter
I. Die traditionellen Lebensmitteleinzelhändler in den USA glauben, dass nur Menschen mit niedrigem Einkommen zu Aldi und Lidl gehen.
Die Kunden der Discounter unterscheiden sich laut Bain-Studie weder beim Einkommen noch bei der Bildung maßgeblich von denen der herkömmlichen Lebensmittelhändler. Speziell Familien und der breite Mittelstand kaufen vermehrt bei den deutschen Discountern ein. Durch sein breites Sortiment und Läden in besseren Gegenden zieht gerade Aldi ein wohlhabenderes Publikum an.
II. US-Händler halten ihre Kunden für treu.
Aldi und Lidl haben ein sehr gutes Image in den USA. 71 Prozent der Studienteilnehmer, die mangels Filialen vor Ort noch nie bei einem Discounter waren, würden Lidl, 61 Prozent Aldi testen, sobald sie Läden in ihrer Nähe eröffneten. Derzeit streben die deutschen Handelskonzerne in den Mittleren Westen der Vereinigten Staaten, in den Nord- und Südosten sowie nach Texas und Kalifornien.
III. Die etablierten Ketten vertrauen auf die Zugkraft bekannter nationaler Marken.
Offen für Eigenmarken sind rund 85 Prozent der US-Amerikaner. Davon hält mehr als die Hälfte Eigenmarken für mindestens genauso gut oder sogar für qualitativ besser als die großen nationalen Marken. Die Produkte von Aldi bewerten drei Viertel der Befragten positiv. Dies gilt insbesondere für Grundnahrungsmittel wie Milchprodukte, Eier sowie Dosen- und Tiefkühlkost.
IV. Die großen US-Supermärkte gehen davon aus, dass die Kunden nur ausgewählte Billigprodukte beim Discounter kaufen.
Auch in den USA dienen die genannten Grundnahrungsmittel als Barometer für die Qualität des Gesamtangebots. Sind die Kunden nach ersten Testkäufen überzeugt, erledigen sie schon bald darauf ihren gesamten Lebensmitteleinkauf beim Discounter. So ziehen die neuen Wettbewerber immer mehr Geschäft von den etablierten Supermärkten ab. Und das werden die Discounter noch stärker tun, wenn sie wie geplant ihr Sortiment breiter aufstellen oder - wie Aldi - auch in den USA Bio- oder Premiumprodukte sowie selektiv bekannte nationale Marken anbieten.
Mit Differenzierungsstrategie den Marktanteil verteidigen
"Um gegen die harte Konkurrenz von Aldi und Lidl zu bestehen, brauchen die traditionellen Lebensmittelhändler in den USA eine klare Gegenstrategie", betont Serge Hoffmann, Bain-Partner und Handelsexperte. "Sie kommen nicht umhin, ihr Geschäftsmodell zu modernisieren." Dies sollte in fünf Schritten erfolgen:
1. Eigenmarken gezielt stärken und als attraktive Brands vermarkten. Dabei gilt es auf aktuelle Trends und Kundenwünsche einzugehen. Dazu gehören Rezeptvorschläge inklusive Zutaten oder besondere Ernährungsweisen wie die Paleo-Diät.
2. Bei Obst, Gemüse, Käse und Fleisch punkten. Durch Qualität, Auswahl, kurze Transportwege und zertifizierte Lieferanten lässt sich bei diesen Frischeprodukten der Abstand zu den Discountern wahren.
3. Bequemlichkeit für den Kunden schaffen. Nicht nur Großmärkte am Stadtrand, sondern auch kleinere Filialen in dicht besiedelten Wohnvierteln empfindet der Kunde als praktisch. Darüber hinaus schätzt er eine übersichtliche Gestaltung der Flächen, schnelles Bezahlen etwa durch Self-Checkout oder Omnikanal-Ansätze wie Click & Collect.
4. Intelligent sparen und automatisieren. Dabei sollten sich die Kostenstrukturen an den Präferenzen der Kunden orientieren und nur Angebote gekürzt werden, die keinen Mehrwert erzeugen.
5. Digitalisieren und Daten auswerten. Analysen des Käuferverhaltens generieren zusätzliche Wertschöpfung, indem beispielsweise statt einer gigantischen, unübersichtlichen Warenauswahl ein intelligentes Produktspektrum vorgehalten wird, an dem auch tatsächlich Kaufinteresse besteht. Durch eine Reduzierung des Sortiments um 10 bis 20 Prozent können die Verkäufe in verschiedenen Kategorien um 2 bis 4 Prozent gesteigert werden.
Die deutschen Discounter werden mit ihrem disruptiven Geschäftsmodell den US-Lebensmittelmarkt zweifelsohne in Bewegung setzen und weitere Marktanteile erobern. Für die etablierten Handelsriesen in den USA muss es nun darum gehen, die eigene Position zumindest zu verteidigen und nicht dem Wettbewerb zu überlassen. "Wer entschlossener handelt als die Konkurrenz, kann auch in diesem noch härter umkämpften Markt gewinnen", resümiert Bain-Experte Athanassiou.