Kohlenhydrate vs. Proteine: Frühstückszusammensetzung beeinflusst soziales Entscheidungsverhalten

02.07.2018 - Deutschland

Die Zusammenstellung von Makronährstoffen bei einer Mahlzeit beeinflusst, wie Menschen sich in sozialen Situationen entscheiden. Forscher eines interdisziplinären Teams in Lübeck untersuchten den Einfluss des Frühstücks in Bezug auf soziales Entscheidungsverhalten. Teilnehmer, die zum Frühstück mehr Kohlenhydrate und weniger Proteine zu sich nahmen, neigten eher dazu, Ungerechtigkeit abzulehnen. Sie reagierten auf „unfaire Angebote“ sensibler als diejenigen, die proteinlastiger frühstückten. Was diese Erkenntnisse über unausgewogenes Frühstück für Essensangebote in Kitas, Schulen und Kantinen bedeuten könnte, diskutieren Experten auf einer Pressekonferenz am 28. Juni 2018 in Berlin.

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Makronährstoffe, also Kohlenhydrate, Fette und Proteine, sind Bestandteile der Nahrung, aus denen der Körper Energie gewinnt. Jede Mahlzeit variiert in der Zusammensetzung dieser Bausteine. Die Zusammensetzung der Makronährstoffe steuert den Aminosäure-Haushalt und dieser wiederum bestimmt mit, welche Botenstoffe – also Neurotransmitter – im Gehirn zur Verfügung stehen. Das ist seit einigen Jahren bekannt. „Biochemische Prozesse beeinflussen unser Verhalten. Bislang hatten wir jedoch keine Erkenntnisse darüber, in welchem Maß diese nahrungsinduzierten Veränderungen bei den Botenstoffen im Gehirn auftreten und ob sie das Verhalten messbar verändern“, sagt Professor Dr. med. Sebastian M. Schmid, stellvertretender Klinikdirektor Medizinische Klinik 1, Leiter Endokrinologie, Diabetologie, Internistische Adipositasmedizin an der Universität zu Lübeck. Um der Frage, wie die Ernährung soziales Verhalten beeinflusst, auf den Grund zu gehen, bildete sich in Lübeck ein interdisziplinäres Forscherteam, zu dem neben Schmid auch die Psychologin Professor Dr. Soyoung gehörte. Sozialpsychologische Tests, kombiniert mit medizinischen Analysemethoden, bildeten das Gerüst für zwei aufeinander aufbauende Studien, in denen herausgefunden werden sollte, inwieweit die tägliche Nahrung das soziale Verhalten bestimmt.

Bei beiden Studien stand das Frühstück im Mittelpunkt, da es nüchtern eingenommen wird und Ergebnisse damit nicht durch vorangegangene Mahlzeiten verfälscht werden konnten. An der ersten Studie nahmen 87 Probanden teil. Bei dieser Onlinestudie gaben die Teilnehmer am späten Vormittag an, was sie an diesem Morgen zum Frühstück gegessen hatten. Dann sollten sie in einem Test, dem sogenannten Ultimatum Game (UG), auf ein „unfaires Angebot“ eines virtuellen Gegenspielers reagieren. Beim UG, einem Spiel für zwei Akteure, geht es darum, eine Geldsumme untereinander zu teilen. Dabei macht die eine Person einen Vorschlag, den die andere dann entweder akzeptieren oder ablehnen kann; geschieht letzteres, dann bekommt keiner der beiden etwas. Die Entscheidung hängt vor allem damit zusammen, ob das Angebot als „fair“ oder „unfair“ empfunden wird. „Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass es einen Zusammenhang zwischen der Makronährstoffkomposition des Frühstücks und der Reaktion der Probanden auf unfaire Angebote gab“, so Schmid. Je höher der berichtete Anteil an Kohlenhydraten im zurückliegenden Frühstück war, desto sensibler reagierten die Probanden auf „unfaire Angebote“.

Unter Laborbedingungen, randomisiert und kontrolliert, wurde dann eine zweite Studie mit insgesamt 24 Probanden durchgeführt. Nun ging es darum, auch die biochemische Seite zu erfassen. Die Probanden erhielten an zwei verschiedenen Tagen dabei einmal ein Frühstück mit einem sehr hohen Kohlenhydratanteil von 80 Prozent (Protein zehn Prozent, Fett zehn Prozent) und in der anderen Versuchsanordnung ein Frühstück mit gleichem Kaloriengehalt und einer Makronährstoffzusammensetzung gemäß den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: Kohlenhydrat 50 Prozent, Protein 25 Prozent und Fett 25 Prozent. Drei Stunden nach dem Verzehr des Frühstücks wurden verschiedene neurokognitive Tests durchgeführt, darunter auch das Ultimatum Game. Durch Blutuntersuchungen ermittelten die Forscher dann relevante stoffwechselbedingte und hormonelle Parameter. „Die Laborstudie konnte die Ergebnisse der ersten Studie bestätigen: Abhängig vom Kohlenhydratanteil im Frühstück reagierten Probanden unterschiedlich auf unfaire Angebote. „Nach einem Frühstück mit hohem Kohlenhydratanteil waren die Probanden sehr viel empfindlicher gegenüber unfairen Angeboten als in der Versuchsbedingung mit einer ausgeglichenen Makronährstoffkomposition“, fasst Schmid zusammen.

Keine Rolle scheint der nach dem Essen gemessene Blutzuckerspiegel zu spielen. Einzig das nach dem Essen veränderte Profil der zirkulierenden neutralen Aminosäuren („large neutral amino acids“/lange neutrale Aminosäuren, LNAA) konnte das veränderte Entscheidungsverhalten der Probanden erklären. „Damit konnten wir verlässlich das Gerechtigkeitsverhalten der Probanden in statistischen Modellen vorhersagen“, betont Schmid. Je höher der Kohlenhydratanteil und entsprechend niedriger der Proteinanteil war, umso niedriger waren die Tyrosinspiegel im Blut der Probanden. Die Tyrosinkonzentration im Blut lässt wiederum auf die Konzentration des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn schließen.

Für Professor Dr. med. Matthias M. Weber, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), zeigen diese Ergebnisse interdisziplinärer Forschung deutliche Ansätze zur „Anwendung in der Praxis“ und werfen einige ganz alltagspraktische Fragen auf: „Wenn wir ableiten können, dass ein extrem unausgewogenes Verhältnis von Kohlenhydraten zu Proteinen in einer Mahlzeit direkt das Verhalten beeinflusst, dann sollte dem Thema ‚Ausgewogenheit der Nahrungszusammensetzung‘ mehr Gewicht beigemessen werden“. Ob Diäten wie „low carb“, die einen stark reduzierten Kohlenhydratanteil fordern, oder Kantinen- und Schulessen, das noch immer häufig kohlenhydratlastig ist, Mahlzeiten sollten auf den Prüfstand, was weitere Studien in diesem spannenden und interdisziplinären wissenschaftlichen Gebiet unverzichtbar mache, so Weber.

Auf der gemeinsamen Pressekonferenz der beiden Fachgesellschaften am 28. Juni 2018 in Berlin stehen neben seltenen Hormonerkrankungen und Diabetes auch die Themen Ökonomisierung in der Medizin sowie Studium und Ausbildung von Diabetologen auf der Agenda.

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