foodwatch wirft EU massive Versäumnisse beim Gesundheitsschutz vor
Offener Brief: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist "realitätsfern"
Tim Dirven/foodwatch
"Egal ob Fipronil in Eiern, verseuchte Lactalis-Babymilch oder Pferdefleisch in der Rindfleisch-Lasagne: Europa wird immer wieder von Lebensmittelskandalen erschüttert, häufig verbunden mit Gesundheitsgefahren für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Statt die 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Europa zu schützen und Schwachstellen im EU-Recht zu beheben, tut Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker so, als sei alles in bester Ordnung", kritisierte foodwatch-Expertin Lena Blanken.
Die Verbraucherorganisation legte der Kommission eine Schwachstellenanalyse des EU-Lebensmittelrechts einschließlich konkreter Verbesserungsvorschläge vor. So müsse die EU beispielsweise die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln sicherstellen. Der Fipronil-Skandal etwa habe gezeigt, dass die im EU-Lebensmittelrecht eigentlich vorgeschriebene lückenlose Rückverfolgbarkeit in der Lebensmittelkette bis heute nicht funktioniert. Zudem müssten Unternehmen dazu verpflichtet werden, ihre eigenen Produkte auf gesundheitliche Unbedenklichkeit zu testen. Auch das Warnsystem kritisierte foodwatch als mangelhaft: Im EU-Lebensmittelrecht müsse klar geregelt werden, dass Behörden bei Verstößen die Verbraucherinnen und Verbraucher schnell und umfassend informieren müssen - und zwar unter Nennung der Namen der Hersteller und Produkte und sowohl in Fällen, in denen Gesundheitsgefahr besteht als auch bei Betrug. Außerdem forderte foodwatch für Verbraucherverbände die rechtliche Möglichkeit, Behörden zu verklagen, wenn diese ihre Verpflichtungen im Rahmen des EU-Rechts missachteten. Erst das schaffe das nötige Druckmittel für Verbraucherorganisationen.
Jean-Claude Juncker selbst sieht jedoch offenbar kaum Handlungsbedarf: Erst kürzlich ließ er über eine Sprecherin mitteilen, dass Lebensmittel entlang der gesamten Produktionskette rückverfolgt werden könnten. Nur so habe der Fipronil-Skandal so schnell aufgearbeitet werden können. foodwatch kritisierte diese Behauptungen in dem Schreiben an Herrn Juncker als "komplett falsch und respektlos gegenüber den europäischen Bürgerinnen und Bürgern". Bis heute wüsste niemand, wie viele Millionen Eier mit dem Insektengift Fipronil belastet sind und wohin diese geliefert wurden.
Die Europäische Kommission hat zwar im April einen Reformvorschlag für das europäische Lebensmittelrecht vorgelegt. Dieser sieht aber lediglich neue Regeln bei der Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln vor - alle anderen Bereiche bleiben unberührt. foodwatch kritisierte den Vorschlag als nicht ausreichend. Vielmehr müssten die grundlegenden Schwachstellen im EU-Recht abgestellt werden. Das allgemeine europäische Lebensmittelrecht, die sogenannte EU-Basisverordnung 178/2002, wurde 2001 als Antwort auf die BSE-Krise ("Rinderwahnsinn") beschlossen. Im Rahmen des "REFIT-Prozesses" (Regulatory Fitness and Performance Programme) der Europäischen Kommission soll es jetzt überarbeitet werden.