Rohstoffbeschaffung in der Lebensmittelindustrie

Globale und lokale Wechselwirkungen entlang der Lieferkette stellen Unternehmen vor neue Herausforderungen

27.09.2018 - Deutschland

Fresenius-Fachtagung diskutierte Marktentwicklungen, Lieferantenmanagement und Risikofaktoren

Rohstoffeinkauf auf dem Weltmarkt ist für die deutsche Lebensmittelindustrie ein entscheidender Wettbewerbsfaktor, der von vielen Einflüssen und Unsicherheiten abhängt. Am 18. und 19. September diskutierte die zweite Fresenius-Fachtagung „Globale Rohstoffbeschaffung in der Lebensmittelindustrie“ aktuelle Herausforderungen und bewährte Strategien.

Auf dem Programm der Fachtagung standen neben einer Analyse aktueller Markt- und Preisbewegungen auch thematische Schwerpunkte, zu denen die Akademie Fresenius ausgewiesene Experten aus internationalen Unternehmen gewinnen konnte. Trends und Risiken bei der Beschaffung von Bio-Rohstoffen standen ebenso auf der Tagesordnung wie Abwehrmöglichkeiten gegen Lebensmittelbetrug (Food Fraud). Außerdem berichteten die Referenten über gelungenes Allergenmanagement in der Beschaffung und diskutierten Sorgfaltspflichten und Produktverantwortung.

Das erste Jahr seit Ende der Zuckerquote: deutlich höhere Rübenzuckerproduktion in Deutschland

Die erste Fresenius-Fachtagung zur globalen Rohstoffbeschaffung im Oktober 2017 hatte ganz im Zeichen des Auslaufens der EU-Quoten für Zucker und für Isoglukose gestanden. Ansgar Vielberg von der Südzucker-Gruppe (Mannheim) hatte damals einen Blick in die Zukunft gewagt und eine erhebliche Steigerung der Rübenzuckerproduktion in einem unsicheren Marktumfeld vorhergesagt. Nun war er wieder Gastreferent der Akademie Fresenius und zog Bilanz. „Kann Zucker Markt?“ fragte er sich nach den ersten zwölf Monaten eines freien Zuckermarktes in Europa. In dieser Zeit hat sich die Bilanz der deutschen Zuckerwirtschaft merklich verändert. Sie verzeichnet deutlich weniger Importe und einen Rückgang der Isoglukoseproduktion. Dafür steigen die Zuckerexporte auf 3,5 Millionen Tonnen. Mit Sorge beobachtet Vielberg den weltweiten Produktionsüberschuss: Das große Zuckerangebot senkt das Preisniveau weltweit. So nimmt der Weltmarktpreis unmittelbar Einfluss auf den Zuckerpreis innerhalb der EU. „Spekulanten ziehen darüber hinaus die Preise runter“, beklagt Vielberg. Experten erwarten einen stetigen Anstieg der Zuckernachfrage auf dem Weltmarkt. Das Umfeld indes bleibt schwierig. Nach wie vor verzerren die großen Erzeugerländer den Wettbewerb zu ihren Gunsten. Auch innerhalb des EU-Marktes gebe es extreme Verzerrungen, so Vielberg. Für das neue Zuckerwirtschaftsjahr 2018/19, welches im Oktober startet, erwartet Vielberg nach neusten Schätzungen einen trockenheitsbedingten Produktionsrückgang der EU-Rübenzuckerproduktion um rund 2 Millionen Tonnen. Davon alleine 0,8 Millionen Tonnen weniger in Deutschland.

Schweinefleischmarkt: globale Einflüsse bestimmen auch den heimischen Markt

Nicht nur der Zuckermarkt ist weltweit und grenzenlos. Auch der Schweinefleischmarkt unterliegt längst globalen Bestimmungen und Schwankungen, wie Dr. Stephan Kruse von der VION Food Group, ein internationaler Fleischproduzent mit 25 Produktionsstandorten in den Niederlanden und Deutschland, berichtete. Seit Anfang dieses Jahrtausends ist die Zahl der Schweineschlachtungen in Deutschland rasant angestiegen. 45 Prozent des Schweinefleischs wird exportiert. Die Nachfrage nach Schweinefleisch steigt besonders in Asien: China und Japan sind die größten Schweinefleischimporteure. Der Export ist vor allem für kleine Produzenten alles andere als einfach, weil jedes Land seine individuellen Verzehrgewohnheiten hat, die sich in Importwünschen niederschlagen. Das Schwein wird global in Teilstücken vermarktet: Bäuche, Nacken und Schultern nach Korea, Spareribs in die USA. Diese Nachfrage können zumeist nur Großbetriebe mit mehr als 50.000 Schlachtungen pro Woche erfüllen: „Es bringt nichts, wenn ein Betrieb den Zugang zum Weltmarkt sucht, selbst aber nicht genügend Ware aufbringen kann, um Geschäfte zu machen“, so Kruse. Aber auch Betriebe, die sich ganz auf den heimischen Markt konzentrieren, werden immer abhängiger von Weltmärkten: „Heutzutage haben die Preise auf den Exportmärkten großen Einfluss auf die Preisbildung in Deutschland.“ Deshalb seien Wechselkurse plötzlich ein wichtiges Thema für alle deutschen Landwirte, die intensiv die Kurse von US-Dollar, britischen Pfund und Yen beobachten.

Unternehmen müssen „äußere und innere Gefahren“ des Lebensmittelbetrugs in den Blick nehmen

Einstimmig betonten die Referenten die Bedeutung der Zusammenarbeit von Herstellern und Lieferanten entlang der gesamten Lieferkette: Nur so ließen sich umfassendes Allergenmanagement sicherstellen und Lebensmittelbetrug verhindern. Markus Dürrschmid von Gutscher Mühle (Traismauer) mahnte eine „kritische Betrachtung der Wertschöpfungskette“ an. So ließe sich verhindern, dass „manche mehr daraus schöpfen als die Kette wert ist.“ Überbordender Egoismus sei ein „Nährboden für unsichere Lebensmittel“.

Die „äußere Gefahr“ des Food Defense lässt sich durch Abwehrmechanismen wie Zugangskontrollen, Videoüberwachung oder Plombierung von LKWs eindämmen. Dürrschmid mahnt die Unternehmen aber auch zur Wachsamkeit vor „inneren Gefahren“: Der Großteil der Manipulationen erfolge durch „frustrierte Mitarbeiter auf allen Prozessebenen“.

Die Kunst des internationalen Lieferantenmanagements: Vertrauen, ohne Kontrolle aufzugeben

Am effektivsten lässt sich Lebensmittelbetrug durch sorgfältiges Lieferantenmanagement verhindern. Dazu zählt nicht nur die gewissenhafte Auswahl der Lieferanten, betonte Dr. Jürgen Sommer, Mitglied der Geschäftsleitung der Freiberger-Gruppe. Besonders wichtig sei die Kommunikation. So riet er den Unternehmen, ihren Zulieferern die Anforderungen klar und deutlich zu kommunizieren. Gleichzeitig gelte es, die Partner durch gemeinsame Ziele und gemeinsame Erfolgsaussichten zu motivieren: „Bauen Sie Vertrauen auf, ohne auf Kontrolle zu verzichten“. Dazu sei es notwendig, sich eingehend mit Mentalität und Geschäftskultur des Zulieferunternehmens zu beschäftigen.

Internationale Fresenius-Konferenz zu Lebensmittelallergenen im November

Mit der Verlässlichkeit von klinischen Provokationsdaten, der Belastbarkeit von analytischen Ergebnissen sowie der besseren Interpretation von „Allergensituationen“ im Sinne von Risikobewertung, -management und Kommunikation befasst sich eine weitere Veranstaltung der Akademie Fresenius: die siebte internationale Fresenius-Konferenz „Food Allergens“ am 12. und 13. November 2018 in Wiesbaden. Auf dem Tagesprogramm stehen klinische Aspekte, Praxisberichte zur Einführung eines ganzheitlichen Risikomanagements und kritische Faktoren der Risikokommunikation. Außerdem diskutieren die Teilnehmer über die Überarbeitung des VITAL-Konzeptes („Voluntary Incidental Trace Allergen Labelling“), Reinigung als wirksame Kreuz-Kontaminationskontrolle für Allergene, Risikoanalyse von Vorfällen mit Lebensmittelallergenen und Neues zur Minimierung der vorsorglichen Kennzeichnung von Allergenen

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