Falsche Lebensmittel und echte Probleme
Neben konkreten Problemlösungen – zum Beispiel zur Minimierung von Acrylamid in Lebensmitteln – betrachtete die Tagung alle Schritte und Prozesse der Qualitätssicherung in ganzheitlicher Perspektive: Wie lässt sich die Schnittstellen zwischen Labor und Qualitätssicherung entlang der gesamten Food Chain optimieren?
Lebensmittelfälschungen: Aufklärung muss umfassender werden – und Analyseverfahren unkomplizierter
Ein Problem macht Laborleitern in der Lebensmittelindustrie immer mehr zu schaffen: „Food Fraud“, die Fälschung von und Betrug mit unechten Lebensmitteln. Die neue Version des internationalen Standards zur Lebensmittelproduktion IFS Food 6.1 ist seit Ende 2017 veröffentlicht. Sie enthält ein ergänztes Kapitel über die Verhinderung von „Food Fraud“. Das heißt für die Laborleiter: Sie müssen ihr Risikomanagement konkretisieren und ihre Lieferanten und Lieferketten genau im Blick haben. Food Profiling, die Authentizitätsbestimmung von Lebensmitteln, wird immer gefragter und technisch immer ausgereifter. Markus Fischer, Direktor der Hamburg School of Food Science an der Universität Hamburg, stellte aktuelle und zukünftige Methoden vor.
Das „Food Fingerprinting“ ermöglicht die Suche nach Unterschieden gleichartiger Lebensmittel durch den Vergleich molekularer oder submolekularer Profile. Die Zusammenführung von Technologien und Datensätzen ergibt einen multidimensionalen Blick auf eine Probe und eine zugeordnete Referenz. Voraussetzung sind allerdings verlässliche Vergleichsproben – angesichts der verzweigten globalen Lieferketten ist die Akquise von verlässlichem Referenzmaterial eine sehr große Herausforderung, so Fischer.
Eine weitere Herausforderung für Wissenschaftler und Laborleiter bei der Aufdeckung von gefälschten Lebensmitteln liegt vor allem darin, Analysenstrategien zu vereinfachen und zu verschlanken. Technisch ist im hochgerüsteten Forschungslabor vieles möglich, es muss allerdings für die Routineanwendung bezahlbar bleiben ohne wesentliche Einbußen in der Leistungsfähigkeit zu erleiden“, fasst Markus Fischer den Appell an Wissenschaft und Laboranalytik zusammen. Deshalb schlägt er vor, von der hypothesenfreien und ungerichteten Datensammlung des Fingerprintings zur gerichteten und hypothesengetriebenen Methode des Food Targetings für Routineanwendungen überzugehen: „Eigentlich interessieren nur die Unterschiede zwischen einer oder mehreren Populationen – und nicht die komplizierten Fingerprints! Diese Analysen erfordern eine einfachere Infrastruktur und können überwiegend von technischem Personal durchgeführt werden, was sich wiederum günstig auf die Kostenstruktur und letztlich auch die Anwendbarkeit auswirkt.“, so Fischer.
Neue Strategien der amtlichen Lebensmittelüberwachung: Risikobewertung betrachtet auch wirtschaftliche Rahmendaten
Lebensmittelbetrug ist ein globales Problem. Deshalb verlangt die Bekämpfung grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Herstellern, Zulieferern und Behörden. Ulrich Busch vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) regte eine Verbesserung der Zusammenarbeit von Lebensmittelüberwachungs- und Strafverfolgungsbehörden an. Außerdem sollten Labore und Akteure der Lebensmittelüberwachung nicht nur die lebensmittelchemischen, sondern auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Produktion in die Risikobewertung einbeziehen. Phänomene wie Konkurrenz- und Kostendruck oder Lieferengpässe seien tieferliegende Auslöser und Ursachen für Lebensmittelfälschung. Dementsprechend müssten sie auch herangezogen werden, um Frühindikatoren für Betrugspotenziale zu ermitteln. Notwendig sei die systematische Identifizierung von Auffälligkeiten bei Preisen und Warenströmen. Gemeinsam mit Statistikern der Ludwig-Maximilians-Universität München haben LGL-Experten die Analysemethode „Import screening for the analysis of food risks“ (ISAR) entwickelt, mit deren Einsatz sich Lebensmittel-Importströme auf Unregelmäßigkeiten untersuchen lassen. Dabei werden Veränderungen bei Preisen und Mengen von Lebensmittelimporten erfasst und in Bezug zum jeweiligen Herkunftsland gesetzt. Liegt beispielweise die tatsächliche Preisentwicklung über der erwarteten, kann dies ein Signal für eine höhere Wahrscheinlichkeit von Betrugsfällen sein.
Acrylamid: Gute Praxis als „weiches Gesetz“ soll Risiko minimieren
Während die Brisanz des Food Frauds ein brandaktuelles Thema ist, wird das wahrscheinlich krebserregende Acrylamid, das beim Backen, Braten und Frittieren von Lebensmitteln entsteht, bereits seit mehr als 16 Jahren diskutiert. Das Max Rubner-Institut hat seit 2002 – dem Entdeckungsjahr von Acrylamid – zahlreiche Minimierungsstrategien für Lebensmittel aus Getreide und Kartoffeln erarbeitet, die nicht zuletzt auch in allgemeinen Empfehlungen Eingang gefunden haben. Norbert U. Haase vom Max Rubner-Institut stellte auf der Fresenius-Tagung fest, dass es bis dato für die Industrie keine abschließende Pflicht zur Umsetzung dieser als „Code of Practice“ zusammengefassten Branchenleitlinien gebe.
ALARA-Prinzip: Sanftes Gesetz, um Zeit zu gewinnen
Mit der neuen Acrylamid-Verordnung (EU-VO 2017/2158), die am 11. April 2018 in Kraft getreten ist, gibt die EU-Kommission Richtwerte vor und legt Minimierungsmaßnahmen fest, die das Risiko der Entstehung von Acrylamid senken sollen. Die Verordnung folgt dem ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable; so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar). Das heißt, die Acrylamidgehalte in Lebensmitteln sollten so niedrig sein wie es unter den gegebenen Produktionsbedingungen und nach guter Praxis möglich ist. Diese Regelungen bieten im Sinne eines „weichen Gesetzes“ (englisch „soft law“) die Möglichkeiten, vorläufige Schutzmaßnahmen zu Gunsten der Verbraucher im Sinne des Vorsorgeprinzips zu etablieren. Damit gewönnen Politik, Wirtschaft und Forschung vor allem Zeit, wie Annette Rexroth vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erläuterte: „Das ALARA-Prinzip als Soft Law ist mitunter die einzige Möglichkeit, um ein Problem zumindest vorläufig zu beheben. Es verschafft Zeit, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und Hindernisse für verbindliche Regelungen aus dem Weg zu räumen.“
Export in die USA: Mit Offenheit und klarem Plan die Inspekteure überzeugen
Lebensmittelhersteller, die in die USA exportieren, sehen sich durch das Gesetz zur Modernisierung der Lebensmittelsicherheit („Food Safety Modernization Act“), das 2011 von Barack Obama unterzeichnet worden ist, großem bürokratischen Aufwand ausgesetzt. Das daraus abgeleitete „Foreign Supplier Verification Program“ (FSVP) dient der Sicherstellung, dass alle importierte Lebensmittel dem in den USA geforderten Sicherheitsstandard entsprechen. Das heißt für Lebensmittelexporteure und Zulieferer: Sie benötigen einen detaillierten „Food Safety Plan“, der einer Überprüfung und vor allem der Inspektion standhält. Anett Winkler vom US-amerikanischen Lebens- und Futtermittelhersteller Cargill gab Praxistipps zur Vorbereitung auf die Inspektion unter den Bedingungen des FSVP. Sie rät den deutschen Exporteuren, sich frühzeitig und umfassend mit den Dokumenten und Anforderungen der Food and Drug Administration (FDA) vertraut zu machen und ein detailliertes Trainingsprogramm für alle Beteiligten auszuarbeiten. Dann gelte es, offen und konstruktiv in die Inspektion zu gehen. Nicht nur die deutschen Exporteure müssten sich umstellen, sondern auch amerikanische Behörden und Unternehmen, betonte Winkler: „Es hat sich nicht geändert, was wir machen, sondern vielmehr wie wir es tun.“