In Sachsen-Anhalt bringt das Fraunhofer IFF die Logistik 4.0 voran
Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay
Die „persönliche Palette“
„Jeder von uns hat seine persönliche Palette“, Klaus Richter schmunzelt und platziert die seine zuoberst auf einen Stapel von Kunststoffpaletten – als Fotomodell. Die Intelligente Palette im Internet of Things (IoT), wie sie offiziell heißt, wird tatsächlich zu einem Hingucker, wenn er das grüne Lämpchen einschaltet, das hinter einem Sichtfenster eine elektronische Platine beleuchtet. Wer Sinn und Interesse für Logistik hat, wird an dieser Stelle neugierig. „Auf dem Deutschen Logistik Kongress in Berlin fragten auch Vertreter des Landeskriminalamtes genauer nach, woran wir hier forschen“, sagt Klaus Richter. Er ist Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg. Der promovierte Materialflusstechniker ist im Bereich Logistik ein leitender Kopf am IFF. „Industrie 4.0 ist ohne Logistik 4.0 nicht möglich“, erklärt der Experte. Innerhalb logistischer Kreisläufe seien eben auch Paletten, Boxen und Container unterwegs. Und die kämen allzu oft abhanden – was auch das Interesse der Kriminalisten erkläre.
Mehr Sicherheit, Transparenz und Effizienz in der Logistik
Das Fraunhofer IFF forscht anwendungsnah, kennt explizit die Bedürfnisse der Logistikbranche, die sich fit machen muss für das digitale Zeitalter. Mehr Sicherheit, Transparenz, Effizienz und das Einsparen von Kosten spielen dabei eine große Rolle. Diese Wünsche, sagt Richter, seien durch die neuen energiesparsamen Funkverbindungen jetzt leichter zu realisieren. Der Wissenschaftler erwähnt etwa das 5GNetz oder die digitale Kommunikationstechnologie LPWAN; die Buchstaben stehen für Low Power Wide Area Network. „Die neuen Übertragungstechnologien“, so Richter, „sichern jetzt eine kostengünstige Datenübertragung innerhalb eines langen Zeitraums, sozusagen über das ganze Leben eines logistischen Objekts.“
Mit ihrem integrierten Funk- und Sensormodul wird die Intelligente Palette ein Teil des „Internets der Dinge“. Soll heißen: Ohne dass sich der Mensch einmischt, kommuniziert sie Daten über das Internet an ihre IoT-Cloud. Zeitgleich ist am Computer abzulesen, wo sich die Palette auf ihrem Transportweg gerade befindet, wie ihr Zustand ist, was mit ihrer Fracht passiert oder welchen Weg Materialien innerhalb eines Herstellungsprozesses gerade nehmen. Letzteres könne ein besseres „Gefühl“ für die komplexen Abläufe im Produktionsprozess geben, erklärt Richter am Beispiel eines großen Autoherstellers mit seinen vielen Zulieferbetrieben. Der Automobilhersteller ist Partner in dem Pilotprojekt „Intelligenter digitaler Behälter“. Bei ihm befindet sich eine Variante der intelligenten Palette in einer Machbarkeitsstudie.
Erfolgsbasis: Wirtschaft trifft Wissenschaft
Der Wissenschaftler berichtet von einem bewährten Vorgängermodell, das bereits seit mehreren Jahren im Einzelhandel im produktiven Einsatz ist: die Heilbronner Palette. Das Fraunhofer IFF hat sie gemeinsam mit den Partnern metraTec GmbH, Telent GmbH und Cabka IPS entwickelt. Ein europaweit agierender Einzelhändler nutzt diese Paletten zur Warenverfolgung – von der Produktion über die Zentrallager bis hin zu jeder einzelnen Filiale. Außerdem, so der Materialfluss-Experte, werde mit Hilfe der integrierten Identifikations-Transponder eine lückenlose Transparenz im Leerpaletten-Management erreicht. Somit könne sichergestellt werden, dass am Produktionsstandort immer ausreichend Ladungsträger vorhanden sind, um einen kontinuierlichen Warenfluss zu gewährleisten. „In diesem Palettenkreislauf sind mittlerweile deutlich über zweieinhalb Millionen Paletten im Einsatz – mit steigender Tendenz“, betont Richter.
Eine Weiterentwicklung der Heilbronner Palette ist die besagte Intelligente Palette im Internet of Things. Sie ermöglicht eine nahezu lückenlose Warenverfolgung. Täglich werden Paletten auf geschlossenen Transportketten innerhalb eines Unternehmens wie auch auf offenen Wegen zu externen Kunden transportiert. „Zusätzlich“, so Richter, „registrieren die Sensoren etwa übermäßige Erschütterungen oder Abweichungen vom geforderten Temperaturbereich. Diese Informationen werden in Echtzeit über die IoT-Cloud an den Nutzer geschickt. Der kann sofort Gegenmaßnahmen ergreifen.“ Ein weiterer Vorteil sei die erhöhte Sicherheit gegen Diebstahl. Die Paletten oder auch Baustellencontainer melden sich selber über die IoT-Cloud, wenn sie von ihrem aktuellen Lagerplatz entfernt werden. Das könnte einen Diebstahl sogar noch verhindern.
Bekenntnis zur Nachhaltigkeit
Auch diese smarte Palette entwickelt das Fraunhofer IFF in Zusammenarbeit mit der metraTec GmbH aus Magdeburg, die stellt die elektronische Platine her; von der Telent GmbH in Stuttgart kommen die IoT-Lösungen für smarte Kommunikationswege; Cabka IPS ist der Hersteller der Kunststoffpalette. Die zu erwartenden Anwendungen des integrierbaren Funk- und Sensormoduls würden den Unternehmen in der Logistikbranche neue Impulse geben, auch neue Geschäftsfelder eröffnen, prophezeit Klaus Richter. Cabka IPS habe das für sich erkannt. Das thüringische Unternehmen stellt Paletten und Boxen aus bis zu 100 Prozent recyceltem Kunststoff her. Die ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Produkte sind weltweit gefragt. Wer diese Paletten kauft, legt ein Bekenntnis ab, was den bewussten und sorgsamen Umgang mit Ressourcen betrifft. „Eine Holzpalette kostet ab drei Euro, die hochwertige aus Kunststoff 25 bis 30 Euro“, sagt Klaus Richter. Diesem Preis stehe aber eine mindestens siebenmal höhere Lebenserwartung im Vergleich zur Holzpalette entgegen. Richter muss nicht extra betonen, um welche finanziellen Verluste es für deren Besitzer geht, wenn solche Paletten abhandenkommen.
Der Logistik-Experte macht deutlich, welche Optionen mit der Sensordatenerfassung gegeben sind: Unternehmen haben einen permanenten Überblick über Standort und Bewegung ihrer Ladung, der Kunde weiß genau, wann die Ware bei ihm ankommt. Zudem könne das Paletten- und Behältermanagement in großen Lagern optimiert werden. Prototypen der smarten Palette sollen jetzt vom Einzelhandel getestet werden. „In der Praxis übrigens, werde das Funk- und Sensormodul das ganze Gegenteil von einem großen leuchtenden Hingucker sein. Im Miniaturformat ist es an verdeckter Stelle angebracht.