Die Furcht vorm Großbäcker nebenan - Lebensmittelhandwerk unter Druck
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Viele seiner Kollegen haben in den vergangenen Jahren aufgegeben. Bäcker Jürgen Fink trotzt dem Trend. «Backen mit Liebe und Zeit» ist das Motto seines Betriebs im hessischen Steinau an der Straße mit drei Filialen und mehreren Marktständen. Seit 276 Jahren gibt es den Familienbetrieb in dem Mittelalterstädtchen, der heutige Chef übernahm ihn Mitte der 1990er-Jahre von seinem Vater.
Fink versuchte sich das alte Handwerk wieder beizubringen. «Wir verzichten auf jegliche Zusätze und machen alles selbst.»
Nach Lernerfahrungen und einer wirtschaftlichen Durststrecke zeige der Trend seit Jahren aufwärts. «Wir haben uns unsere Kundschaft über Jahre erarbeitet», berichtet der 50-Jährige. Inzwischen bezieht er sein Getreide direkt von Bauern aus der Region. Durch den Verzicht auf den Zwischenhandel sei das Endprodukt kaum teurer als in konventionellen Bäckereien - trotz des etwas höheren Einkaufspreises des Getreides, das er meist in Bio-Qualität einkauft.
Doch die Konkurrenz schläft nicht: «Wenn hier eine Großbäckerei mit einer ihrer hübsch designten Filialen nebenan aufmacht, könnte mir das schon Probleme machen», meint Fink. Auch die Discounter mit ihren Billig-Backwaren machen ihm Sorgen. Grundsätzlich sind die Bedingungen aus seiner Sicht für kleine Handwerksbetriebe unfair.
Handarbeit sei gegenüber Maschinenarbeit steuerlich deutlich schlechter gestellt: «Ich habe mit meiner Arbeitsweise erhebliche Lohnkosten, eine Maschine könnte ich steuerlich zu 100 Prozent abschreiben», argumentiert Fink.
Viele Bäcker, aber auch Fleischer haben im Laufe der Zeit aufgegeben. Innerhalb von zehn Jahren verschwanden unter dem Strich jeweils etwa 30 Prozent der Betriebe in Deutschland. Waren im Jahr 2008 bundesweit rund 15 337 Bäckereien in der Handwerksrolle eingetragen, waren es Ende 2018 noch 10 926. Die Zahl der Fleischereibetriebe verringerte von 18 320 auf 12 897.
Vor allem Nachwuchssorgen belasten die beiden größten Zweige des deutschen Lebensmittelhandwerks. «Den elterlichen Betrieb übernimmt nur noch, wer dies wirklich will», berichtet Herbert Dohrmann, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Fachverbände des Lebensmittelhandwerks. Früher seien die Betriebe teils aus Pflichtgefühl, teils auch mangels Alternativen innerhalb der Familie weitergeführt worden.
«Wer von seinem Beruf begeistert ist und ein Unternehmen neu gründen möchte, hat es hingegen schwerer als früher», erläutert Dohrmann, der auch Präsident des Deutschen Fleischer-Verbandes ist. «Die Hürden, seien es die bürokratischen oder die finanziellen, sind nicht gerade niedriger geworden.» Der direkten Konkurrenz durch Supermärkte und Discounter entzögen sich viele handwerklich arbeitende Bäcker und Fleischer mittlerweile, indem «sie sich im gehobenen Segment eingerichtet haben».
Wettbewerb herrscht trotzdem, beispielsweise um Auszubildende und Fachkräfte. «Inzwischen suchen alle Unternehmen der Wirtschaft - nicht nur im Handwerk - aber auch Institutionen und Organisationen, händeringend nach Fachkräften beziehungsweise Auszubildenden», berichtet Dohrmann. Nach Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung blieben im vergangenen Jahr 906 Lehrstellen in Bäckereien unbesetzt.
Den Fleischerbetrieben fehlten 894 Azubis.
Hinzu kommen aus Dohrmanns Sicht Belastungen durch Bürokratie. «Gesetzliche Vorschriften, die auf Großunternehmen zugeschnitten sind, werden auf Familienbetriebe mit zehn Mitarbeitern angewandt, wie zum Beispiel beim neuen Verpackungsgesetz.» Überdies profitierten große Unternehmen eher von Erleichterungen, wie bei der EEG-Umlage.
Nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz werden die Kosten für den Ausbau von Ökostrom über eine Umlage finanziert. Das Gesetz gewährt jedoch Nachlässe für Unternehmen, die sehr viel Strom verbrauchen, zum Beispiel Stahlwerke.
Nach Einschätzung Dohrmanns wird der Trend zu weniger, aber eher größeren Betrieben anhalten. Hatte 1970 ein durchschnittlicher Metzger 5,9 Beschäftigte, waren es 2018 im Schnitt 11,7 Mitarbeiter.
«Die Geschäfte laufen gut, die Betriebe könnten weiter wachsen», berichtet der Verbands-Präsident. «Das Problem ist der Mangel an qualifiziertem Personal und an Nachwuchskräften, aus denen eine neue Generation von Inhabern entstehen müsste.»