Algen: Grüne Multitalente

17.07.2019 - Deutschland

Sachsen-Anhalt hat sich zu einem Zentrum der Algenbiotechnologie entwickelt. Von der Grundlagenforschung über den Bau von Reaktoren bis zur Wirkstoffentwicklung für Ernährung, Medizin und Kosmetik wird den Mikroalgen eine große Zukunft als nachwachsender Rohstoff bereitet.

©Kathrain Graubaum

Grüne, blaue, rote Algenstämme werden von Professorin Carola Griehl und ihrem Team an der Hochschule Anhalt erforscht.

Wenn Carola Griehl unterwegs ist, dann gehen ihre Augen oft auf Entdeckungstour nach Algen. Sie hat einen geübten Blick für die grünen Mikrogewächse, die sich überall dort bilden können, wo die Umgebung feucht ist – in Gewässern, an Felsen und Hauswänden, sogar im Schnee. In ihrem letzten Urlaub, erzählt sie belustigt, habe sie in einem Tümpel eine Mikroalge entdeckt, die sie tatsächlich noch nicht in ihrer Sammlung hat. Das will was heißen.

Die Hochschule Anhalt in Köthen besitzt 300 Algenstämme. Carola Griehl ist hier Professorin für Biochemie und leitet die Arbeitsgruppe „Algenbiotechnologie“. Sie zählt zu den führenden Algenexperten in Deutschland. Wer sie ins Labor begleitet merkt schnell: Ihr Forschungsdrang paart sich mit Leidenschaft. Aus gutem Grund wird die Wissenschaftlerin als „Algen-Botschafterin“ bezeichnet. Ihre Botschaft auf den Punkt gebracht: „Die grünen, blauen und roten Mikroorganismen sind wahre Multitalente. Sie können uns bei der Bewältigung der großen globalen Probleme helfen“, betont Carola Griehl und nennt den Klimawandel, die wachsende Weltbevölkerung einhergehend mit zurückgehendem Nahrungsangebot aber auch die Endlichkeit fossiler Rohstoffe.

Quelle gesundheitsfördernder Inhaltsstoffe

Die Algenforscherin ist in ihrem Element; ist mit Begeisterung dabei, wenn es darum geht, die Attraktivität der Algen herauszustellen. Jene, die sie im Urlaub fand, erwies sich tatsächlich als eine besondere Alge mit hohem Anteil an Omega-3-Fettsäuren. Die Professorin kommt auf die Erschließung neuer Algenarten als Quelle für gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe zu sprechen – wie eben die ungesättigten Fettsäuren, Vitamine, Proteine, blaue Farbstoffe, Carotinoide oder andere Wirkstoffe. „Die können in der älter werdenden Bevölkerung das Risiko ernährungsbedingter Erkrankungen verringern“, meint die Expertin und betont, dass bestimmte Wirkstoffe auch für medizinische Anwendungen im Fokus stehen; etwa die Entwicklung des Gehirns betreffend, die Behandlung von chronischen Darmentzündungen oder von neurodegenerativen Erkrankungen.

Auch in der Landwirtschaft – beispielsweise im Futtermittelbereich oder als Düngemittelzusatz, ebenso in der Kosmetik und als Rohstoffproduzenten für Energiewirtschaft und chemische Industrie werde die Bedeutung von Algen zunehmen.

Von der Grundlagenforschung bis zur industriellen Verwendung

„Sachsen-Anhalt hat sich zum Zentrum für Algentechnologie entwickelt“, sagt die Hochschulprofessorin und verweist auf die gewachsenen Potenziale in diesem Land: In 2000 wurde im altmärkischen Klötze die weltweit erste industrielle Photo-Bioreaktoranlage zur Algenproduktion in Glasröhren von 500 Kilometern errichtet. Zeitgleich begann an der Hochschule Anhalt die anwendungsorientierte Algenforschung. Carola Griehl spricht von 40.000 in der Wissenschaft klassifizierten Algenarten. „Aber wir wissen noch viel zu wenig über deren verwertbare Inhaltsstoffe. Nur etwa 15 Mikroalgen werden industriell genutzt. Darum bauen wir eine eigene Algenstammsammlung auf. Weltweit in der Natur gefundene Mikroalgen erforschen wir hier auf die Verwendung ihrer Extrakte hin.“

Als nächstes Glied in der Wertschöpfungskette wurde 2012 das Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP in Leuna eröffnet. Hier werden Laborprozesse in den industriellen Maßstab überführt. 2013 gründete die Hochschule Anhalt in Kooperation mit der GICON-GmbH ein Biosolarzentrum in Köthen. Ergebnisse aus der Grundlagenforschung werden hier bis hin zur industriellen Verwendung weiterentwickelt. Seit 2018 bauen das Fraunhofer Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI in Halle und die Hochschule Anhalt in Köthen das gemeinsame Forschungslabor „Naturstoff-basierte Therapeutika“ zu einem überregionalen Zentrum für algenbasierte Wirkstoff-Forschung aus.

Die Alternative zu Kohle und Erdöl

Mit diesen und noch weiteren Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft knüpft die Hochschule Anhalt ein Netzwerk, das sich weltweit einen technischen Vorsprung verschafft. Professorin Griehl verweist mit Stolz auf kooperative Promotionsverfahren, auf das internationale Interesse am Austausch von Studenten, Gastwissenschaftlern und Dozenten sowie auf internationale Projekte auf dem Gebiet der Algenforschung. Gerade hat sie einen Vertrag mit einem japanischen Partner unterschrieben. Darin geht es um die Erforschung einer Alge, die erdölähnliche Kohlenwasserstoffe aus der Zelle absondert; wichtige Rohstoffe für die Kosmetik- und Chemieindustrie, die sich auch energetisch nutzen lassen.

„Mich reizt besonders die anwendungsnahe Forschung hier, der gelebte Wissens-Transfer“, sagt Carola Griehl mit leuchtenden Augen und will unbedingt ihre „Algen-Tankstelle“ zeigen. In den zu „Milking-Apparaten“ umgebauten Blasensäulen wird diese Algenart gezüchtet, die erdölähnliches Öl ausscheidet. Den Köthener Algenforschern ist es gelungen, das Öl schon während der Biomasseproduktion abzuschöpfen. So ließe sich Algenöl im Industriemaßstab rentabel herstellen, sagt die Wissenschaftlerin und präsentiert gleich eine weitere Erfindung: Im Technikum stehen von der GICON GmbH entwickelte Photo-Bioreaktoren: Tannenbäume aus Silikonschläuchen, die temperierbar sind. So kann die Algenkultur an heißen Tagen gekühlt werden, damit sie sich nicht über 35 Grad erhitzt und die Inhaltsstoffe dabei absterben.

Zum Wohle mit blauem Algenbier

„Wir wollen unsere technologische Vorreiterrolle natürlich nutzen, um beim Aufbau einer Energiewirtschaft ohne Erdöl und Kohle alternativ die Alge ins Spiel zu bringen“, sagt Professorin Griehl. Sie spricht über eine neueste Initiative von Visionären, die ein Mitteldeutsches Algen-Zentrum gründen wollen. Ziel ist die Entwicklung, Zertifizierung und Markteinführung neuer algenbasierter Produkte, um die Wirtschaftskraft der Region zu stärken.

Darauf lässt sich mit dem blaue Algenbier vom bierbrauenden Professor für Lebensmitteltechnologie, Jean Titze, gut anstoßen. „Nicht nur der Geschmack kommt an. Die blauen Farbstoffe der Alge wirken sogar entzündungshemmend und antikarzinogen“, schwärmt die Algen-Botschafterin.

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