Ähren zählen für mehr Ökologie

ETH- Zukunftsblog | Autor: Prof. Achim Walter

15.07.2020 - Schweiz

Für Achim Walter ist klar: Die aufkeimende künstliche Intelligenz wird die Agrarökologie entscheidend voranbringen. Doch bevor man die Früchte der KI ernten kann, müssen Computer noch einiges lernen.

ETH Zürich / Professur für Kulturpflanzenwissenschaften

Wieviel Ähren zählen Sie? Variation von Weizen

Überdüngte Felder, verdichtete Böden, Treibhausgase und Insektensterben – die Liste agrarökologischer Problemfelder ist alt und lang. Aktuell bereitet das Trinkwasser viele Sorgen, weil Pestizide und hohe Nitratwerte dessen Qualität bedrohen.

Auf der Anklagebank sitzt jeweils die Landwirtschaft. Klägerin ist eine Gesellschaft, die im Prinzip «Bio für alle» fordert, aber nur beschämende sechs Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgibt (und dabei grösstenteils nicht Bio kauft). Die Politik soll klare, neue Regeln definieren. Und die Wissenschaft? Sie soll die Fakten sachlich klären und Lösungswege aufzeigen.

Ein Schritt nach dem anderen

Damit die Wissenschaft dies kann, braucht sie jedoch vernünftige Werkzeuge. Dazu gehört nicht nur chemische Analytik, sondern auch eine Quantifizierung, wie erfolgreich sich ein bestimmter Bestand an Kulturpflanzen unter bestimmten Bedingungen entwickelt. Oder auch, welche Insekten und Kräuter in welcher Anzahl an einer bestimmten Stelle vorkommen. Dafür braucht es viele, zuverlässig erhobene Daten.

Künstliche Intelligenz – genauer gesagt: Maschinelles Lernen – hat grosses Potenzial, um solche Daten in der notwendigen Menge und Qualität zu erheben. Aus Bildern heraus lassen sich zum Beispiel die Eigenschaften von Böden, aber auch die Anzahl von Kulturpflanzen sowie die Menge an Schädlingen quantifizieren.

Auf dieser Datenbasis kann man dann im nächsten Schritt den Zustand der Kulturen abschätzen und schliesslich festlegen, wie viel Wasser, Nährstoffe und Pestizide es an welcher Stelle und zu welchem Zeitpunkt braucht. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass oft der erste Schritt das schwächste Glied dieser Kette darstellt. Eine simple Routineaufgabe aus der Züchtung mag dies verdeutlichen.

Beispiel Ährenzählung

In der Pflanzenzüchtung geht es darum, anhand von vielen Merkmalen geeignete Sorten zu entwickeln. Um krankheitsresistente oder besser an die Umwelt angepasste Weizensorten zu züchten ist es etwa wichtig, in etlichen Versuchen unter entsprechenden Bedingungen die jeweils erfolgreichen – sprich ertragreichen – Varianten zu identifizieren. Das heisst unter anderem: zu quantifizieren, wie viele Ähren sie pro Fläche hervorbringen.

Nun ist Ähren zählen eine zwar einfache, aber zeitraubende Aufgabe, die Forschende seit langem mit eigenen Händen und Augen durchführen. Man könnte denken, das sollte heute mit Hilfe von Smartphone und App doch rascher und zuverlässiger zu machen sein. Leider nein: Die Ähren sind auf Bildern teilweise schlecht erkennbar, weil ein Blatt sie verdeckt, sie zu stark oder zu schwach belichtet sind und weil sie noch dazu von Sorte zu Sorte anders aussehen.

Gesucht: Weltbester Weizenährenzähler

Dies dem Rechner beizubringen, daran arbeiten erst jetzt zahlreiche Forschungsgruppen gemeinsam im Rahmen der «Global Wheat Head Detection Challenge».1 Dazu haben sie auf mehreren Kontinenten 4700 Bilder von Weizen annotiert – das heisst gezählt, wie viele Ähren jeweils zu erkennen sind. Dies für unterschiedliche Sorten und Anbaubedingungen. Nun läuft ein Wettbewerb um den besten Lern-​Algorithmus: Welche Software schafft es, die korrekte Anzahl Ähren am zuverlässigsten zu bestimmen? Teilnehmen können Spezialisten, aber auch alle neugierigen Bürgerinnen und Bürger, die sich dies zutrauen.

"In Zukunft wird es möglich sein, anhand der Bilder von Satelliten, Traktoren und Drohnen verschiedene Massnahmen auf dem Feld genau zu beurteilen" Achim Walter

Solche Wettbewerbe sind in der Bildverarbeitung gang und gäbe. Sie basieren teilweise auf Citizen Science-​Projekten2 und werden immer öfter erfolgreich von der Feldökologie aufgenommen, beispielsweise um Wildtiere zu zählen.3

Ich bin überzeugt: Wenn es gelingt, diese Arbeitsweise auch in die Agrarwissenschaft zu übertragen, können Pflanzenzüchtung und Agrarökologie entscheidend profitieren.4 Dann wird es mitunter möglich sein, anhand der Bildaufnahme von Satelliten, Traktoren und Drohnen die Folgen verschiedener Management-​Massnahmen auf dem Feld genau zu beurteilen. Und wir könnten besser informiert als heute diskutieren, wie die Landwirtschaft sich weiterentwickeln soll.

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