Wie allergen sind essbare Insekten?

10.02.2021 - Deutschland

In einem aktuellen Forschungsprojekt an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen wird ein Verfahren für verbesserte Allergietests und Allergennachweise entwickelt. Außerdem nehmen die Forscher verschiedene Insektenarten unter die Lupe, denn bislang ist über deren allergenes Potenzial sehr wenig bekannt. In der Fachwelt besteht aber die Befürchtung, dass insbesondere Menschen, die gegen Schalentiere oder Hausstaubmilben allergisch sind, auch auf Insektenproteine in Lebensmitteln reagieren könnten.

Bild von photosforyou auf Pixabay

Bislang zählen essbare Insekten vor allem in einigen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu den Grundnahrungsmitteln. Doch wegen ihres hohen Eiweißgehalts und ihrer Mikronährstoffe gelten Käfer, Raupen, Heuschrecken und Co. auch bei uns zunehmend als mögliche Fisch- oder Fleischalternative. Was allerdings noch so gut wie gar nicht erforscht ist: Wie hoch ist das Risiko für Allergiker, wenn sie ganze oder weiterverarbeitete Insekten essen? Und wie kann das überhaupt getestet werden? Um diese Fragen geht es in einem aktuellen Forschungsprojekt an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, das vom Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin koordiniert und seit September 2020 für insgesamt drei Jahre gefördert wird.

„Ausgangspunkt unserer Forschung ist die Befürchtung in der Fachwelt, dass insbesondere Menschen, die gegen Schalentiere oder Hausstaubmilben allergisch sind, auch auf Insektenproteine in Lebensmitteln reagieren könnten“, sagt Prof. Dr. Dieter Stoll von der Fakultät Life Sciences, der das Projekt am Standort Sigmaringen leitet und gemeinsam mit Dr. Eva-Maria Ladenburger durchführt. Das Problem: Herkömmliche Allergietests sind aufwendig und häufig riskant – so bekommen Patienten entweder einen Pikser in die Haut oder müssen unter klinischer Beobachtung bestimmte Nahrungsmittel zu sich nehmen. „Viel einfacher wäre es, dem Patienten Blut abzunehmen, die darin enthaltenen Immunzellen zu isolieren und den Allergietest im Labor durchzuführen, ohne den Patienten dem Risiko einer vielleicht sogar schweren allergischen Reaktion auszusetzen“, sagt Dieter Stoll.

Die Forscher isolieren deshalb hochreine Insektenproteine und stellen sie der HOT Screen GmbH in Reutlingen zur Verfügung, die damit ihren bisher für die Prüfung von Medikamenten eingesetzten Vollbluttest auch für die Allergiediagnostik weiterentwickeln will. In Zusammenarbeit mit dem Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut der Universität Tübingen (NMI) soll ein dort für andere Zwecke entwickeltes Diagnoseverfahren als sehr schneller und kostengünstiger Allergietest etabliert werden. „Wir hoffen, damit in wenigen Minuten messen zu können, gegen welche Proteine ein Allergiker Antikörper im Blut hat“, sagt Dieter Stoll. „Das könnte helfen, die Lebensmittel so zu bearbeiten, dass die Allergene dem Menschen nichts mehr anhaben können.“ Mit den Nachweisverfahren, die die Signatope GmbH in Reutlingen entwickelt, wäre diese positive Veränderung der Allergene in den Lebensmitteln auch schnell nachweisbar.

Mithilfe eines sehr starken Allergens aus der Erdnuss, über das bereits sehr viel geforscht wurde, „wollen wir als Erstes zeigen, dass die Methode an sich für Allergietests geeignet ist“, berichtet Eva-Maria Ladenburger. Anschließend werde das Verfahren auf Insektenproteine übertragen, „über die wir noch sehr wenig wissen“. Die Wissenschaft hat bisher nur wenige Daten zum allergenen Potenzial des Mehlwurms. In Sigmaringen sollen zusätzlich noch die Wanderheuschrecke, zwei Grillenarten, die Soldatenfliege und der Buffalowurm untersucht werden, für die in der EU Anträge auf Zulassung als Lebensmittel laufen oder geplant sind. Um die Frische der Tiere zu gewährleisten, arbeitet die Hochschule mit der Firma „Six Feet To Eat“ aus der Nähe von Ulm zusammen, die als eine von wenigen Firmen in Europa als zertifizierter Lebensmittelbetrieb Speiseinsekten herstellt. „Wir können dann auch die Allergene von frischen Insekten mit denen vergleichen, die getrocknet oder gemahlen wurden“, sagt Eva-Maria Ladenburger.

Das Forschungsprojekt soll also in mehrfacher Hinsicht einen Mehrwert schaffen: „Wenn viele Menschen schneller, sicherer und günstiger auf Lebensmittelallergene getestet werden können, wäre der Erfolg einer Hyposensibilisierungstherapie bei Allergikern viel engmaschiger verfolgbar als heute“, so Dieter Stoll.

Wie wichtig das Projekt auch für die Behörden ist, zeigt die erste Stellungnahme der Arbeitsgruppe für Ernährung, Novel Foods und Lebensmittelallergene der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zur Sicherheit von Mehlwurmpulver als Novel Food, in der verstärkte Forschung zum allergenen Potenzial von Insektenproteinen gefordert wird.

Weiterführende Informationen: Das Forschungsprojekt wird vom Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin koordiniert und vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung über das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit seit September 2020 für insgesamt drei Jahre gefördert. Die Hochschule Albstadt-Sigmaringen arbeitet dabei mit der Signatope GmbH, der HOT Screen GmbH, dem Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut an der Universität Tübingen (NMI), der Kinderklinik an der Charité in Berlin, dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin und dem nicht vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit geförderten assoziierten Forschungszentrum von Nestlé zusammen. Gemeinsam wird das Konsortium auf einem noch weitgehend unerforschten Gebiet tätig, das sich aber sehr dynamisch entwickelt.

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