Kinder sehen im Schnitt 15 Werbungen für Dickmacher pro Tag

16.03.2021 - Deutschland

Comic-Figuren strahlen auf Kaubonbons, Internetstars starten Chips-Esswettbewerbe: Kinder sehen einer Hamburger Studie zufolge im Schnitt 15 Werbungen am Tag für ungesundes Essen. Ein Bündnis aus Wissenschaftlern, Kinderärzten und dem AOK-Bundesverband forderte am Donnerstag deshalb, Kindermarketing für solche Produkte in allen Medienarten zu untersagen. Das sei in vielen Ländern bereits Standard. Die Daten der Untersuchung der Universität Hamburg stammen noch aus der Zeit vor der Corona-Pandemie und beziehen sich auf Fernsehen und Internet.

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"Gegenüber Ende 2007 ist die auf Kinder gerichtete Werbeintensität um 29 Prozent angestiegen", lautete ein Ergebnis zu TV-Spots. "Die Unternehmen haben den Werbedruck auf Kinder bewusst erhöht", kritisierte Sigrid Peter, stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Vielen Eltern sei nicht bewusst, wie viel Werbung für Fast Food oder Süßigkeiten ihre Kinder pro Tag wirklich erreicht. "Die schädlichen gesundheitlichen Folgen davon sehen wir täglich in unseren Praxen."

Das Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten erklärte, in Deutschland sei jedes siebte Kind übergewichtig. Es forderte ein gesetzlich verankertes Werbeverbot. Es werde höchste Zeit, die Branche in die Pflicht zu nehmen, sagte auch Kai Kolpatzik vom AOK-Bundesverband. Denn freiwillige Selbstverpflichtungen liefen bisher ins Leere.

Der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft kritisierte die wie er meint "plakativen Ergebnisse der Studie". Er wies die Forderung nach einem Verbot von Lebensmittelwerbung zurück. Die Untersuchung vermittle den unzutreffenden Eindruck, das Problem von Übergewicht und Adipositas bei Kindern durch Werbeverbote lösen zu können. Die Verantwortung für Ernährung, Bewegung oder Bildung von Kindern liege in erster Linie bei den Eltern und dem sozialen Umfeld.

Auch der Lebensmittelverband Deutschland warnte davor, den Fokus zu einseitig zu legen. "Ein Werbeverbot für einzelne Lebensmittel macht die Menschen nicht schlank", sagte Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff.

Die Hamburger Studie von Wirtschaftswissenschaftler Tobias Effertz analysierte die Werbekontakte von Kindern von 3 bis 13 Jahren für den Zeitraum März 2019 bis Februar 2020 für das Internet und von Juni bis September 2019 für das Fernsehen. Ein Kind, das Medien nutzt, sieht in Deutschland demzufolge durchschnittlich rund 5 Werbespots- oder anzeigen im Internet und etwa 10 im Fernsehen für Dickmacher. Folgen sind den Angaben zufolge Übergewicht und Karies.

Laut Studie locken Unternehmen Kinder gezielt auf ihre Webseiten zu ungesunden Produkten und versuchen sie dort beispielsweise mit Hilfe von Spielen lange zu halten. Auch Influencer mit großer Reichweite würden in sozialen Netzwerken für ungesundes Essen werben.

Die Kinder möchten das Gleiche essen wie ihre Idole, wie der Vorsitzende der Deutschen Diabetes Stiftung, Hans Hauner, berichtete. "Das wird geschickt ausgenutzt." Kinder seien sehr leicht manipulierbar. "Werbeaktivitäten in den digitalen Medien nehmen rasch zu und sind besonders wirksam", kritisierte der Professor weiter.

Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) betonte auf Anfrage, Werbung dürfe Kinder nicht dazu verleiten, sich ungesund zu ernähren. "Das habe ich kürzlich auch gegenüber dem Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft deutlich gemacht", erklärte sie. "Ihn fordere ich auf, die Verhaltensregeln zu verschärfen - ganz konkret fordere ich Nachbesserungen bei der Altersgrenze und bei der Werbung für Lebensmittel mit ungünstiger Nährstoffzusammensetzung."

Nach Meinung der Verbraucherorganisation Foodwatch zeigt ein von ihnen in Auftrag gegebenes juristisches Gutachten, dass Klöckner umfassende Werbebeschränkungen als Bundesgesetz auf den Weg bringen könne. "Das Gutachten widerlegt damit die Aussagen der Ministerin, wonach nicht der Bund, sondern die Bundesländer für Kindermarketing im Bereich Hörfunk, Fernsehen und Internet verantwortlich seien", teilte Foodwatch mit. Daraufhin betonte das Bundesministerium erneut, es liege an den Ländern, die Wirksamkeit ihrer bereits bestehenden Regelungen zu überprüfen und gegebenenfalls nachzulegen./let/DP/men

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