Ohne Tiergesundheit keine nachhaltige Lebensmittelproduktion
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Einen ausgewogenen, alle Dimensionen der Nachhaltigkeit berücksichtigenden Ansatz für die gesamte Lebensmittelkette habe die Europäische Union mit dem Green Deal und der Farm-to-Fork Strategie vorgelegt, betonte der CDU-Europaabgeordnete Norbert Lins. Für den Vorsitzenden des Agrarausschusses im Europaparlament steht dabei ein weiter reduzierter und zielgenauer Antibiotikaeinsatz ebenso im Fokus, wie bessere Haltungsbedingungen, lokalere Transportketten und transparente Verbraucherinformationen. Mehr Tiergesundheit und mehr Tierschutz/- wohl greifen ineinander und wirken auf die Qualität der Lebensmittel.
Ökonomie und Ökologie sind kein Gegensatz
Ökonomie und Ökologie sind in der Nutztierhaltung keineswegs ein Gegensatz. Das arbeitete Professorin Dr. Nicole Kemper vom Institut für Tierhygiene, Tierschutz und Nutztierethologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) heraus. Sie legte den Fokus auf eine Kombination verschiedenster präventiver Maßnahmen: Auf medizinische Interventionen - Stichwort Impfungen und Alternativen zum Antibiotikaeinsatz. Auf veränderte, an natürliche Verhaltensweisen der Tiere ausgerichtete, tiergerechte Haltungsumgebungen. Und auf Fütterung, Zucht sowie den Ausbau der Fachkompetenz der Tierhalter im Management. Mit Studien belegte sie, dass derart gesund gehaltene Nutztiere sowohl umweltschonender als auch produktiver sind.
Digitale Transformation in das Agrarsystem der Zukunft
Einen Blick auf Agrarsysteme der Zukunft zwischen "Alternative Meat" und "Digital Farming" warf Professorin Dr. Stefanie Bröring. An der Universität Bonn hat sie den Lehrstuhl für Technologie-, Innovationsmanagement und Entrepreneurship inne.
Die mit Verweis auf Klimaschutz und veränderte gesellschaftliche Erwartungen oft vertretene These, dass Cultured Meat (Laborfleisch) und pflanzliche Alternativen die Nutztierhaltung verdrängen, mochte sie nicht teilen. Bei weltweit stark wachsender Proteinnachfrage verliere die konventionelle Fleischerzeugung zwar deutliche Marktanteile - Prognosen sehen sie bis 2040 unter 50 Prozent -, sie behalte aber ihre 'Licence to Produce', auch weil sie sich wandele. Weit größeres Veränderungspotential sieht Bröring auch mit Blick auf die Nachhaltigkeit in der Digitalisierung. Weltweit würden Milliardenbeträge in datengetriebene, autonome landwirtschaftliche Systeme investiert. Neue Plattformmodelle, 'Smart Animalfarming' und 'Predictive Analytics' hätten disruptives Potential für bestehende Strukturen und Geschäftsbeziehungen. Die Nutzung solcher Systeme verlange jedenfalls ganz neues Wissen und Veränderungsbereitschaft von allen Beteiligten.
Neue Rolle für Tierärzte
"Tierärzte haben die Aufgabe, hier neue Kompetenzen zu erwerben", stimmte Dr. Joachim Lübbo Kleen zu. Der Tierarzt mit einem Schwerpunkt auf der Bestandsbetreuung von Milchviehhaltungen, sieht sich und seine Berufskollegen in verschiedensten Rollen, etwa als technischer Dienstleister, Lieferant und Berater. Um Ansprechpartner für die Landwirte zu bleiben, müssten Veterinäre ein Verständnis von Daten, von Kommunikation und ökonomischen Betriebsabläufen haben.
Schlüsselfaktor Prävention
Konsens in der Podiumsdiskussion war: Ein nachhaltiges Lebensmittelsystem - fair, gesund und umweltfreundlich - ist nur mit gesunden Tieren möglich. Prävention wird dabei zum Schlüsselfaktor.
Der BfT-Vorsitzende Jörg Hannemann betonte, dazu müsste Forschung und Entwicklung im Sektor gefördert werden. Und es gelte, eine Akzeptanz für neue Technologien - auch der digitalen Optionen - zu schaffen.
Alle Beteiligten sahen die Politik vor der Herausforderung, mit innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen und langfristigen Investitionen die weitere Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit jetzt auf den Weg zu bringen - und dabei auch eine gewisse Geschwindigkeit an den Tag zu legen.
Staat und Gesellschaft müssten die Weiterentwicklung der Nutztierhaltung durch Förderprogramme für notwendige langfristige Investitionen unterstützen. Die Leistungen von Landwirten und Tierärzten für ein umfassendes Tiergesundheitsmanagement seien aber nicht nur finanziell, sondern auch durchgesellschaftliche Anerkennung zu honorieren.
Gitta Connemann, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion warnte vor nationalen Alleingängen mit überzogener Regulierung. Deutschland könne Impulsgeber sein, "aber in Absprache mit denen, die es dann leisten müssen". Sie mahnte dabei mehr Fairness und Ehrlichkeit im Umgang mit Zielkonflikten an. "Die nachhaltigste Lebensmittelproduktion findet in Deutschland statt. Es ist am Ende kein nachhaltiges Ergebnis, wenn der Tierbestand hierzulande sinkt und andernorts steige - und das bei niedrigeren Standards!", betonte Connemann.
Für Dr. Ophelia Nick, Tierärztin und Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft für Landwirtschaft von Bündnis 90/Die Grünen, sei Tierhaltung für eine Kreislaufwirtschaft zwar nicht wegzudenken, aber mit Blick auf den Klimaschutz nicht mehr in der jetzigen Größenordnung vertretbar. Sie sehe eine Aufgabe der Politik darin, den Strukturwandel ein Stück weit einzudämmen und bäuerliche Betriebe zu erhalten. "Wir müssen schnell Geld in die Hand nehmen, um in der Transformation der Haltungsbedingungen in großen Schritten voranzukommen." Um eine nachhaltige Landwirtschaft von der auch Landwirte profitieren, zu entwickeln, sei es wichtig nicht im Schwarz/Weiß Denken zu verharren, sondern einen gemeinsamen Weg zu finden.
Mit den Vorschlägen des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltungsstrategie gebe es einen konsensfähigen Weg zum Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung, sagte Prof. Dr. Dr. Markus Schick. Er leitet im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) die Abteilung Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit. Ob man den durch Machbarkeitsstudie und Folgenabschätzung untermauerten notwendigen Finanzbedarf von jährlich rund drei Milliarden Euro über eine Mehrwertsteuererhöhung, eine Verbrauchsteuer oder eine Abgabe decke, sei jetzt eine Entscheidung der Politik.
Philipp Schulze Esking, Vizepräsident der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft, selbst Halter von 7.000 Schweinen, sieht sich und seine Berufskollegen in einem Dilemma. Wenn eine wohlhabende Gesellschaft Veränderungen von den Tierhaltern einfordere, es aber nicht schaffe, diese an der Ladentheke auch zu bezahlen, dann müsse sie über Transferleistung sicherstellen, dass die Produktion im Land aufrechterhalten werden könne. Diese könne dann auch deutlich nachhaltiger sein. Und das wäre im Gegensatz zu Importware auch deutlich besser zu gewährleisten und zu kontrollieren.
Man dürfe sich aber keine Illusionen machen, wenn die Zahl der Nutztierhalter und der Nutztiere zurückgehe, veränderten sich auch die Strukturen.