Droht dem Mikrobiom Gefahr durch Süßstoff?

Süßstoffverband nimmt Stellung zur Studie über mögliche Gefahren von Süßungsmitteln

19.07.2021 - Deutschland

Eine neue in vitro Studie (1), die von der britischen Anglia Ruskin University durchgeführt und im „International Journal of Molecular Science“ veröffentlicht wurde, sorgt zurzeit für Aufregung hinsichtlich der Auswirkung von Süßstoffen auf die Darmmikrobiota. Süßstoffe sollen dazu führen, dass „gute“ Darmbakterien erkranken, indem diese pathogenen Bakterien sich dann an CACO-Zellen (Epithelzellen in der Darmwand) anheften, in sie eindringen und schließlich abtöten. Bakterien wie E. faecalis können, so die Autoren, dadurch die Darmwand passieren und über den Blutkreislauf zu Lymphknoten, der Leber und Milz gelangen und somit zu einer Reihe von Infektionen und erheblichen Erkrankungen führen.

pixabay

Darm Studie: Reagenzglas versus Realität

Bei der Studie von Shil et al. handelt es sich um eine in vitro – Studie, das heißt die Studie wurde außerhalb des menschlichen Körpers mit isolierten Bakterien im „Reagenzglas“ durchgeführt. Hierzu wurden Modelle der Mikrobiota (Escherichia coli NCTC10418 und Enterococcus faecalis ATCC19433) und des Darmepithels (Caco-2 Zellen) genutzt.

Süßstoff-Darm-Studie: Versuchsablauf

Im Versuchsablauf wurden die Bakterien zwei Tage lang verschiedenen Konzentrationen von Aspartam, Saccharin und Sucralose ausgesetzt. Abgesehen davon, dass solche in vitro Studien nicht das gesamte, komplexe interaktive System des menschlichen Verdauungssystems und der Mikrobiota berücksichtigen können, wurden beim Design der Studie die heute bestens bekannten Stoffwechselprozesse, die Süßstoffe im Verdauungsprozess durchlaufen und die dafür entscheidend sind, welche Mengen an Süßstoff tatsächlich das Darmmikrobiom erreichen, außer Acht gelassen. Aspartam beispielsweise ist ein Methylester eines Dipeptids, der schnell zu zwei Aminosäuren und Methanol hydrolysiert wird, die im Dünndarm absorbiert werden. Daher gelangen weder Aspartam noch seine Metaboliten in den Darm, um direkt mit dem Mikrobiom zu interagieren. Saccharin wird nicht metabolisiert, sondern  unverändert im Urin ausgeschieden. Nur beim Einsatz sehr großer Saccharinmengen können diese in den Darm gelangen. Daher kommt Saccharin unter normalen Umständen nicht in Kontakt mit dem Colon-Mikrobiom.

Diese Reagenzglas-Ergebnisse lassen keine Rückschlüsse auf die Wirkung von Süßstoffen auf das menschliche Mikrobiom zu.

Süßstoffe und das Mikrobiom: Gibt es einen Einfluss?

Die Mikrobiomforschung der letzten zwei Jahrzehnte zeigt, dass der menschliche Darm ein einzigartiges und komplexes Ökosystem beherbergt. Die Herausforderung dieses komplexe Geflecht zu verstehen, liegt für die Forscher darin die Zusammenhänge zu erkennen und die Wechselwirkungen mit dem Körper zu entschlüsseln.

Die Besorgnis über die Wirkung von Süßstoffen auf das Darmmikrobiom wurde durch eine 2014 von israelischen Forschern durchgeführte Studie angestoßen (2). Die Studie kam zu dem Schluss, dass der Konsum von Süßstoffen, bzw. genauer gesagt Saccharin, die Zusammensetzung und Funktion des Darmmikrobioms verändert, was zu einem erhöhten Risiko einer Glukosetoleranzstörung führt. Obwohl wissenschaftliche Medien und Experten die Schlussfolgerungen der Studie in Frage stellten und auf die Einschränkungen bei der Versuchsplanung und der Analyse hinwiesen, wurde die Berichterstattung dazu vorangetrieben.

Die Autoren neuerer Arbeiten (3,4) untersuchten primäre Forschungsartikel, in denen die Wirkung der Süßstoff-Aufnahme auf das Darmmikrobiom untersucht wurde und stellten dabei erhebliche Fehlerquellen und Mängel fest. Eine sorgfältig durchgeführte Studie, mit einer angemessenen Anzahl von menschlichen Probanden, kombiniert mit Untersuchungen an Mäusen (5) zeigte, dass es weder bei den Probanden noch bei den Mäusen Auswirkungen auf die Mikrobiota, kurzkettige Fettsäuren im Stuhl oder auf Orale Glucose Toleranztests (OGTT) gab.

Vor der Zulassung eines Süßstoffs für den Markt werden sämtliche wissenschaftlichen Befunde eingehend von den Lebensmittelaufsichtsbehörden geprüft, darunter etwa das Joint Expert Scientific Committee on Food Additives (JECFA) (6) der Food & Agriculture Organisation (FAO) der Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsbehörde (WHO), die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) (7) und die Food and Drug Administration (FDA) (8) der USA. Zu den untersuchten Aspekten gehören dabei auch eventuelle Auswirkungen auf die Darmfunktion.

Die heute vorliegenden Befunde deuten auf keine negativen Auswirkungen von Süßstoffen auf die Darmflora hin.

______

(1) Shil A and Chichger H. Artificial Sweeteners Negatively Regulate Pathogenic Characteristics of Two Model Gut Bacteria, E. coli and E. Faecalis. Int. J. Mol. Sci. 2021, 22(10), 5228; doi.org/10.3390/ijms22105228

(2) Suez J, Korem T, Zeevi D, et al. Artificial sweeteners induce glucose intolerance by altering the gut microbiota. Nature. 2014;514(7521):181-186. doi:10.1038/nature13793

(3) Lobach AR, Roberts A, Rowland IR. Assessing the in vivo data on low/no-calorie sweeteners and the gut microbiota. Food Chem Toxicol. 2019;124(December 2018):385-399. doi:10.1016/j.fct.2018.12.005

(4) Ruiz-Ojeda FJ, Plaza-Díaz J, Sáez-Lara MJ, Gil A. Effects of Sweeteners on the Gut Microbiota: A Review of Experimental Studies and Clinical Trials 2019 Jan 1;10(suppl_1):S31-S48. doi: 10.1093/advances/nmy037.

(5) Serrano J et al. High-dose saccharin supplementation does not induce gut microbiota changes or glucose intolerance in healthy humans and mice. Microbiome. 2021. PMID: 33431052

(6) http://www.fao.org/food/food-safety-quality/scientific-advice/jecfa/en/

(7) http://www.efsa.europa.eu/en/topics/topic/sweeteners

(8) https://www.fda.gov/food/food-additives-petitions/high-intensity-sweeteners

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