Das Ziel der Klimaneutralität in Deutschland bis spätestens 2045 drängt auf die zügige Umsetzung wirksamer Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgas (THG)-Emissionen in allen Wirtschaftssektoren. Die Landwirtschaft trägt in Schleswig-Holstein mit etwa 20 Prozent erheblich zu den THG-Emissionen bei, wobei der intensiven Nutzung der Moore zur Milcherzeugung eine Schlüsselrolle zukommt. Es ist daher absehbar, dass die Milcherzeugung auf Moorstandorten unter erheblichen Druck geraten wird, wie es vor wenigen Wochen in einer Studie der Stiftung Klimaneutralität dokumentiert worden ist. Doch nicht nur in den entwässerten Mooren besteht Handlungsbedarf, auch in den Regionen der hoch spezialisierten Milcherzeugung auf den sandigen Böden der Geest, da dort Stickstoffüberschüsse deutlich zu der Belastung von Gewässern und der Luftqualität beitragen. „Um die Wertschöpfung aus der Milcherzeugung für die Landwirtschaft im Norden Deutschlands zu sichern, kann eine moderate Reduktion der Tierbestände nicht per se abgelehnt werden“, sagt Professor Friedhelm Taube von der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). In erster Linie sollten die Tiere wieder gleichmäßiger im Lande verteilt werden, um so jenseits der absoluten Grünlandgebiete zur Milcherzeugung eine bessere Verwertung der organischen Dünger zu erreichen. Vor diesem Hintergrund hat die Abteilung Grünland und Futterbau/Ökologischer Landbau (GFO) an der CAU in den letzten Jahren Zukunftskonzepte der Landnutzung zur Milcherzeugung im Einklang mit den Schutzzielen Klimaschutz, Wasserschutz und Biodiversität auf dem Versuchsgut Lindhof an der Eckernförder Bucht im Sinne der Umsetzung der europäischen „Farm to Fork-Strategie“ entwickelt und den aktuellen Intensitäten der Hochspezialisierung gegenübergestellt. Die übergeordnete Frage für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lautet: Kann es gelingen, die dringlich eingeforderten Umweltschutzziele mit ausreichend hoher Produktionsleistung zu verknüpfen und so gleichermaßen Einkommen für die Betriebe wie Gemeinwohlleistungen überzeugend zu gewährleisten?
Im Rahmen des EU-Projektes „Ressourceneffizienz und Managementoptimierungen in der Milchproduktion“ wurden vier Betriebe im östlichen Hügelland von Schleswig-Holstein für mindestens zwei Jahre intensiv wissenschaftlich begleitet. Die Forschenden haben auf den Feldschlägen die Erträge und Qualitäten der Grundfutterproduktion erfasst, die umweltrelevanten Stickstoffflüsse der Auswaschung mit dem Sickerwasser und gasförmige Verluste in die Atmosphäre gemessen sowie die Herdenleistungen der Milchkühe und die zugekauften Mengen an Konzentratfutter (Getreide, Raps, Soja), Dünge- und Pflanzenschutzmitteln dokumentiert. Diese Realdaten, erhoben unter identischen Umweltbedingungen, wurden anschließend nach der Methodik der Ökobilanzierung (engl. Life-Cycle-Assessment) ausgewertet. Eine Ökobilanz berücksichtigt alle Emissionen, die während der Produktionskette entstehen. Dazu gehören auch vorgelagerte Prozesse wie beispielsweise der Energieverbrauch bei der Herstellung von zugekauften Kraftfutter- und Düngemitteln. Die Emissionen werden relativ zur Produktivität dargestellt. In der Milchproduktion ist der Liter Milch (unter Berücksichtigung des Eiweiß- und Fettgehaltes) die Bezugsgröße. Diese Methode erlaubt es, verschiedene Produktionssysteme auf Basis der gleichen Einheit zu vergleichen und ist somit auch für Betrachtungen in der Milchviehwirtschaft geeignet. Die Umweltwirkungen wurden jeweils bis zum Hoftor berücksichtigt.
Die ausgewählten Betriebe wurden stellvertretend für vier Produktionsbedingungen gewählt:
(A) Ein intensiv wirtschaftender Stallhaltungsbetrieb, der sich landesweit durch eine sehr hohe Herdenleistung von ca. 11.000 Liter Milch je Kuh und Jahr und gute Tiergesundheit auszeichnet;
(B) ein Betrieb, der die derzeitig durchschnittlichen Produktionsleistungen in Schleswig-Holstein abbildet (ca. 9000 Liter Milch pro Kuh/Jahr);
(C) ein Grünland-Weidebetrieb mit minimalem Mineraldünger- und Konzentratfutterzukauf, einer hohen Milchleistung aus Weidefutter, aber aufgrund des marginalen Konzentratfuttereinsatzes niedrigen Einzeltierleistungen (‚Modell Irland‘); sowie
(D) ein Weidebetrieb (Lindhof), wie C ohne Mineraldüngereinsatz, aber mit moderatem Konzentratfuttereinsatz (800 Kilogramm/Kuh/Jahr), einer an Weide angepassten Tierrasse (Jersey) und die Weideflächen integriert in einen Ackerbau-Marktfruchtbetrieb; d. h. angesäte artenreiche Klee-Kräuter-Gras-Mischungen werden für zwei Jahre beweidet und in eine Marktfrucht-Fruchtfolge (dominiert von Getreidearten) integriert. So entsteht nebenbei eine deutlich erhöhte Kulturartendiversität in der Agrarlandschaft.
System D wird gemeinhin auch als Gemischtbetriebssystem (engl. Integrated-Crop-Livestock-Systems (ICLS)) bezeichnet. „Solche ICLS zeichnen sich dadurch aus, dass die Tierhaltung über Futterbau und der Marktfruchtbau identische Flächeneinheiten bewirtschaften, so Stickstoffflüsse effizienter genutzt werden können und auch wirtschaftliche Risiken für den landwirtschaftlichen Betrieb durch die größere Produktpalette reduziert werden“, erklärt Taube.
Die Ergebnisse (vor wenigen Wochen publiziert in der Wissenschaftszeitschrift Frontiers in Sustainable Food Systems) zeigen die höchste Produktivität im intensiven Stallhaltungssystem (A) mit mehr als 16 Tonnen Milch bezogen auf den Hektar Betriebsfutterfläche pro Jahr. Hinsichtlich der negativen Umweltwirkungen wurden hier allerdings auch die höchsten Stickstoffüberschüsse (bis zu 230 Kilogramm Stickstoff/Hektar) festgestellt. Die höchsten spezifischen Stickstoff-Emissionen (13 Gramm Stickstoff/Kilogramm Milch) und Treibhausgasemissionen je Liter Milch (1,2 Kilogramm CO2) wurden im Betrieb B berechnet, sodass sich für die Leistungen des Durchschnittsbetriebes in Schleswig-Holsteins eine vergleichsweise niedrige Effizienz zeigt. Der Weidebetrieb C zeigte lediglich leichte Vorteile gegenüber System A hinsichtlich der Treibhausgasemissionen je Liter Milch (0,9 Kilogramm CO2), deutlich niedrigere Stickstoffüberschüsse, jedoch auf Kosten der Flächenleistung. Der Betrieb D–Lindhof zeigte trotz seiner vergleichsweise niedrigen Milchleistungen je Hektar Betriebsfutterfläche (ca. 11 Tonnen Milch/Hektar) die niedrigsten negativen Umweltwirkungen je Flächen- (50 Kilogramm Stickstoff/Hektar) und Produkteinheit (5 Gramm Stickstoff bzw. 0,6 Kilogramm CO2/Kilogramm Milch). „Ursächlich für die hohen Effizienzen im System D ist die Anrechnung der Kleegrasvorfrucht mit den im Boden gespeicherten Stickstoff-Überschüssen als ‚Export‘ an den integrierten Marktfruchtbau, der diese Stickstoffmengen in Höhe von mehr als 100 Kilogramm/Hektar optimal mit der Folgefrucht (z.B. Hafer) verwerten kann“, so Taube. Eines der weiteren interessanten Ergebnisse sei zudem, dass dieses low-input System D die gleiche Flächennutzungseffizienz aufweist wie der hoch intensive Betrieb A. Wird der Flächenbedarf für die Erzeugung der vom Betrieb A importierten Konzentratfuttermengen im Umfang von knapp 3 Tonnen je Kuh und Jahr einbezogen und in Flächenäquivalenten ausgedrückt, so ist der ‚globale Flächenbedarf‘ (on farm und off-farm) je Liter Milch nahezu identisch zu D (A: 1,2 m²; D: 1,3 m²), da D das Futter (Eiweiß und Energie) weitgehend auf eigenen (Weide-) Flächen erzeugt. Diese Art der kombinierten on farm + off farm - Analyse ist notwendig und wichtig, um scheinbare Überlegenheit intensiver Konzentratfutter-basierter Systeme in der Flächennutzungseffizienz im Gesamtsystems zu erfassen und so den anteiligen Flächenverbrauch für Konzentratfutterimporte in den Betrieb (Getreide, Raps, Soja) mit einzubeziehen.
Zusammenfassend konstatieren die Forschenden, dass öko-effizient produzierte Milch im Sinne geringer Nährstoffüberschüsse und geringer THG-Emissionen zukünftig eine höhere Bedeutung im europäischen und globalen Wettbewerb erlangen wird. Professor Friedhelm Taube erläutert dazu: „Unterstellen wir einen durchschnittlichen Betrieb mit einer Milchlieferung von 800.000 Liter/Jahr, so würde die Differenz der spezifischen Treibhausgasemissionen je Liter Milch zwischen den Betriebstypen A und D-Lindhof bei einem erwarteten CO2-Preis von 60Euro/Tonne im Jahr 2030 dem Betrieb D Gutschriften von über 25.000Euro pro Jahr im Sinne einer CO2-Emissionsvermeidung einbringen. Da das im System D-Lindhof erzeugte Futter aufgrund der Zuchtfortschritte in der Gräser- und Kleezüchtung zudem wesentlich kostengünstiger je Futtereinheit erzeugt werden kann und der Klimawandel die zur Verfügung stehenden Weidetage im Herbst und Frühjahr weiter ausdehnen wird, ist schon heute eine erhöhte Konkurrenzfähigkeit dieses Systems absehbar und da die Koppeleffekte für die Luft- und Wasserreinhaltung, die Biodiversität und die Tiergesundheit durchweg positiv zu bewerten sind, erscheint eine Förderung dieser Ansätze im Sinne des Klima- und Ressourcenschutzes geboten.“
Dr. Thorsten Reinsch, der Projektleiter ergänzt: „Integrierte Ansätze bedeuten nicht, dass nun jeder Betrieb wieder gleichermaßen Ackerbau und Viehzucht betreiben muss, vielmehr geht es um mehr Diversität. Wo immer möglich sollte die Chance der Kooperation von spezialisierten Milchviehbetrieben mit spezialisierten Marktfruchtbetrieben genutzt werden, indem sie gemeinsam ihre Flächen mit weiten Fruchtfolgen (vielen Kulturarten) nutzen und so mit Hilfe des Kleegrases auch den Dünger- und Pflanzenschutzaufwand im Ackerbau erheblich reduzieren können – zu beiderseitigem Nutzen.“