Seltene Gersten-Mutation mit Potenzial

31.08.2021 - Deutschland

Wie wichtig das Wurzelsystem für die Höhe landwirtschaftlicher Erträge ist, wird häufig unterschätzt. Ob Wurzeln effektiv an Wasser und Nährstoffe herankommen, entscheidet auch darüber, wie widerstandsfähig wichtige Kulturpflanzen gegenüber Dürre und Klimawandel sind. Forschende der Universitäten Bonn und Bologna (Italien) haben eine Mutante in Gerste entdeckt und beschrieben: Ihre Wurzeln wachsen deutlich steiler nach unten als normalerweise. Diese Entdeckung bietet potenziell einen Ansatzpunkt für die Züchtung dürreresistenterer Sorten. Die Studie ist nun in PNAS erschienen.

Gwendolyn Kirschner

li: Sieben Tage alte Gerstenwurzeln der Mutante egt2: Sie wächst strikt nach unten (hypergravitrop). ; re: Zum Vergleich, die Wurzel ohne die egt2-Mutation: Sie wächst in die Breite und erschließt dadurch ein größeres Erdvolumen auf der Suche nach Nährstoffen.

Gerste gehört zu den wichtigsten Getreidearten. Ihre Nutzung reicht vom Bierbrauen über Grütze, Graupen und Gerstenflocken bis hin zum Gerstenmehl. Wissenschaftler um Prof. Dr. Silvio Salvi von der Universität Bologna entdeckten vor einiger Zeit eine ungewöhnliche Mutante von Gerste: Ihre Wurzeln spreizen sich nicht zur Seite wie normalerweise, sondern sie wachsen kerzengerade nach unten. Die Wissenschaftler nannten diese Mutante “hypergravitrop” – also viel stärker der Schwerkraft folgend als ihre Artgenossen. Die Teams um Prof. Dr. Frank Hochholdinger vom Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz (INRES) der Universität Bonn und um Prof. Salvi erforschten gemeinsam mit weiteren Kollegen, welche Ursachen dahinter stecken.

Die Forschenden verglichen das Genom der Mutante mit normalwachsenden Gerstenpflanzen. Dabei entdeckten sie auf dem Chromosom Nummer fünf eine Mutation, die sie “enhanced gravitropism 2” (egt2) tauften, was soviel wie “verstärkt auf die Schwerkraft ausgerichtet” bedeutet. Die “2” deutet darauf hin, dass das Team eine weitere Studie zu einer ähnlichen Mutation (egt1) in Bearbeitung hat. Dass egt2 tatsächlich für die steil nach unten wachsenden Wurzeln verantwortlich ist, bewiesen die Wissenschaftler, indem sie bei normal ausgeprägten Gerstenpflanzen mit der Genschere CRISPR/Cas9 künstlich eine solche Mutation erzeugten. “Das Ergebnis zeigt ein ähnliches Erscheinungsbild der Wurzeln”, berichtet Erstautorin Dr. Gwendolyn K. Kirschner vom INRES der Universität Bonn. “Damit konnten wir nachweisen, dass wir das richtige Gen identifiziert haben.”

Wurzeln im Kernspintomographen

Die Wissenschaftler zogen die kleinen Gerstenpflanzen in Keimpapier oder Erde an und erfassten die Wurzelwinkel mit einem Scanner und einer speziellen Software. Darüber hinaus nutzten sie Ressourcen des Forschungszentrums Jülich: Dort wuchs die Gerste in speziellen “Blumentöpfen”, die in einen Kernspintomographen passen. Mit dem bildgebenden Verfahren “durchleuchteten” die Wissenschaftler die Erde und erfassten auf diese Weise das Wachstum der Wurzeln.

Pflanzen mit der egt2-Mutation reagieren weitaus sensibler auf den Einfluss der Schwerkraft als normale Exemplare. Dies zeigten die Wissenschaftler, indem sie die Wurzeln der Gerstenkeimlinge um 90 Grad zur Richtung der Schwerkraft gedreht platzierten. “Daraufhin wuchsen die Wurzeln der Mutanten deutlich stärker in Richtung der Schwerkraft als die Vergleichsexemplare ohne diese Mutation”, sagt Dr. Kirschner.

Mutation ist selten

Die Mutation kommt nicht häufig vor. “Viele Mutanten haben kürzere oder fehlende Wurzeln”, sagt Hochholdinger. “Aber Mutationen, die zu unterschiedlichen Wurzelwinkeln führen, sind relativ selten zu finden.” Mit Wissenschaftlern des John Innes Centre in Norwich (Großbritannien) konnte das Team nachweisen, dass es eine ganz ähnliche Mutante auch bei Weizenpflanzen gibt. “Dies zeigt, dass das Gen evolutionär konserviert ist”, berichtet Hochholdinger. Das bedeutet, dass dieses Gen nicht nur bei der Gerste eine bedeutende Rolle spielt, sondern auch bei anderen wichtigen Getreiden. Hochholdinger: “Also lohnt sich ein genauer Blick.”

Die Entdeckung der Mutation bietet nach Ansicht der Wissenschaftler einen potenziellen Ansatzpunkt für neue Züchtungen. “Steilere Wurzeln sind von Vorteil, wenn es darum geht, Wasservorkommen und mobile Nährstoffe in größerer Tiefe anzuzapfen”, sagt Hochholdinger. Andererseits durchdringe ein in die Breite wachsendes Wurzelsystem ein größeres Erdvolumen und könne deshalb großräumiger Nährstoffe erschließen und vermittelt den Pflanzen eine bessere Standfestigkeit. Es hänge deshalb vom jeweiligen Standort ab, welches Wurzelsystem die besseren Voraussetzungen für gute Erträge bietet. In trockneren Regionen könnten dies eher steile Wurzeln und in nährstoffärmeren Gegenden eher die flacher abgespreizten sein.

Ansatzpunkt für Züchtung dürreangepasster Sorten

“Wurzeln sind bisher in der Züchtung weitgehend vernachlässigt”, sagt Hochholdinger. Aber durch vermehrte Dürreperioden in Folge des Klimawandels könnte die Architektur des Wurzelsystems in Zukunft von großer Bedeutung sein. Dann könnte die Mutante mit den senkrechten Wurzeln eine Rolle bei der Erzeugung von an den Klimawandel angepasste Sorten spielen. Die genaue molekulare Funktion des Gens konnten die Forschenden noch nicht entschlüsseln. Welche Signalwege die Mutante in den Gerstenpflanzen beeinflusst, wollen die Wissenschaftler der Universität Bonn jedoch in der noch laufenden Studie untersuchen.

Beteiligte Institutionen und Förderung:

Über die Universitäten Bonn und Bologna hinaus sind an der Studie die Universitäten Gießen und Köln, das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, das Forschungszentrum Jülich, die Nutzpflanzen-Bioninformatik am INRES und das John Innes Centre Norwich beteiligt. Gefördert wurde das Projekt überwiegend aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

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