Ernährungsstudien sind besser als ihr Ruf

17.09.2021 - Deutschland

Ein Großteil unseres Wissens über den Zusammenhang von Ernährung und Gesundheit stammt aus sogenannten Kohortenstudien, welche in der Wissenschaft allerdings nicht den besten Ruf haben. Möglicherweise zu Unrecht, wie eine aktuelle Arbeit im renommierten British Medical Journal (BMJ) zeigt. Ihre Ergebnisse sind wichtig für die Erforschung der Rolle der Ernährung in vielen Volkskrankheiten.

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Eine suboptimale Ernährung gilt als wichtiger Faktor für die Entstehung von chronischen Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So geht die internationale Forschungsinitiative Global Burden of Disease davon aus, dass sich rund 15 % der dadurch verlorenen gesunde Lebensjahre und jeder fünfte Todesfall weltweit auf eine nicht optimale Ernährung zurückführen lassen.

Unser Wissen über solche Zusammenhänge basiert zu weiten Teilen auf wissenschaftlicher Evidenz aus sogenannten Kohortenstudien. Studien dieses Typs verfolgen Gruppen von Proband*innen (sogenannte Kohorten) über einen langen Zeitraum, in dem die Teilnehmenden regelmäßig untersucht und nach ihren Ernährungsgewohnheiten befragt werden. Dadurch lassen sich mögliche statistische Zusammenhänge zwischen bestimmten Ernährungsgewohnheiten (z. B. hohem oder niedrigem Obstkonsum) und wichtigen Endpunkten wie dem Krebsrisiko feststellen.

Doch eine statistische Korrelation ist noch kein ursächlicher Zusammenhang. Deshalb ist die Aussagekraft von Kohortenstudien unter Wissenschaftler*innen umstritten. Als wesentlich zuverlässiger gelten randomisierte kontrollierte Studien (RCTs). In einer typischen RCT werden die Studienteilnehmenden nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) in zwei möglichst ähnliche zusammengesetzte Gruppen aufgeteilt: Die eine Hälfte erhält die sogenannte Intervention, zum Beispiel ein Vitaminpräparat, die andere Hälfte ein äußerlich identisches Scheinpräparat ohne Wirkstoff (Placebo) oder eine andere Kontrollbehandlung. Im Idealfall wissen während der Studie weder Behandelnde noch Behandelte, wer zu welcher Gruppe gehört (Verblindung).

RCTs gelten vor allem in der Medizin als wissenschaftlicher Goldstandard. Doch in der Ernährungsforschung sind sie oft nur schwer umsetzbar: Um Langzeiteffekten wie einem ernährungsbedingt veränderten Krebsrisiko auf die Spur zu kommen, müssten Studienteilnehmende ihre Ernährung über Jahre hinweg umzustellen. Selbst wenn man sie dazu bringen kann, sind solche Langzeit-RCTs aufwändig und teuer.

„Umso wichtiger ist es zu verstehen, wie sehr sich die Ergebnisse von RCTs und Kohortenstudien wirklich unterscheiden und welche Faktoren dafür eine Rolle spielen. Ebendies ist die große Frage unserer eben im British Medical Journal erschienenen Arbeit“, sagt Erstautor Lukas Schwingshackl vom Institut für Evidenz in der Medizin am Uniklinikum Freiburg, dem Partnerinstitut von Cochrane Deutschland. „Mit dieser Meta-epidemiologischen Arbeit betreten wir weitgehend Neuland. Dass die Ergebnisse von Beobachtungsstudien und RCTs zu manchen Fragestellungen nicht übereinstimmen, ist bekannt. Ebenso gibt es Beispiele, in denen beide Studientypen recht ähnliche Ergebnisse zeitigen. Aber bisher hat noch niemand versucht, systematisch den Grad der Übereinstimmung über viele Themen hinweg zu bestimmen und herauszufinden, welche Faktoren für eine gute oder schlechte Übereinstimmung entscheidend sind.“

Für die BMJ-Arbeit suchten Schwingshackl und seine Koautoren nach systematischen Übersichtsarbeiten, welche die Evidenz zu Zusammenhängen zwischen Ernährungsfaktoren und gesundheitlichen Risiken zusammenfassen. Für RCTs nutzten sie dafür wegen ihrer besonders hohen methodischen Standards die systematischen Reviews von Cochrane. Reviews, welche die Evidenz aus Kohortenstudien zusammenfassen, fanden sie in der Publikationsdatenbank MEDLINE. Am Ende konnten sie Ergebnisse aus beiden Studientypen zu 97 Fragestellungen systematisch miteinander vergleichen.

Das Ergebnis: „In der Gesamtbetrachtung stimmen die Ergebnisse aus RCTs und Kohortenstudien weitgehend überein. So zeigen RCTs, welche beispielsweise die gesundheitlichen Effekte einer mediterranen Ernährungsweise untersuchten, ähnlich günstige Ergebnisse wie Kohortenstudien, die dieses Ernährungsmuster untersuchten. Größere Abweichungen zwischen den Ergebnissen beider Studientypen lassen sich zumeist auf Unterschiede in der genauen Fragestellung zurückführen. Die größten Unterschiede sehen wir, wenn RCTs den Effekt von Nahrungsergänzungen, beispielsweise Vitamin-D-Präparaten, untersuchen, während die entsprechenden Kohortenstudien den Vitamin-Status im Blut messen.

„Die Ergebnisse unserer Arbeit sind wichtig, um Evidenz aus RCTs und Kohortenstudien künftig angemessen zusammenführen und so weltweit eine bessere Evidenzgrundlage für Ernährungsleitlinien liefern zu können“, sagt Schwingshackl. Allerdings habe die Arbeit auch Limitationen. So gebe es zu vielen Fragestellungen (z. B. „Welchen Einfluss hat ein hoher Obstkonsum Jahrzehnte später auf das Krebsrisiko?“) schlicht keine RCTs, sondern nur Daten aus Kohortenstudien. „In wie weit man die von uns gefundene gute Übereinstimmung auch auf solche Fragen übertragen kann, ist offen.“

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